Für die Direktvermarktung von Strom aus Erneuerbaren spielt in Frankreich seit der jüngst erfolgten Einführung der verpflichtenden Direktvermarktung ähnlich dem deutschen Marktprämienmodell (Abbildung 1, die Erklärung des Modells finden Sie weiter unten) nicht mehr nur der absolute Jahresertrag eine Rolle, sondern auch dessen zeitliche Verteilung. Der stundenscharfe Einspeisegang bestimmt, welche Erlöse durch den Stromverkauf zu ebenfalls schwankenden Stundenpreisen an der Strombörse erzielt werden können. Der Wert des Stroms hängt daher sowohl von der zeitlichen Verteilung der Erträge am Standort sowie den technischen Parametern der Anlagen selbst ab.
Wie dieser Artikel zeigt, ist für die wirtschaftliche Optimierung von Direktvermarktungs-Projekten in Frankreich somit eine Kenntnis der Abweichungen vom monatlichen Marktwert „M0“ bedeutend – sowohl für die optimale Vermarktung der Stromproduktion durch einen Direktvermarkter als auch bei der Investitionsentscheidung für Projektentwickler und Anlagenbetreiber. Daneben birgt das französische Modell einige Besonderheiten, die es vom deutschen Marktprämienmodell unterscheiden.
Verpflichtende Direktvermarktung – Risiko oder Chance?
Im bisherigen Vergütungsmodell für Windstrom in Frankreich wurde eine zweistufige fixe Einspeisevergütung gesetzlich festgelegt, welche dann vom Staatskonzern EDF über einen Zeitraum von 15 Jahren ausbezahlt wurde. Sie setzte sich zusammen aus einer zehnjährigen Anfangsvergütung von 8,2 Cent pro Kilowattstunde (kWh) sowie einer fünfjährigen weiteren Vergütung zwischen 2,8 Cent und 8,2 Cent pro kWh.
Diese fixe Einspeisevergütung wurde auf jede eingespeiste Kilowattstunde gezahlt ‒ unabhängig vom Zeitpunkt der Netzeinspeisung. Das Erlösrisiko mit solch einem Vergütungssystem reduziert sich auf das Ertragsrisiko. Ein Strompreisrisiko besteht durch die fixe Einspeisevergütung für den Betreiber nicht. Mit der Einführung der verpflichtenden Direktvermarktung für alle neuen Windenergieanlagen sowie für PV-Anlagen ab 500kW geht der Gesetzgeber in Frankreich nun einen Schritt in Richtung Strommarktintegration. Daneben bekommen auch Bestandsanlagen die Möglichkeit, freiwillig in die Direktvermarktung zu wechseln. Nach dem französischen Gesetz zur Energiewende aus dem Jahr 2015 wurden im vergangenen Jahr weitere Details des Modells im Rahmen von Verordnungen geregelt. Im Kern wurde dabei ein System geschaffen, das dem deutschen Marktprämienmodell in den wesentlichen Charakteristika gleicht, aber im Detail davon abweicht.
Hintergrund und Funktionsweise der Direktvermarktung
An den Anlagenbetreiber ausbezahlt wird eine monatlich gleitende Marktprämie („complément de rémunération“), die sich als Differenz aus Bemessungsgrundlage (Einspeisevergütung beziehungsweise künftig der Zuschlag aus einer Auktion) und Referenzmarktwert M0 errechnet. Diese Bemessungsgrundlage wird irgendwann ab diesem Jahr, also noch in 2017, entweder gesetzlich festgelegt oder im Rahmen von Ausschreibungen ermittelt. Denn nach dem Willen der Europäischen Union sind auch in Frankreich für Windparks an Land künftig Ausschreibungen geplant. Wann aber die Ausschreibungen starten werden, hängt noch vom Gesetzgeber ab, der hier nach der Parlamentswahl in Frankreich noch Hausaufgaben zu erledigen hat. Je nachdem, wann die neuen Windparkprojekte Wirklichkeit werden, wird die Bemessungsgrundlage also noch nach dem bisherigen Muster oder eben durch Gebote am Markt festgelegt.
