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Ökostromproduktion 2017 – ein Kommentar

Ein Viertel mehr Erneuerbare im Netz

Die Produktion von Ökostrom hat in Deutschland im vergangenen Jahr drastisch zugelegt. Bis zu einem Viertel mehr Strom haben die Windkraft-, Photovoltaik und Wasserkraftanlagen erzeugt. Dazu kommt noch die Stromerzeugung aus Biomasseanlagen. Zumindest ist das so, wenn die von Eon geschätzten Zahlen stimmen. Der Stromanbieter geht davon aus, dass die Ökostromerzeugung insgesamt auf 192 Milliarden Kilowattstunden gestiegen ist. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) geht da noch forscher ans Werk. Die Branchenvertretung der alten Energiewirtschaft beziffert die Ökostromerzeugung im Jahr 2017 auf 217 Milliarden Kilowattstunden, allerdings ausgehend von einem höheren Niveau im Jahr 2016. Das wäre aber immer noch ein Anstieg um 15 Prozent. Das Internationale Wirtschaftsforum Regenerative Energien (IWR) prognostiziert für die Wind- und Solarstromproduktion ebenfalls einen Anstieg um ein Viertel.

Gabriels Antimoderne

Das sind erst einmal ganz positive Zahlen. Ein Viertel klingt aber mehr, als es ist, wenn man sich die absoluten Werte anschaut. So bleibt der Anteil der Ökostromproduktion an der gesamten Stromerzeugung in Deutschland bei gut einem Drittel und ist im Vergleich zum Vorjahr nur um 4,1 Prozentpunkte angestiegen. Deutschland kommt also auf dem Weg hin zur Energiewende immer noch nur schleppend voran.

Gabriel, Trittin, Kühnast, Gysi, Demo in Berlin 2012 | Im Jahr 2012 demonstrierte Sigmar Gabriel noch für den Ausbau der Erneuerbaren. Ein Jahr später betätigt erst im Ministeramt höchstselbst die Bremse. Inzwischen ist er zum Modernisierungsgegner mutiert. - © BSW Solar/Langrock
Gabriel, Trittin, Kühnast, Gysi, Demo in Berlin 2012 | Im Jahr 2012 demonstrierte Sigmar Gabriel noch für den Ausbau der Erneuerbaren. Ein Jahr später betätigt erst im Ministeramt höchstselbst die Bremse. Inzwischen ist er zum Modernisierungsgegner mutiert.

Die positiven Zahlen sind aber auch nicht ganz ungefährlich für die Branchen der Erneuerbaren. Denn mit dem Argument, die Stromproduktion aus EEG-Anlagen sei um 25 Prozent gestiegen, hat Sigmar Gabriel (SPD), damals zuständiger Wirtschafts- und Energieminister, die Verschärfung der EEG-Regelungen begründet und durchgedrückt. Schon damals haben zwar die Branchenvertreter diese Argumentation als Augenwischerei aufgedeckt, doch die Große Koalition im Bundestag stand ohnehin hinter dem Plan Gabriels, die Energiewende in Deutschland zu bremsen.

Am eigentlichen Wählerklientel vorbeiregiert

Genau auf eine solche große Koalition läuft es jetzt auch wieder hinaus. Wie schon im Wahlkampf bleibt das Thema Energie kein Streitthema zwischen den beiden Volksparteien und dem bayerischen Ableger der Konservativen. Doch einige Äußerungen lassen kaum Gutes ahnen, sollten sich CDU, SPD und CSU auf ein abermaliges Bündnis einigen. Denn schon Sigmar Gabriel träumt nicht nur von der Sozialen Marktwirtschaft der alten BRD, sondern schwadroniert auch vom alten und neuen Wählerklientel, dem abhängig beschäftigten Lohnarbeiter. Hier hat er im Grunde – heruntergebrochen auf das Thema Energie – vor allem die Kohlekumpel im Blick. Mal ganz davon abgesehen, dass in der Lausitz, wo die Braunkohle abgebaut wird, eher die konservative CDU und die rechtsextreme AfD das Rennen macht und für die SPD das der schwarze Hinterhof eines sonst recht roten Brandenburgs ist, vergisst Gabriel, dass er durch seine verfehlte Industriepolitik als Wirtschaftsminister vielen Mitarbeitern in der Solarbranche die Lebensgrundlage entzogen hat.

