Und wieder Baden-Württemberg. Genauer: wieder nicht. In der Zubaustatistik des Ingenieurgutachterdienstes Deutsche Windguard für die Windkraftkapazität in Deutschland des ersten Halbjahres taucht das Südwestbundesland als quasi nicht vorhanden auf: Als einziges Flächenbundesland blieb die Installationstätigkeit auf einem nur einstelligen Megawatt-Kapazitätszuwachs eingefroren. 5,4 Megawatt (MW) durch zwei neue Anlagen kamen hinzu – in Bezug auf die Pläne einer von den Grünen geführten Regierungskoalition zum Ausbau der Windenergie auf einen Stromversorgungsanteil im Ländle auf zehn Prozent ist das aufs neue erschreckend. Denn seit dem Amtsantritt im März 2011 hat die grün-rote Administration von Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei einem tatsächlichen jährlichen Zubau von acht bis elf Anlagen auch nie mehr verzeichnen können. Um das Zehn-Prozent-Windkraftziel aber zu erreichen, daran sei noch einmal erinnert, hätte Baden-Württemberg nach den eigenen Berechnungen spätestens ab dem Jahr 2013 einen jährlichen Zubau von 125 Windenergieanlagen mit im Durchschnitt je drei MW Leistung erleben müssen. So könnte die Windleistung von den beim Amtsantritt bestehenden 500 MW auf 3.500 MW bis Ende 2020 anwachsen, hatten Kretschmann und sein Umweltminister Franz Untersteller öffentlich vorgerechnet. Weil im Ländle auch derzeit noch keine Windpark-Bauarbeiten im größeren Ausmaß zu beobachten sind, müssten nun in den kommenden fünf Jahren ab 2016 schon jährlich 192 Anlagen hinzukommen: In dieser Rechnung ist der bisherige Zubau seit Regierungsantritt 2011 auch schon berücksichtigt.
Schon diese Kalkulation ist so unrealistisch, dass sich weiteres Nachrechnen hier wohl verbietet. Zum Vergleich: Das ist eine Größenordnung die einzig im vergangenen historischen Rekordausbaujahr in Deutschland in einem einzelnen Bundesland erreicht werden konnten. Dabei erreichten nur die drei Spitzen-Windkraftbundesländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen und an dritter Stelle Brandenburg solche Werte an der Schwelle zu 200 Anlagen pro Jahr oder darüber.
Doch abseits der banalen Tatsache, dass Politiker und Windbranche auch Fehleinschätzungen zu eigenen Ungunsten eben irgendwann einmal auch korrigieren müssen: Erschreckend ist der Umgang der baden-württembergischen Politik damit. Und bedeutend macht das Verhalten der grün-roten Koalitionäre, dass es insgesamt für einen Trend der Landespolitiken im Windenergieland Deutschland steht.
Umweltminister Untersteller: Hochbetrieb bei Genehmigungen und Projektanträgen
„Die Zahl Zwei für das erste Halbjahr ist weder überraschend noch beunruhigend“, spricht der Umweltminister im wörtlichen Zitat auf der Homepage seines Ministeriums zu seinen Landsleuten und Pressevertretern – und meint die zwei von Januar bis Juni installierten neuen Anlagen. Das vermeintliche Pfund, das Untersteller in seiner einzigen allgemeinöffentlichen Reaktion auf die neue Bilanz präsentiert: Alleine 31 neue Genehmigungen für Projekte hätten die Behörden im selben Halbjahreszeitraum an Windparkprojektierer ausgereicht. Die Branche habe zeitgleich 77 neue Genehmigungsanträge eingereicht. Hinzu kämen 100 schon im vergangenen Jahr genehmigte Anlagen. Und für weitere 90 Anlagen hätten die Behörden neue Anfragen verzeichnet. Außerdem sei der Regionalplan eines von neun regionalen Planungsverbänden bereits verabschiedet, zwei weitere würden folgen, sagte Untersteller. Die drei Regionalpläne zusammen würden insgesamt Windkrafteignungsflächen für 400 Anlagen ausweisen.
