Es könnte um ein für die Stadtwerke entscheidendes „Umschichtungsprogramm“ gehen, so hatte kürzlich der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) seine Erwartung an die Arbeit der von der Bundesregierung inzwischen eingerichteten „Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ formuliert. Der in der Öffentlichkeit eher als Kohlekommission bekannte Experten-Politiker-Arbeitskreis, so betonte Michael Wübbels auf einer Podiumsdiskussion beim VKU-Energiewendeforum in Erfurt Mitte Mai, müsse die bisher in manchen Regionen auch von der Kohlekraftnutzung garantierte „regionale Wertschöpfung“ umschichten. „Und in dem Bereich werden kommunale Unternehmen eine große Rolle spielen können“.
Konkret müsse die Kohle-Ausstiegskommission die Frage behandeln, wie Energie-Speichertechnik weiter zu entwickeln sei – und wie vermehrt Sektorkopplungsanlagen zum Einsatz kommen könnten. Bei der sogenannten Sektorkopplung könnten im Verteilstromnetz auf kommunaler Ebene künftig mehr und mehr Anlagen zum Einsatz kommen, die in Zeiten guter Windströmungen oder langer Sonneneinstrahlung und zugleich geringen regionalen Stromverbrauchs den Überschussstrom in Wasserstoff, synthetisches Erdgas, Warmwasser oder Dampf umwandeln. Durch diese Energieträger oder auch alternativ durch die Lieferung von Strom für Elektroautos lässt sich die weitergegebene Energie bekanntlich alternativ in den Energieverbrauchssektoren Verkehr und Wärmeversorgung nutzen.
Wübbels forderte, auf die von der Bundesregierung nun angeschobene Debatte um einen Kohleausstiegsplan müssten am Ende „klare Rahmenbedingungen“ folgen. Nur diese erlaubten den Stadtwerken eine Orientierung für künftiges Geschäft und für weitere Investitionen. Er erinnerte an die aus Sicht des VKU entscheidenden Mängel in den Energiemarkt-Regeln. Deren Beseitigung sei auch unter der neuen Bundesregierung noch immer nicht absehbar: Die lange erwartete Neuregelung für den Einsatz von Anlagen der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) komme noch nicht, die nationalen Energieeffizienzziele für 2020 „werden nicht erreicht“. Jüngere Treffen des VKU mit Vertretern der Bundesregierung auf Staatssekretärs-Ebene hätten auch für die Energiespeicher noch nicht zu messbarem Einsehen geführt. Diese dürften aber künftig nicht mehr doppelt belastet werden. Speicherbetreiber weisen auf die Doppelbelastung hin, weil sie zwar zum Nutzen des Netzes überschüssigen Strom beziehen. Dennoch aber bezahlen sie zugleich Netzentgelte – und das, obwohl sie beim Einkauf des von ihnen genutzten Stroms auch schon den im Strompreis enthaltenen Netzentgeltaufschlag durch die Stromversorger mitbezahlen.
Funktion als entscheidende regionale Energiewende-Manager
Der VKU-Vize – beim VKU ist Wübbels auch Leiter der Abteilung Energiewirtschaft – verwies indes auch auf Beispiele für die zunehmende Bedeutung der Stadtwerke als die entscheidenden regionalen Energiewende-Manager. So erschließe der Ausbau der Verteilnetze die „Flexibilitätsoptionen“, um auf die immer mehr volatile – also: wetterabhängige – Einspeisung von Photovoltaik- und Windenergie-Anlagen reagieren zu können. Dies könnte aus Sicht der Stadtwerke tatsächlich mit dem schnellen Hochfahren örtlicher KWK-Kapazitäten oder umgekehrt von örtlichen Sektorkopplungsanlagen sowie durch das Zuschalten von Strom verbrauchenden Maschinen und Geräten geschehen. Regionale Versorger hätten zudem „gute Erfahrungen“ gewonnen, „was neue Geschäftsmodelle angeht“. Neue Geschäftsmodelle erschließen sich viele kommunale Versorger derzeit damit, dass sie als Dienstleister für örtliche Photovoltaikanlagen-Betreiber, Hausbesitzer, Mieter oder kleinerer Grünstromanlagen-Betreiber agieren. Hierbei übernehmen sie für diese beispielsweise den Komponenteneinkauf, die Wartungen, die Montagen, die Stromdirektvermarktung, Digitalisierungsmaßnahmen oder die Überwachung der Erzeugungsanlagen – stellen aber auch für die Energiewende-Unternehmen notwendige Infrastruktur wie funktionierende Verteilnetze bereit.
