Den letzten beißen die Hunde. Diese Weisheit stammt aus der Jagd. Die schwächsten Tiere werden von der Herde getrennt und gestellt. Damit lässt sich probat Politik machen, wenn es darum geht die Herde zusammen zu halten. Jahrelang hat die Bundespolitik Angst davor geschürt, die Sache mit dem Eigenverbrauch von Solarstrom nicht zu weit zu treiben, denn es könnte sich der Eigenverbraucher von der solidarischen Finanzierung der Energiewende verabschieden. Damit halten die Bundesregierungen der vergangenen Jahre, genauso wie die derzeit Mächtigen im Berliner Regierungsviertel eine riesige Neiddebatte aufrecht, die jeglicher Wahrheit entbehrt.
Denn seit ebenso vielen Jahren argumentieren die Branchen der erneuerbaren Energien, dass dies keinesfalls zur Entsolidarisierung führen würde. Zumindest ist dies die zentrale Vokabel, wenn es darum geht, den Eigenverbrauch von Solarstrom zu verteufeln und möglichst jede Kilowattstunde, die in dem Gebäude verbraucht wird, auf dessen Dach man sie produziert, gleich mit in die Finanzierung einzubeziehen. Natürlich ist die Logik erst einmal bestechend und einfach: Wenn der Eigenverbrauch nicht mit bei der Finanzierung der EEG-Umlage einbezogen wird, wird es irgendwann den Letzten geben, der sie ganz bezahlen muss. Die Summe ist beeindruckend und schürt Angst. Wer will am Ende schon allein auf den fast 24 Milliarden Euro sitzen bleiben, die die Übertragungsnetzbetreiber als Summe für die zu zahlende EEG-Umlage für das kommende Jahr ausgerechnet haben. Diese Summe ist beeindruckend und kann tatsächlich Angst machen.
38,6 Terawattstunden Eigenstrom bis 2035
Doch wie das so ist mit den einfachen Logiken, sie verkürzen die gesamte Dimension des Problems – meist sogar auf sträfliche Weise zu sehr. Denn niemand wird auf plötzlich eine Rechnung über 24 Milliarden Euro im Briefkasten finden, um die EEG-Umlage zu bezahlen. Denn es wird bei der ganzen Neiddebatte klammheimlich unter den Tisch gekehrt, dass jede Kilowattstunde Eigenverbrauch nicht an der Strombörse verramscht werden muss und damit diese Kilowattstunde im EEG-Konto gar nicht auftaucht und damit auch nicht die EEG-Umlage erhöhen kann.
Wie der Eigenverbrauch sich auf die EEG-Umlage auswirken wird, hat das Beratungsinstitut Prognos in einer Studie für Agora Energiewende ausgerechnet. Darin enthalten sind zwei gute Nachrichten für diejenigen, die Angst davor haben, am Ende der Letzte zu sein, der Strom aus dem Netz bezieht. Die erste ist: Es wird diesen Letzten nicht geben. Es lässt sich mit den zur Verfügung stehenden Technologien bis 2035 ein Eigenverbrauch von maximal 38,6 Terawattstunden realisieren. Dieser Wert basiert aber auf einer vollen Nutzung von elektrochemischen und thermischen Speicher sowie der Nutzung von Wärmepumpen und der elektrischen Warmwasserbereitung. Allerdings berücksichtigen hier die Analysten auch, dass eine Wärmepumpe oder ein Heizstab nicht ausschließlich mit dem Solarstrom vom eigenen Dach betrieben werden kann. Hier wird wieder Strom aus dem Netz in Zeiten fällig, in denen die Solaranlage nicht ausreichend Erträge liefert. Auf der anderen Seite sind dies Zeiten, in denen in der Regel viel Strom aus Windkraftanlagen im Netz ist und die Wärmeerzeuger damit von sich aus eine Art Demand-Side-Management durchführen.
Haushalte haben das größte Potenzial
Insgesamt verdrängt der konsequente Eigenverbrauch, der sich für den Anlagenbeitreiber wirtschaftlich darstellen lässt, jährlich maximal 20,3 Terawattstunden pro Jahr an Strom aus dem Netz. Angesichts eines Stromverbrauchs von 130 Terawattstunden pro Jahr in privaten Haushalten wäre das ein Anteil von 16 Prozent. Für den Dienstleistungssektor, der einen Stromverbrauch von 140 Terawattstunden pro Jahr hat, beträgt das derzeit wirtschaftlich realisierbare Potenzial an Eigenverbrauch 3,8 Terawattstunden. Das wären drei Prozent des gesamten Verbrauchs in diesen Branchen. Die Landwirtschaft und der Handel haben da schon mehr Potenzial. Nur 13 Prozent des Stroms, den diese Unternehmen verbrauchen, können wirtschaftlich durch selbst produzierten Solarstrom bereitgestellt werden. Den Rest der etwa 30 Terawattstunden müssen die Betriebe aus dem Netz beziehen. Alle anderen Dienstleistungsunternehmen wie das Hotelgewerbe, Krankenhäuser, Kleingewerbe, Bürogebäude haben zwar ein riesiges Potenzial für den Eigenverbrauch von Solarstrom. Allerdings sind dort die zur Verfügung stehenden Flächen nicht ausreichend, um einen erklecklichen Anteil zu erreichen. Die gute Nachricht für diese Unternehmen und Gebäudeeigentümer: Wenn sie eine Anlage auf dem Dach ihrer Immobilien errichten, lässt sich der größte Teil des Strom im Gebäude verbrauchen, auch wenn der Solarstrom mangels zur Verfügung stehender Flächen nicht annähernd den Bedarf decken kann. Solche Gebäude werden weiterhin größtenteils vom Strom aus dem Netz abhängig sein.
