Es ist selten, dass die Windenergieverbände und Statistiker des Wachstums deutscher Turbinenwälder dieses Wort so offensiv benutzen. Doch der noch einmal um 66 Prozent über dem Vergleichszeitraum des Boomjahres 2013 liegende Rekordzubau von 1,8 Gigawatt brutto muss wohl der Öffentlichkeit vermittelt werden. „Wir spüren hier einen Vorzieheffekt durch die Verunsicherung in Folge der Strompreisdebatte und der Abstandsregelungen im Vorfeld der Novelle des EEG 2.0. Da die Investoren unsicher waren, was das EEG 2014 bringen würde, haben sie Windenergieprojekte an Land mit Hochdruck realisiert.“, sagte Lars Bondo Krogsgaard, Mitglied des Vorstands von VDMA Power Systems, auf der Pressekonferenz der Verbände BWE und VDMA. Die Erklärung ist ihm aber noch zu schwach: "Ich würde von sich überlagernden und teilweise gegenseitig verstärkenden Effekten sprechen“, betonte er.
Denn vieles am im August in Kraft tretenden neuen Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) sorgt schon jetzt für Unsicherheit und künftig für bisher nicht gekanntes unternehmerisches Risiko bei Projektierern und Investoren. So sehen die Branchenvertreter nicht nur eine beschleunigte Anlagenerrichtung in diesem Jahr, zumal Ende 2014 die Stichtagsregelung für alle bis 22.Januar 2014 genehmigten Projekte ausläuft und danach ans Netz angeschlossene Projekte nicht mehr nach den bisherigen höheren EEG-Tarifen vergütet werden. Das EEG 2014 führt aber nicht nur einen Wechsel der bisherigen festen Vergütungssätze zu einem System der Stromdirektvermarktung mit nur teilweise garantierten Preisen ein. Es sieht auch ab 2017 ein System vor, in dem Windparkprojekte über Ausschreibungen bestellt werden und über die Vergütungspreise letztlich der Bieterwettbewerb entscheidet.
Vorzieheffekt auch 2015
Und auch wenn Vorzieheffekt als nicht so schönes Wort für Statistiker einer Branche gilt, weil es branchen- oder gar sachfremde Gründe für das eigene Tun signalisiert:
Die Branchenverbände erwarten sogar, dass der Vorzieheffekt anhalten wird. Windparkprojektierer und Turbinenhersteller würden dann noch schnell vor Einführung einer nächsten schlechteren Vergütungsregel bereits in Vorbereitung befindliche Vorhaben durchziehen. Das würde 2015 immerhin noch zu einem Ausbau der Windkraft an Land um weitere 2,5 Gigawatt im Gesamtjahr führen, argumentierte Krogsgaard, wie etwa auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung gestern verbreitete. Bei 2,5 GW hat die Bundesregierung mit der EEG-Novelle nämlich einen atmenden Deckel eingeführt, der bei einem noch größeren Zubau zu weiteren Senkungen des Vergütungsniveaus führt. 2,5 Gigawatt entspricht dem Nettozubau an Land in Deutschland des vergangenen guten Windjahres. Wieso die Branche aber tatsächlich genau bei 2,5 GW landen sollte und nicht auf die Gefahr hin eines später eintretenden Verfalls der Einspeisepreise bei mehr, erklärten die Branchenvertreter nicht. Und es erschließt sich auch aus der Systematik des neuen EEG nicht.
Im Detail haben die Windenergiefirmen in Deutschland in den ersten sechs Monaten 1,72271 GW an Land und 108 Megawatt (MW) auf See neu errichtet. 267 MW an Land resultieren aus Repoweringprojekten. Dabei seien Altanlagen mit mindestens 64 MW abgebaut worden. Netto wuchs also die installierte Leistung im Halbjahr um höchstens 1,65 GW - das abgebaute Leistungsvolumen gilt als häufig unterschätzt, da die Repoweringprojektierer nicht immer alle abgebauten Windenergieanlagen melden. Das kumulierte Erzeugungsvolumen der Windkraft aller ans Netz angeschlossenen Anlagen erhöhte sich auf gut 35 GW. BWE-Präsident Hermann Albers betonte, er erwarte bis Ende 2014 einen Gesamtjahreszubau von rund 3,7 GW. Mit einer dann insgesamt Windstrom in Deutschland erzeugenden Kapazität von 37 GW dürfte der Anteil im Stromnetz seiner Meinung nach einen markanten Schwellenwert erreichen: "Das bedeutet für die Windenergie an Land einen weiteren Anstieg des Anteils an der Stromerzeugung auf dann bis zu zehn Prozent."