Hintergrund: Die meisten der bisherigen Regionalpläne im Ländle verweigern der Windkraft in BaWü die Verwendung jeglicher geeigneter Flächen und weisen nur unbrauchbare Wind-Kleinregionen aus.
Untersteller mag mit seiner Statistik als Beleg für mehr Hoffnung auf Windkraftzubau in Baden-Württemberg mehr oder wenig Recht haben oder nicht.
Fünf wichtige Fragen, die keiner stellt
Doch das entscheidend Ungute an der Reaktion der schwäbisch-badisch-hohenlohischen Grün-Roten ist, dass sie sich einer offenen und drigend notwendigen Analyse des verstockten Windkraftbooms im Ländle verweigern. Sie müssten Fragen stellen und die Antworten öffentlich diskutieren:
- Warum geht es so langsam? Hat sie den Prozess unnötig durch zu viele sich gegenseitig bremsende Gesetzesinitiativen verlangsamt? Immerhin verabschiedete die Koalition Regelungen zum Windkraftausbau in Bezug zu Naturschutz, Übertragung der Entscheidungsbefugnisse über neue Flächen an die Gemeinden, Einführung eines Wettbewerbs bei den Flächenbestimmungen mit den regionalen Planungsverbänden, mehr Bürgerbeteiligung, Einbindung der Stadtwerke und des landeseigenen Energiekonzerns EnBW.
- Haben die Windparkprojektierer selbst überhaupt noch genügend Interesse, ihre Projekte auch zu verwirklichen – angesichts sich verschlechternder oder angesichts unklarer Bedingungen im weiteren Reformprozess des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG)?
- Lohnt die Windkraft bei bisherigen Pacht- und Anlagenpreisen sowie den eher schwachen Windbedingungen im Ländle derzeit überhaupt? Oder sichern sich hier manche nur die Flächen als Spekulationsobjekte? Im besten Falle reservierten die Projektierer demnach Areale, um später einmal unter besseren Markt- und Gesetzesbedingungen zu bauen.
- Gibt es heimliche Blockierer in den Verwaltungen?
- Würden Maßnahmen beim Netzausbau oder Initiativen für neue Direktvermarktungsmodelle helfen?
Bundespolitische Bedeutung
Der Phantasie für solche Fragen sind keine Grenzen gesetzt. Sie zu behandeln wäre aber aus zweierlei Gründen wichtig: Nur durch eine faire Analyse und die entsprechenden politischen Konsequenzen daraus kommt in Baden-Württemberg der Windkraftausbau wohl wirklich in Gang. Und nur wenn die Länder beginnen, miteinander sich über Hemmnisse der Windkraft auszutauschen, können sie die von der Bundespolitik geforderte Abstimmung ihrer Windkraftziele im Einklang noch mit dem Netzausbau hinbekommen.
Daran aber mangelt es bundesweit: Da beschließt die SPD in Brandenburg plötzlich, dass sie die Flächenausweisung nicht auf die politisch beschlossene zwei Prozent der Landesfläche ausdehnen will. Sie will den Bedenken der Bevölkerung nachgeben. Da will Schleswig-Holstein seine Windkraftversorgung um ein Vielfaches des Bedarfs ausbauen, um den Strom aus der Luft in andere Bundesländer zu exportieren. Und Bayern schaltet die Windkraft einfach ganz ab.
Ein mittelfristig berechenbarer und gute Erzeugung erlaubender Windstrom pro Windkraft entsteht so jedenfalls nicht. Der wird aber bald vonnöten sein: Ab 2016 wird der Windkraftausbau nicht mehr unter den jetzigen Vorzieheffekten des EEG boomen.
(Tilman Weber)
Das Foto stammt von Rainer Sturm/pixelio.de.