Eines steht fest: Dem in Paris 2015 verabschiedeten Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, wird das bisherige Berliner Klimaziel von Klimaneutralität bis 2045 nicht gerecht. Mit dem Volksentscheid am 26. März steht eine Änderung des Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetzes zur Abstimmung. Ziel ist die Ausrichtung der Berliner Klimapolitik am 1,5-Grad-Ziel aus dem Pariser Klimaschutzabkommen.
Wenn der Volksentscheid erfolgreich ist, ändert sich das Gesetz direkt und muss umgesetzt werden. Jetzt kann man an sagen, so wie es die Berliner Regierung tut, dass Klimaneutralität bis 2030 für eine solche im Wachstum befindliche Großmetropole nicht machbar ist. Oder man schaut sich Untersuchungen zu dem Thema an und fragt auch in Hamburg und Kopenhagen mal, wie die das machen wollen. Und dann stellt man fest, dass das gar kein Hexenwerk ist. Großstädte schließen sich in solchen Fällen immer mit dem Umland zusammen, das für die Windenergie genügend Platz bietet. Hamburg hat sich da zum Beispiel mit Schleswig-Holstein verständigt. Die Energy Watch Group hat das Thema bereits vor einem Jahr bei uns im Printmagazin dargestellt. Hier nochmal der Beitrag von Hans Josef Fell:
Simulationsstudie der Energy Watch Group
Metropolen wie Berlin spielen für die Energiewende und den Klimaschutz eine herausragende Rolle. Sie gelten im Klimaschutz wegen ihrer großen Bevölkerungs- und Industriedichte als besonders herausfordernd, insbesondere für eine Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energien. Mit einer Simulationsstudie zeigt die Energy Watch Group (EWG) für Berlin-Brandenburg, wie diese Umstellung mit stundengenauer ganzjähriger Bedarfsdeckung für alle Energiesektoren bis 2030 gelingen kann. Damit liefert die EWG den jeweiligen Landesregierungen einen konkreten politischen Orientierungsrahmen für die urbane Energiewende und die gemeinsame Umsetzung des Pariser Klimaabkommens.
Die Rolle, die Metropolen wie Berlin für den Klimaschutz zukommt, ist nicht zuletzt aufgrund ihres enormen Energieverbrauchs von zentraler Bedeutung. Bereits heute entfallen mehr als zwei Drittel der weltweiten CO2-Emissionen auf urbane Zentren — Tendenz steigend. Die alleinigen CO2-Emissionen Berlins entsprechen dem CO2-Ausstoß ganzer Länder, wie zum Beispiel Kroatiens. Somit ist auch der Beitrag, den Großstädte wie Berlin zur Lösung der Klimakrise leisten können, enorm.
Um die Vision von Berlin als „grüner Hauptstadt” Wirklichkeit werden zu lassen, muss Berlin im Verbund mit Brandenburg den Ausbau erneuerbarer Energien erheblich intensivieren und die Bemühungen um eine Verkehrs- und Wärmewende enorm forcieren. Da die Erzeugung von Erneuerbaren flächenintensiv ist, kann Berlin nur in Verbindung mit den ländlichen Räumen Brandenburgs die Energiewende schaffen. So kann die Hauptstadtregion ihren Beitrag zur Einhaltung des in Paris völkerrechtlich verbindlich vereinbarten Klimazieles leisten, ohne von der Entwicklung des deutschen und europäischen Verbundnetzes abhängig bleiben zu müssen.
Ausbaubedarf, Speicher und Transport
Die EWG-Studie quantifiziert den konkret erforderlichen Ausbaubedarf an Erzeugungs-, Umwandlungs- und Energietransportkapazitäten für Ökostrom und grünen Wasserstoff, mit denen eine vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien in den nächsten zehn Jahren möglich ist. Sie modelliert, mit welchem Zielsystem an Erzeugungs-, Sektorkopplungs- und Speichertechnologien die Umstellung auf 100 Prozent Erneuerbare für die Bereiche Strom, Wärme, Mobilität und industrieller Energieverbrauch jederzeit klimaschutzökonomisch gelingen kann.
Auf der Erzeugungsseite sind demnach Photovoltaikanlagen auf Gebäuden sowohl in Berlin von heute 0,1 Gigawatt (GW) auf 11,9 GW wie auch in Brandenburg von 1,1 auf 27 GW auszubauen. Die bereits weit entwickelten Windenergieanlagen in Brandenburg werden von heute knapp 9 GW um rund 3 auf 12 GW weiter ausgebaut. Damit bleibt der Windkraftausbau in der Größenordnung der aktuellen Ausbaupläne der Brandenburger Landesregierung. Dazu kommen Ausbauvolumina von Geothermie um 0,7 und Bioenergie auf 3,3 GW, um die Kosten für Speicherung insbesondere zur Bedarfsdeckung in Zeiten der Dunkelflaute zu begrenzen.
Der Flächenbedarf der PV-Parks liegt bei etwa 0,5 Prozent der Landesfläche der Region und kann durch die gemeinsame Flächennutzung von PV und Landwirtschaft über Agri-PV ohne Konflikte mit der Landwirtschaft optimiert werden. Der Gesamtenergieverbrauch in Berlin-Brandenburg sinkt um etwa 16 Prozent gegenüber heute, insbesondere durch den Effizienzgewinn durch E-Mobilität und Wärmepumpen gegenüber den heutigen dominanten Verbrennungsmotoren und Erdöl-, wie Erdgasheizungen.
Dabei ermöglicht das von der EWG skizzierte Energiesystem nicht nur die zur Einhaltung der 1,5–Grad-Grenze notwendige Senkung der energiebedingten Emissionen auf Null innerhalb von zehn Jahren, sondern auch eine Senkung der Energiekosten von derzeit rund 90 Euro auf 75 Euro pro Megawattstunde. Für die Errichtung der kapitalintensiven Anlagen werden insgesamt 112 Milliarden Euro benötigt. Dies entspricht einem durchschnittlichen Finanzierungsbedarf von knapp 18.400 Euro pro Kopf und sollte bei einem Pro-Kopf-Geldvermögen von rund 95.000 Euro im Bundesdurchschnitt auch für Berlin eine finanzierbare Aufgabe darstellen. Entscheidend wird sein, durch geeignete politische Rahmensetzungen das private Kapital in bürgerlichen Händen für die Energiewende zu mobilisieren. Damit würde der Finanzbedarf der öffentlichen Hand geringgehalten.
Die Berlin-Brandenburg-Studie zeigt: Der rasche Umstieg auf die Komplettversorgung mit erneuerbaren Energien in allen Sektoren ist klimapolitisch notwendig, technisch machbar und rechnet sich sogar ökonomisch. Selbst lokale Investitionen in eine Vollversorgung mit 100 Prozent erneuerbaren Energien inklusive Speicher sind heute vielfach wettbewerbsfähig gegenüber dem Neubau konventioneller Anlagen. Für die Region Berlin-Brandenburg liegt den Landesregierungen mit der Studie nun ein machbarer Fahrplan zur Umsetzung einer integrierten Energiewende bis 2030 vor.
Autor:
Hans-Josef Fell, Präsident Energy Watch Group
Weitere Informationen:
www.energywatchgroup.org