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Bayern letztes Mal mit vorn? Baden-Württemberg am Nullpunkt.
An der regionalen Verteilung fällt allerdings eine womöglich doch erste negative Auswirkung des Reformprozesses der vergangenen Monate auf: So erhöhte die Branche im Winter und Frühjahr den prozentualen Anteil Süddeutschlands an der gesamt installierten Kapazität kaum noch - ganz anders als im vergangenen Jahr. Rund 13 Prozent kamen erneut in Ländern wie Bayern, Baden-Württemberg, aber auch dem Süden Hessens und Rheinland-Pfalz neu ans Netz.
Vor allem im vergangenen Jahr 2013, aber auch schon merklich seit 2011 hatte Süddeutschlands Bedeutung als Installations-Großregion kontinuierlich zugenommen. Die Energiewende 2011 mit dem gesetzlich forcierten Ausstieg aus der Atomkraft sowie die in der Energiepolitik auf Windkraft umschwenkenden Landesregierungen hatte dazu geführt. Aber auch die Einführung effizienter Binnenlandturbinen mit besonders großen Nabenhöhen und Rotordurchmessern half, den eher unsteten Südwind zu erschließen.
Dabei dürfte Bayern mit 140,55 MW zugebauter Leistung von Januar bis Juni einen ganz eigenen Vorzieheffekt erlebt haben. So hatte Ministerpräsident Horst Seehofer bereits im vergangenen Jahr eine neue Abstandsregelung des Zehnfachen der Anlagengesamthöhe für jeden neuen Windpark als gesetzliche Mindestdistanz zur nächsten Siedlung angekündigt. Die Regel ist vor kurzem eingeführt worden - doch zuvor dürften viele Projektierer länger geplante Vorhaben eilends zum Abschluss gebracht haben. Allerdings waren aus dem weiß-blauen Freistaat auch Klagen von Projektierern laut geworden, Behörden hätten ihnen im vorauseilenden Gehorsam schon vorher Steine in den Weg gelegt. Während Bayern so auf Platz sechs der Bundesländer mit dem größten Kapazitätszubau verblieb, belegt Baden-Würtemberg mit nur noch einer neu installierten Turbine in sechs Monaten das Scheitern einer grün-roten Landesregierung. Die wollte nach ihrem Amtsantritt 2011 die bisher von CDU und FDP geprägte windkraftfeindliche Landespolitik umkehren und jährlich 100 bis 150 neue Anlagen errichten lassen. Doch der erwartete Start des Ausbaus spätestens ab 2014 ist nicht in Sicht.
Dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann von den Grünen fiel gestern zunächst keine andere Losung ein, als von "Übergangsproblemen" zu reden, die den ehrgeizigen Ausbauplan seiner Administration nicht in Gefahr brächten. Der Landtagssprecher für Energiethemen der CDU frohlockte dagegen, die Statistik belege das Scheitern der grün-roten Version der Windenergiewende. Er verwies auf das tatsächlich vorhandene Problem: So wollte Kretschmanns Koaliton die Windenergieplanung mit einer gänzlich neu ausgerichteten Balance zwischen Landesregierung, Regionaplanungsbehörden, Landkreisen, Umweltschutzbehörden und Ländern zu nachhaltigen aber schnellen und dezentralen Abstimmungen bringen. Doch dauert der komplizierte Prozess deutlich länger als vorgesehen. Und wohlgemerkt: 2016 steht in Stuttgart die Landesregierung und mit ihr die Energiepolitik erneut neu zur Wahl.
Wichtigstes Ausbauland war mit Abstand wieder Schleswig-Holstein (443 MW) vor Niedersachsen (190 MW), Brandenburg (189 MW), Mecklenburg-Vorpommern (174 MW) und Rheinland-Pfalz (161 MW). Allerdings dürfte nördlich der Elbe auch ein Großteil der Repoweringbautätigkeit stattgefunden haben, dürften hier die meisten Altanlagen abgebaut und im Gegenzug leistungsstärkere Großturbinen neu errichtet worden sein. Die vom Dienstleister Deutsche Windguard traditionell herausgegebenen Halbjahreszahlen weisen nicht aus, wie viel Nettozubau es bezogen auf die Bundesländergrenzen gibt.