Der „M-zéro“ (M0) errechnet sich dabei monatlich aus den mengengewichteten Vermarktungserlösen des gesamten Portfolios von Windenergie beziehungsweise PV in Frankreich. Wobei Stunden mit negativen Börsenpreisen nicht in die Berechnung mit einbezogen werden. Ähnlich dem Marktprämienmodell in früheren Versionen des deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) erhalten Anlagenbetreiber, die nicht an Auktionen teilnehmen müssen, daneben noch eine Managementprämie (MP), deren Höhe für die gesamte Förderdauer vom Gesetzgeber festgelegt wird. Für Windenergieanlagen beträgt sie aktuell 2,8 Euro pro Megawattstunde (MWh). Die Ausgangshöhe kann zukünftig allerdings vom Gesetzgeber angepasst werden.
Ein Designelement, das in dieser Form im deutschen Marktprämienmodell nicht existiert, ist die Integration des französischen Kapazitätsmarktes (KM) in den EE-Fördermechanismus. Im Falle der Einspeisevergütung werden Erlöse aus diesem Markt von der Marktprämie abgezogen, um eine Doppelförderung zu vermeiden. Denn der Kapazitätsmarkt ist in Frankreich Pflicht. Anders als in Deutschland vor allem von der konventionellen Energiebranche erhofft, ist er auch keine zusätzliche Verdienstmöglichkeit. Diese Verdienstmöglichkeit soll sich nach dem Willen der Energieunternehmen hierzulande ergeben, sobald der neue und womöglich staatlich geförderte Strommarkt für bereit gehaltene Erzeugungskapazitäten (zum Zwecke der Frequenzregelung im Stromnetz) vielleicht doch noch eröffnet wird.
In Frankreich aber gilt: Sobald die Förderhöhe durch Auktionen bestimmt wird, wird angenommen, dass die Bieter etwaige Erlöse aus der Kapazitätsvermarktung in ihre Gebote einpreisen. Daher erfolgt ab dann keine explizite Verrechnung der Kapazitätsmarterlöse mehr.
Abbildung 1 illustriert die Systematik und die Erlösbestandteile des französischen Direktvermarktungsmodells, wie sie heute noch gelten: Zu sehen ist die Vergütung nach dem heutigen Marktprämienmodell Complément de Rémunération im Stromtarif TE: Die Einspeisevergütung nach der Bemessungsgrundlage von 8,2 Cent pro Kilowattstunde (linke Säule) geht monatlich von den nach eingespeisten Mengen gewichteten aktuellen Durchschnitts-Handelspreisen für die Windstrom-Megawattstunde in Frankreich aus (blaue Säulenbasis). Die gleitende Marktprämie (hellgrün) bringt die fehlenden Einnahmen bis zum garantierten Vergütungspreis von 82 Euro pro MWh. Allerdings dürfen die Umsätze aus dem Kapazitätsmarkt nicht zu einem zusätzlichen Einnahmeplus führen. Deshalb fließt die gleitende Marktprämie vermindert um die Höhe der Kapazitätsmarkteinnahmen (grau). Die zusätzliche Managementprämie (gelb) soll die Direktvermarktungskosten (orange) im niederen Cent-Bereich abdecken.