Die Karten liegen auf dem Tisch

Dazu kommt noch der jetzige wirtschaftspolitische Sprecher der SPD, Bernd Westphal, der mit seinen Reaktionen auf die Erfolge der erneuerbaren Energien für Verwirrung sorgt. So zitiert das Handelsblatt den SPD-Mann mit den Worten: „Wir können uns diesen Irrsinn auf Dauer nicht leisten. Die nächste Regierungskoalition wird sich des Themas annehmen müssen“. Das ist die Reaktion auf die logische Konsequenz, dass wenn die Erneuerbaren mehr Strom produzieren, auch die Zahl der Stunden mit negativen Preisen an der Strombörse steigt. Die Stromexporte aus Deutschland lagen mit etwa 54 Milliarden Kilowattstunden im vergangenen Jahr auf Rekordniveau.

Klar, dass dies wieder den Erneuerbaren angelastet wird. Das Heil liegt wieder im Ausbremsen des Zubaus, indem dieser auf eine seit Jahren schleppende Anpassung der Netz an die neuen Bedingungen des Stromsystems abgestimmt werden soll. So zumindest fordert es Thomas Bareiß, als energiepolitischer Koordinator der CDU ein strammer Mann der fossilen und atomaren Energiewirtschaft.

Damit liegen die Karten in beiden Parteien auf dem Tisch und viele, denen Umwelt- und Klimaschutz, saubere Energie statt qualmender Schornsteine wichtiger sind als das Heimatgefühl eines Sigmar Gabriel oder die schnöde Moderinisierungsskepsis eines Thomas Bareiß, werden vielleicht jetzt schon anfangen, ihre Wahl zu bereuen. Denn hier wird schon wieder gelogen, dass sich die Balken biegen. Schließlich sind die negativen Strompreise und die hohen Stromexporte kein Ergebnis des Erfolgs der erneuerbaren Energien. Vielmehr sind sie das Ergebnis eines Politikversagens über Jahre hinweg, in denen unter anderem Sigmar Gabriel und Thomas Bareiß die Energiepolitik mitbestimmt haben.

Mehr Klimawandel, mehr Sturm, mehr Windstrom

Sturm Windenergieanlage | Immer heftiger werdende und häufigere Stürme – ein Ergebnis des Klimawandels – sorgen für immer mehr Windstrom. Derzeit zieht der Sturm Burgland durch Bareiß' Heimat und verursacht dort mehr Sachschaden als eventuell negative Strompreise an der Börse kosten könnten. - © Creative Commons CCO
Sturm Windenergieanlage | Immer heftiger werdende und häufigere Stürme – ein Ergebnis des Klimawandels – sorgen für immer mehr Windstrom. Derzeit zieht der Sturm Burgland durch Bareiß' Heimat und verursacht dort mehr Sachschaden als eventuell negative Strompreise an der Börse kosten könnten.

In der Kritik steht die viele Windenergie, die während der immer stärker werdenden Herbststürme – eine Auswirkung des Klimawandels – ins Netz drückt. Vor allem über die Weihnachtsfeiertage war das Problem heftig. Denn dann ist Deutschland im Standby-Modus und der Stromverbrauch geht zurück, während stürmisches Wetter für eine gute Windernte sorgt. Doch genau in einer solchen Situation fahren die Kohle- und noch am Netz angeschlossenen Atomkraftwerke ihren voreingestellten Fahrplan ab. Das hat verschiedenen Gründe. Zum einen sind sie unflexibel, was die Reaktionsfähigkeit auf die Stromnachfrage angeht. Zum anderen ist eine Abregelung teurer als die negativen Strompreise über einen bestimmten Zeitraum in Kauf zu nehmen. Zum dritten müssen sie, wenn sie Systemdienstleistungen verkauft haben, mit einer vorgegeben Leistung einspeisen, um diese Dienstleistungen auch erbringen zu können. Ganz davon abgesehen, dass dieses Phänomen schon seit vielen Jahren bekannt ist, sich aber bisher noch niemand um eine adäquate Lösung gekümmert hat. Nur gemeckert wurden dann immer viel.

Damit wird aber auch klar, dass es nicht die Erneuerbaren sind, die für negative Strompreise an der Börse sorgen, sondern Politiker, die den schnelleren Systemwechsel verhindern. Denn es sind nicht die Ökostromanlagen das Problem, sondern die immer noch am Netz befindlichen alten Kohle- und Atommeiler, deren Geschäftsmodelle Gabriel und Bareiß mit vereinten Kräften in der vergangenen Legislaturperiode gerettet haben. Für die Energiewende wäre es eine der schlechtesten Lösungen, wenn diese Bremser auch in den kommenden vier Jahren das Ruder wieder in die Hand bekommen. (Sven Ullrich)