Insgesamt erwarten die Übertragungsnetzbetreiber für das Jahr 2017 einen Stromverbrauch von 457 Terawattstunden. Zum Vergleich: Derzeit liegt der Eigenverbrauch bei etwa 1,5 Terawattstunden, wobei für den größeren Teil von 1,174 Terawattstunden die komplette EEG-Umlage gezahlt wird.
EEG-Umlage steigt nur leicht und fällt schnell wieder ab
Es wäre auch ein höherer Wert erreichbar. Aber dies ist für den Eigenverbraucher aufgrund der dann anfallenden hohen Investitionskosten überhaupt nicht mehr wirtschaftlich darstellbar. Sicherlich, das schreiben auch die Analysten in ihrer Studie, ist nicht absehbar, inwieweit sich die Eigenverbraucher auch an dem Kriterium der Rentabilität orientieren oder sich dann doch für ein überdimensioniertes System entscheiden, um einen möglichst hohen Autarkiegrad zu erreichen.
Die zweite gute Nachricht: Selbst wenn dieses gesamte Potenzial sofort gehoben wird, was angesichts der gegenwärtigen Rechtslage kaum als realistisch anzunehmen ist, wäre ein kurzfristiger Anstieg der EEG-Umlage um 0,5 Cent pro Kilowattstunde zu befürchten. Die Betonung liegt hier auf kurzfristig. Denn der Anstieg der Eigenverbrauchs würde gleichzeitig zu einem geringeren Angebot von Ökostrom an der Börse und damit zu steigenden Börsenpreisen führen. Die Übertagungsnetzbetreiber könnten dann den eingespeisten Ökostrom zu höheren Preisen verkaufen und mehr Erlöse generieren. Da die EEG-Umlage ihrerseits die Differenz aus den steigenden Börsenerlösen und den sinkenden Einspeisevergütungen für Ökostrom sind – man kann diesen Fakt offensichtlich nicht oft genug wiederholen –, würde die EEG-Umlage sofort wieder sinken.
Mieterstrom ändert nichts an den Fakten
Die Experten von Prognos haben dabei mehrere Szenarien untersucht und in die Analyse erst einmal nur auf den Eigenverbrauch in Ein- und Zweifamilienhäusern und einzelne Wirtschaftszweige berechnet, die für die Nutzung des selbst erzeugten Solarstroms in Betracht kommen. Das Sind die Sektoren Handel, Gewerbe, Dienstleistungen sowie die Landwirtschaft und der Einzel- und Großhandel mit Lebensmitteln. Nicht mit in die Analyse einbezogen haben sie einen eventuellen Eigenverbrauch in Mietshäusern. Diese Segment ist dank der Bundesregierung noch nicht aus den Kinderschuhen herausgekommen. Hier gibt es noch viel Potenzial für den Eigenverbrauch zu heben. Doch die Debatte ist auch noch nicht beendet. Die Bundesregierung versucht hier eine separate Neiddebatte aufzumachen. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat die Absenkung der EEG-Umlage für Mieterstrom mit dem Argument abgelehnt, dass ja nicht gleich alle Mieter in den Genuss des preiswerten Solarstroms vom Dach kommen könne. Da weiß niemand, wie er sich das vorgestellt hat. Kann der Mieterstrom also erst von der EEG-Umlage befreit werden, wenn alle Vermieter sofort Solarstromanlagen auf das Dach ihrer Immobilien bauen? Auf diese Frage ist der Bundeswirtschaftsminister bisher eine Antwort schuldig geblieben. Doch selbst wenn der Eigenverbrauch in Mietshäusern mit einbezogen wird, kann er am Ende doch nur den fossilen Strom im Netz verdrängen. Der Effekt für die EEG-Umlage wäre ähnlich wie der des Eigenverbrauchs in Ein-und Zweifamilienhäusern, im Gewerbe und in der Landwirtschaft.
Wien und Bern machen es anders
Nicht betrachtet haben die Analysten von Prognos die Frage, wie die Kosten für das Stromnetz durch den Eigenverbrauch von Solarstrom neu verteilt werden. Angesichts des doch noch geringen Anteils an Eigenverbrauch muss aber kein Stromkunde die Befürchtung haben, er sein am Ende der Letzte am Netz und muss diese komplett bezahlen. Zumal der Eigenverbrauch die Kosten für das Netz erheblich reduziert, weil dieser Strom eben nicht eingespeist wird und damit Ressourcen im Netz nutzt. Dann fallen auch die Redispatchkosten und die Kosten für den erforderlichen Netzausbau weg. In Ländern wie Österreich und der Schweiz hat man das längst erkannt. Dort ist die Politik darauf ausgerichtet, so viel wie möglich Solarstrom in den Gebäuden zu verbrauchen und ihn aus dem Netz herauszuhalten, um die Kosten zu verringern. Vielleicht sollte Sigmar Gabriel einmal nach Wien oder Bern zu einer Reise aufbrechen, um sich dort zu informieren, wie Energiewende angepackt werden kann, statt sie zu behindern. (Sven Ullrich)