Die Chancen und Risiken, die dieses Modell für Windparks in Frankreich bedeutet: Wo die Windernte nur dann hoch ausfällt, wenn sie in Frankreich ohnehin hoch ist und in daher gerade die Börsenstrompreise fallen, bringt die Direktvermarktung nur unterdurchschnittliche Einnahmen: weniger, als der Marktwert M0 erwarten ließ. Dies ist das Mindererlösrisiko (Abbildung 1, mittlere Säule), das sich als Lücke (weiß) in den Einnahmen bemerkbar macht. Umgekehrt besteht eine Mehrerlös-Chance für Windparks, die antizyklisch viel Strom erzeugen, wenn in den Windparkkonzentrationszonen im Nordosten Frankreichs eher Flaute herrscht und der Stromhandelspreis nach oben geht. Antizyklisch einspeisende Projekte haben dadurch einen besseren individuellen Marktwerkt (rechte Säule). Nicht unbedingt gewinnen sie hierbei nur die Mehreinnahmen. Möglicherweise gewähren die von den Windparkbetreibern beauftragten Direktvermarkter den Projekten mit höherem Marktwerkt auch noch Nachlass bei den Gebühren, um sich diese umsatzstarken Windparks im Konkurrenzkampf mit anderen Direktvermarktern zu sichern. Dann sind die Kosten für Direktvermarktung geringer als die Managementprämie – was ebenso ein finanzielles Plus einbringt. Umgekehrt können Windparks mit geringem Marktwert und Mindererlösrisiko eventuell besonders hohe Direktvermarktungskosten nicht vollständig durch die Managementprämie ausgleichen.
Eine weitere Besonderheit stellt das französische Pendant zur Regelung des §51 EEG 2017 dar. Um die Abregelung von geförderten Windenergieanlagen zu Zeiten negativer Börsenstrompreise zu forcieren, wird die Zahlung der Marktprämie ausgesetzt. Diese Regelung greift in Frankreich bereits ab der ersten Stunde, in der ein Strompreis kleiner Null herrscht, nicht erst ab der sechsten Stunde wie in Deutschland. Bei Überschreiten einer Mindestanzahl von negativen Preisen pro Jahr wird den französischen Anlagenbetreibern hingegen zusätzlich eine Prämie für die verlorene Einspeisung in diesen Stunden ausbezahlt. Dies kommt einer (anteiligen) Kompensation für die mit der Abregelung verbundenen Erlösverluste gleich.
Auswirkungen der Direktvermarktung auf die Projekte
Der wichtigere Faktor für die Chance eines Mehrerlöses oder das Risiko eines Mindererlöses für Wind- und PV-Projekte ist aber die Differenz zwischen dem Referenzmarktwert und dem projektspezifischen Marktwert. Abbildung 2 zeigt für ein historisches Beispieljahr und einen beispielhaften Windturbinentyp die regionale Verteilung der Differenz der standortspezifischen Marktwerte zum Referenzmarktwert M0.
Daraus wird ersichtlich, dass insbesondere Regionen mit einem signifikanten Gleichschrittverhalten der Winderzeugung zum Gesamtportfolio unterdurchschnittliche Großhandelserlöse beziehungsweise Marktwerte aufweisen.
Um es genauer zu erklären: Fast 50 Prozent der in Frankreich installierten Windenergieleistung finden sich in den nordöstlichen Regionen Champagne-Ardenne, Lorraine, Picardie und Nord-Pas-de-Calais. In Zeiten von höheren Windgeschwindigkeiten in diesen Regionen (siehe blaue Flächen) besteht ein so hohes Windstromangebot, dass die Börsenstrompreise und damit die technologiespezifischen Vermarktungserlöse sinken. Wenn der Wind aber in anderen Regionen auffrischt und zugleich in den Windkraftzenten abflaut, kann diese antizyklische Erzeugung in besonders günstig gelegenen Gegenden (rot) zu regelmäßig deutlich höheren Börsenstrompreisen führen.
Diese geldwerten Unterschiede zwischen den Regionen sind in Frankreich sogar deutlich größer als in Deutschland: Französische Regionen mit einem abweichenden Einspeiseprofil können höhere Großhandelserlöse erzielen, weil sie dem wetterbedingten Gleichschritteffekt der Windstromerzeugung weniger ausgeliefert sind. Dies trifft vor allem dort zu, wo bisher nur wenig Windenergieleistung installiert ist, etwa auf die Region Rhône-Alpes. Die Unternehmensberatung Enervis und das Windgutachterbüro Anemos haben gemeinsam die Erlöschancen und -risiken von französischen Windenergieanlagen in Form von Marktwertatlanten analysiert. Diese Atlanten zeigen historische Abweichungen in der Größenordnung von +/- 5 Euro pro MWh. Die französischen Marktwertdifferenzen fallen im Vergleich zum deutschen Markt also signifikant höher aus, wo diese Abweichungen eher +/- 2 Euro pro MWh betragen.
