Der Verein Watt 2.0 ist eine echte schleswig-holsteinische Selbsthilfeorganisation der an der nordfriesischen Nordsee groß gewordenen mittelständischen Energietechnologie-Szene. Die Gründung von 2011 war eine frühe Antwort darauf, dass ihre entlang der Küste dicht installierten Photovoltaikanlagen und Windturbinen immer häufiger auf Anweisung der Netzbetreiber abschalten müssen. Weil das Stromnetz für die große regenerative Erzeugung in der ländlichen Region nicht genügend ausgebaut ist, müssen ihre Betreiber die Stromerzeugung einstellen und stattdessen die gesetzlich vorgesehene Entschädigung beim Netzbetreiber verlangen – und das Geld mitunter in langwierigen Beantragungsverfahren mühsam eintreiben. Watt 2.0 will als Unternehmensnetzwerk mit inzwischen 80 Mitgliedern politische und technologische Konzepte anregen, die eine wieder höhere Stromerzeugung an der Nordsee zulassen – und den Strom beispielsweise über die sogenannten Sektorengrenzen hinweg zur Wärmeerzeugung oder als Kraftstoff für den Verkehr abzweigen lassen.
Watt 2.0 hat nun auf der heute begonnenen Verbraucher und Kleinerzeugermesse New Energy in Husum erstmals die Agenda gesetzt. Vorträge und Konferenzthemen fokussieren sich ganz auf neuartige Nutzungskonzepte für die typische Klientel der Messe. Diese klassifizieren Stadtwerke und Energiekonzerne in großen Städten gerne als Prosumer, wo sie lange Zeit eher als schwer handhabbares Milieu galten. Fallen sie doch als einfache und verlässliche Strom- und Wärmekunden zunächst aus. Für Watt 2.0 und auch für die schleswig-holsteinische Landespolitik sind sie die Lösung – in Zusammenarbeit mit den Industrieunternehmen der Region.
Die Konzepte und Vorträge behandeln alte und neue Ideen wie die Nutzung von Elektro-Autos zum Tanken überschüssigen Windstroms, wie die Erzeugung von heizbarem Gas aus Strom. Die Steuerung des Verbrauchs im sogenannten Demand-Side-Management und wie damit sowohl für die Stromkunden, als auch die Stromlieferanten Geld zu verdienen ist gehört außerdem zu diesen Konferenzthemen. Als prominentes Zugpferd nimmt der aus dem Bundestag ausgeschiedene Grünen-Politiker und EEG-Vorkämpfer Hans-Josef Fell auf dem Podium teil.
„Bei uns im hohen Norden ist das Bewusstsein sehr stark schon ausgeprägt, dass die Sektorenkopplung riesige ökonomische Chancen für uns birgt“, sagt dazu Timo Bovi, „deshalb wächst hier die Dringlichkeit umzudenken.“ Bovi ist der Politik- und Öffentlichkeitsbeauftragte des nordfriesischen Projektierungsunternehmens GP Joule. Dessen Geschäftsführer Ove Petersen ist Mitgründer und Vorstandsvorsitzender von Watt 2.0.
Den Anstoß für die Messe- und Konferenzteilnehmer der New Energy sieht das Unternehmen auch deshalb für gekommen, weil die schleswig-holsteinische Landesregierung einen Gesetzesentwurf für ein trickreiches Ausschreibungssystem für Verbrauchslasten lanciert hat. Dieser wird möglicherweise von der Bundespolitik nicht mehr in der jetzt schon heißen Reformphase des Erneuerbare-Energie-Gesetzes (EEG) behandelt – und im neuen „Ausschreibungsgesetz“ keine Rolle mehr spielen. Doch das Gesetz könnte kurz darauf noch zum Zuge kommen, hofft man bei Watt 2.0 und der schleswig-holsteinischen Landesregierung.
Der Entwurf soll regeln, dass bei Netzengpässen Verbraucher wie Betreiber von Power-to-Gas-Anlagen – also Anlagen zur Umwandlung überflüssigen Erneuerbaren-Stroms in Gas – oder wie beispielsweise Industrieunternehmen in Auktionen Extramengen an Strom ersteigern können. Diese Stromlieferungen können die Bieter nach einem Zuschlag in der Versteigerung frei von der sogenannten Letztverbrauchsabgabe beziehen. Sie bieten die Abnahme zu Preisen zwischen 0 Cent und höchstens dem Börsenstrompreis an. Als zuschaltbare Lasten müssen sie dann nach einem Sieg in der Auktion den Strom auch abnehmen – und die Power-to-Gas-Anlage anwerfen oder beispielsweise mehr Produktionsmaschinen. Wie nah die Verbraucher auch tatsächlich der von Überlastung bedrohten Stromleitung sein müssen oder zu den Erneuerbare-Energien-Anlagen ist auch in dem Konzept noch offen.
GP Joule jedenfalls will sich mehr und mehr auch als Konzepte-Verkäufer für sektorenübergreifende Stromnutzung aus erneuerbaren Energien betätigen, „neben dem klassischen EPC-Geschäft“, wie es Timo Bovi sagt.
Hier zeigt sich, wie als Gegengewicht zur wenig durchdachten Energiewendereform der Ausschreibungen nun wieder eine Graswurzelbewegung entstehen könnte. Sie könnte die von der Politik gerade auch in den Ausschreibungsregeln für die Windkraft vernachlässigte Überschreitung der Sektorengrenzen von Strom-, Wärme- und Verkehrsenergie angehen. So wie die Vorgänger der heutigen Erneuerbaren einst den Erneuerbaren-Ausbau als Bewegung gegen die vorherrschende Energiepolitik vorantrieben. Die Vertreter dieser mittelständischen Bewegung mit Watt 2.0 müsste sich nur noch als eine solch auch politische Gegenbewegung begreifen und ernst nehmen. Immerhin hat sie schon die Unterstützung ihrer Landesregierung.
(Tilman Weber)
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