Wie die Projektpartner des 2020 gestarteten Westküste-100-Projektes zum Bau eines 30-Megawatt-Elektrolyseurs im schleswig-holsteinischen Heide jetzt mitteilten, haben sie das Projekt aus wirtschaftlichen Gründen aufgegeben. Insbesondere zu stark gestiegene Kosten, aber auch eine fehlende klare wirtschaftliche Perspektive im Zusammenhang mit ungeklärten Marktregeln geben die Partner zur Begründung ihrer Entscheidung an. Das Joint Venture H2 Westküste GmbH habe die Investitionsentscheidung mit einem negativen Votum abgeschlossen. Die Joint-Venture-Partner würden nun „in enger Abstimmung“ mit dem Bundeswirtschafsministerium als Fördergeldgeber und dem für die Auszahlung der Fördergelder zuständigen Projektträger Jülich „die Abwicklung der H2 Westküste vorbereiten.“
Das Förderprojekt Westküste 100 war zum Zeitpunkt der Förderzusage durch den damaligen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) eines der ersten Projekte zur Herstellung grünen Wasserstoffs im Industriemaßstab mit dem Ziel einer Einbindung in ein wirtschaftliches Konzept, das Altmaier in das 2018 gestartete Anschubprogramm „Reallabor der Energiewende“ aufnahm. In der ersten Zuschlagrunde 2019 nahm das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) das Projekt auf, das mit einem sehr weitreichenden technischen Konzept und einem sehr hohen Energienutzungsgrad überzeugte. Die Partner – die Raffinerie Heide, das Tochterunternehmen des französischen Energiekonzerns EDF – Hynamics, Bauunternehmen Holcim, Netzbetreiber OGE, das dänische Windenergie- und Energieversorgungsunternehmen Ørsted, die Stadtwerke Heide, Stahlbauunternehmen Thyssenkrupp, das Stadtwerke-Joint-Venture Thüga, die Entwicklungsagentur Region Heide und die Fachhochschule Westküste – sollten das Gesamtprojekt bis zum Ende der Laufzeit 2025 in Betrieb nehmen und auswerten. Geplant war der Bau des Elektrolyseurs auf dem Gelände der Raffinerie. Der nur aus Offshore-Windparks mit Strom belieferte Elektrolyseur sollte den Wasserstoff insbesondere als Grundstoff für die Raffinerie liefern, die daraus über den Zwischenschritt einer Methanolsynthese vorrangig synthetisches Kerosin für Flugzeuge produzieren sollte, ohne diesen Zwischenschritt aber auch Wasserstoff zum Betanken von Brennstoffzellenautos und zum Beimischen in Erdgas. Um die Effizienz noch weiter zu erhöhen, sah das Konzept außerdem eine Nutzung des freiwerdenden Sauerstoffs im benachbarten Holcim-Zementwerk für eine CO2-Abscheidung der Kohlendioxid (CO2) emittierenden Zementproduktion vor. Das abgeschiedene CO2 wiederum hätte das Zementwerk für die Methanolsynthese geliefert. Überschüssigen Wasserstoff aus dem Elektrolyseur hätten die Partner in unterirdischen Kavernen einlagern können, die sich nördlich der Raffinerie befinden. Weitere Effiziengrade extra sah das Konzept durch Ableitung der Elektrolyse-Abwärme in die Fernwärmeversorgung des örtlichen Gewerbegebietes sowie durch eine Versorgung eines Wohngebietes mit Wasserstoff (H2) vor. Das H2 sollte die Erdgasversorgung des Wohngebietes zu 20 Prozent mit dem emissionsfreien grünen Energieträger anreichern. Die Stadtwerke Heide hatten zuletzt die neuen Spezialrohre für den hochflüchtigen Stoff H2 schon verlegt.
Der Elektrolyseur hätte Ende 2023 gemäß den Planungen tatsächlich bereits Wasserstoff ins Gasversorgungsnetz des eingebundenen Wohnviertels eingespeist, wäre alles nach Plan verlaufen. Doch die insgesamt 36 Millionen Euro Fördergeld sahen die Projektpartner nun nicht mehr als genug an, um die Wirtschaftlichkeit zu garantieren. 89 Millionen Euro hatte das ursprünglich kalkulierte Investitionsvolumen betragen. Bisher haben die Partner nach eigenen Angaben eine Million Euro der Förderung ausgegeben, wie sie mitteilen.
Im Detail bewerten diese insbesondere die gestiegenen Baukosten des Elektrolyseurs und der Infrastruktur sowie eine inzwischen zu niedrige Strafgebühr für die bisherige Erzeugung sogenannten grauen Wasserstoffs aus Erdgas als bedeutend. Die Strafzahlungen seien so gering, sagte ein Reporter im Fernsehen des NDR, dass durch das neue Projekt nicht genug einzusparen gewesen wäre.
Anschlussprojekt mit 500-Megawatt-Elektrolyseur besteht weiter – 2026 am Start?
Die Partner Hynamics, Holcim, Ørsted und Raffinerie Heide wollen aber bislang das viel größere Anschlussprojekt Hyscale 100 fortsetzen. Es sieht den Bau eines viel größeren Elektrolyseurs mit mindestens 500 Megawatt (MW) Leistung vor, der sich perspektivisch auf mehr als zwei Gigawatt ausbauen ließe. Hyscale 100 soll im größeren Maßstab die gesamte Region mit Wasserstoff versorgen. Die Landesregierung hatte 2022 bereits Fördergelder in Höhe von 194 Millionen Euro für dieses Jahr, 2023, bereitgestellt. Die Inbetriebnahme ist für 2026 vorgesehen.
Eine Fortsetzung ihrer Projektarbeit in Heide stellten die drei Partner nicht in Abrede. „Auch nach der jetzt getroffenen Entscheidung werden wir weiter mit Hochdruck an der Dekarbonisierung der Raffinerie Heide arbeiten. Der Aufbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft an der Westküste Schleswig-Holsteins spielt hierfür nach wie vor eine wichtige Rolle.“, sagte Raffinerie-Geschäftsführer Roland Kühl. Gleichwohl hieß es im NDR, die Raffinerie habe auf Anfrage erklärt, dass das Unternehmen noch nicht wisse, wie die Projektierung fortzuführen sei. Der Reporter zitierte die Raffinerie-Führung damit, dass nun die Marktentwicklung zu beobachten sei. Schleswig-Holsteins Energiewendeminister Tobias Goldschmidt soll betont haben, dass das Land für das Projekt Gelder reserviere.
Mit unserem kostenlosen Newsletter halten wir sie über die wichtigsten Entwicklungen der Offshore-Windstrom-Nutzung sowie auch der Wasserstoffwirtschaft in ganz Europa auf dem Laufenden. Hier können Sie ihn abonnieren.