Auch im PV-Bereich spielt die Abweichung im Einspeiseverhalten einzelner Anlagen eine wichtige Rolle. Die Differenzen zum Referenzmarktwert, die sich daraus ergeben liegen für die vergangenen Jahre in der Größenordnung von -/+ 1 Euro pro MWh. Hierbei spielt der Standort sowie die Ausrichtung und Modulneigung eine wichtige Rolle, wie PV-Marktwertatlanten für den französischen Markt zeigen, die enervis ebenfalls berechnet hat.
Systematische Analyse von Marktwertabweichungen
Die Einführung der Direktvermarktung in Frankreich forciert die Strommarktintegration der Erneuerbaren auch bei unseren westlichen Nachbarn. Damit werden Marktwerteffekte, die im deutschen Marktprämienmodell bereits seit einigen Jahren bestehen, auch im französischen Wind- und PV-Markt erlös- und erfolgsrelevant. Ihre Bewertung erfordert energiewirtschaftliche Marktwertanalysen, die projektspezifische Großhandelserlöse quantifizieren und das Mehrerlöspotenzial oder das Mindererlösrisiko systematisch bewerten. Folgende Anwendungsbereiche ergeben sich:
- Für Bestandsanlagen können zunächst für die Historie und daraus abgeleitet auch für die mittelfristige Zukunft die Mehr- oder Mindererlöse simuliert werden. Diese Analysen bilden die Grundlage zur Überprüfung und Verhandlung der projektspezifischen Direktvermarktungskonditionen.
- Für Neubauprojekte ist ergänzend zum klassischen Ertragsgutachten ein Erlösgutachten zu empfehlen. Das Erlösgutachten hat die Aufgabe, die Großhandelserlöse eines Wind- oder PV-Projektes technologiespezifisch über die Betriebslaufzeit unter Berücksichtigung der standortspezifischen Wind- und Einstrahlungsverhältnisse (stündliche Auflösung) und einer fundamentalen Strompreisprognose (stündliche Auflösung) zu quantifizieren. Hierdurch werden Mehrerlöschancen oder Mindererlösrisiken bewertet und einem Technologievergleich unterzogen. Sie werden damit zu einem zusätzlichen Einflussfaktor bei der Investitionsentscheidung. Ebenfalls sind etwaige Strommarkterlöse nach Ende der Förderung zu bewerten, denn sie machen einen nicht unerheblichen Anteil der Gesamterlöse über die Projektlebensdauer aus.
Fazit: Direktvermarktung in Frankreich
Das Direktvermarktungsmodell übernimmt somit bewährte Elemente aus anderen Systemen, wie etwa dem deutschen Marktprämienmodell, und ergänzt diese um Spezifika des französischen Marktes wie den Kapazitätsmarkt. Da jedoch nicht alle Regelungen in einem einheitlichen Regelwerk niedergeschrieben, sondern Stück für Stück durch Verordnungen definiert wurden, herrscht noch Unsicherheit, welche Windenergieanlagen von der Neuregelung betroffen sind und eventuell auch davon profitieren können. Mit der Veröffentlichung von historischen Marktwerten und Vergütungssätzen sowie der baldigen Einführung von Ausschreibungen sollte sich die Direktvermarktung jedoch auch in Frankreich schnell etablieren. Sie wird damit genauso Branchenstandard, wie sie es heute in Deutschland ist.
Autoren:
Daniel Peschel und Nicolai Herrmann
enervis