Für den Thüringer Energiewirtschafts-Dienstleister Teag, der selbst im kommunalen Besitz Thüringer Kommunen beziehungsweise Stadtwerke ist, sind die KWK-Anlagen ebenfalls entscheidendes Kriterium. So ergänzte Teag-Vorstandsmitglied Andreas Roß: Die Bundesregierung dürfe den Kohleausstieg nicht hinauszögern, um den wirtschaftlichen Einsatz von mit der Energiewende kompatiblen Kraftwerken nicht zu hintertreiben. So seien die Zeiten in denen KWK-Anlagen den Strom nur als Abfallprodukt der eigenen Wärmeerzeugung für kommunale Fern- oder Nahwärmenetze erzeugten, „lange vorbei“.
KWK-Kraftwerke müssten nun schnell eine größere Rolle in der Energieversorgung spielen, deutete Roß an: Hochflexible örtliche Zehn-MW-Einheiten dieser Anlagen könnten in fünf Minuten ihre Leistung auf Volllast hochfahren und umgekehrt, während klassische Kohlekraftwerke dafür 45 Minuten brauchten. KWK-Anlagen sollen nach Meinung der Stadtwerke somit die Einspeisung der volatil erzeugenden Grünstromanlagen besonders gut ergänzen. Um hier eine Perspektive für Ausbau und wirtschaftlichen Betrieb der KWK bei den Stadtwerken zu schaffen, sei ein Kohle-Ausstieg bis 2045 zu langsam, sagte Roß.
Zuvor hatte auf dem Podium der Geschäftsführungsvorsitzende des Braunkohlekraftwerks-Unternehmen Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft, Armin Eichholz, für ein langsames Ausschleichen aus der Kohlekraft erst bis Mitte der 2040er Jahre plädiert. Dies sei schon allein deshalb vonnöten, weil sonst energieintensive Unternehmen in Deutschland nach dem bis 2023 erfolgten Ausstieg aus der Kernenergie und im Falle eines Kohleausstiegs zu schnelle Strompreisanstiege zu ertragen hätten. Denn dann würden zu große Strommengen von stattdessen einspringenden Gaskraftwerken den Preis über den „Merit-Order-Effekt“ am Strommarkt stark verteuern. Der bewirkt bisher, dass immer die jeweils teuersten gerade ins Netz einspeisenden Erzeugungstechnologien den aktuellen Stromhandelspreis bestimmen. Teag-Vorstand Roß antwortete, Sorgen um energieintensive Unternehmen wegen des Strompreises seien unbegründet, da die Bundesregierung für sie wohl wie bisher auch über Ausnahmeregelungen bei Abgaben und Steuern einen Ausgleich schaffen dürfte.
Extra-Forderung nach Energiewende-Marktregeln für KWK
Angesichts der sich immer weiter verzögernden Strommarkt-Neuregelungen scheinen die Stadtwerke aber bereits ihren Blick auf ihre bestehenden KWK-Anlagen zu verengen. Dabei handelt es sich um teils noch mit fossilen, teils mit regenerativen Brennstoffen oder durch Verbrennung von Müll betriebene Wärmekraftwerke. Sie passen flexibel ihre Stromerzeugung an die Strompreise an und erhöhen bei zu niedrigen Handelspreisen stattdessen ihre Erzeugung von Wärmeenergie für die städtischen Fernwärmenetze. Bisher allerdings ist die Flexibilität auch davon abhängig, ob die Stadtwerke bereits Wärmespeicher gebaut haben.
Nachdem die Bundesregierung am gestrigen Mittwoch einen ernüchternden Klimaschutzbericht vorgelegt hatte, der das immer wahrscheinlichere Verfehlen der nationalen Klimaschutzziele für 2020 in Wärme- und Verkehrssektor untermauert, lobte VKU-Hauptgeschäftsführerin Katherina Reiche ebenfalls am Mittwoch: „Der heute vorgelegte Klimaschutzbericht verdeutlicht, dass die Energiebranche ihre CO2-Minderungsziele fast auf den Punkt erreicht. … Erfreulich ist, dass der Bericht die Bedeutung der Kraft-Wärme-Kopplung als Klimaschutztechnologie bestätigt. Die im Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 vorgegebenen vier Millionen Tonnen CO2 werden "geliefert" …. Das zeigt: Die KWK hat nach wie vor erhebliches Klimaschutzpotenzial, sowohl für die Strom- als auch für die Wärmewende.“
Andere von Stadtwerken vorangetriebene Technologien und Dienstleistungen benannte Reiche nicht konkret. Sie betonte zwar, andere „Sektoren müssen erheblich nachlegen, um ihre jeweiligen Sektorziele zu erreichen“. Als einzige Forderung in Reaktion auf den Klimaschutzbericht erklärte sie: „Die Energiebranche benötigt so schnell wie möglich stabile Rahmenbedingungen für den KWK-Ausbau über das Jahr 2022 mit Perspektive auf das Jahr 2030 hinaus.“
(Tilman Weber)