Welches Bundestagswahlplakat Ihrer Partei gefällt Ihnen am besten?
Hofreiter: Am besten gefällt mir persönlich „Aus einer kranken Natur kommt kein gesundes Essen.“
Also keines zum Thema Klimawandel oder Energiewende, worüber wir jetzt sprechen?
Hofreiter: Auch die finde ich total wichtig aber man kann eben nur eines am besten finden und dies finde ich besonders gelungen. Was mir aber auch gefällt ist der violette Eisbär auf dem Klimaplakat.
Warum werden Sie auf den Wahlplakaten nicht konkreter? Zum Beispiel möchte Ihre Partei ja den Kohlekraftausstieg bis 2030 schaffen, ist dies dann nur ein theoretisches Angebot an intellektuelle Wahlprogrammleser?
Hofreiter: Unsere Ziele und Forderungen kommunizieren wir in Veranstaltungen mit Bürgern, über die Medien, wir haben unsere Wahlplakate, das vollumfängliche Wahlprogramm und einen Zehn-Punkte-Plan, in dem wir zugespitzt zehn Forderungen aufführen, die für uns die oberste Priorität haben. Darin finden sich ganz zentrale Punkte unserer Klimapolitik. Bei den erneuerbaren Energien geht es ja um zwei Dinge. Auf der einen Seite müssen wir aus den alten Energien, die unsere Lebensgrundlagen zerstören, raus. Deswegen fordern wir, dass die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke sofort stillgelegt werden. Und außerdem fordern wir bis zum Jahr 2030 einen Anteil von 100 Prozent erneuerbare Energien bei der Stromversorgung. Deshalb müssen die Ausbaudeckel weg. Wie wichtig das ist, hat man auch an den letzten Ausschreibungen zum Thema Windkraft gesehen. An den dort erzielten Preisen von 4,26 Cent pro Kilowattstunde sieht man sehr deutlich, wie kostengünstig erneuerbare Energien geworden sind. Denen, deren Interesse über ein Wahlplakat hinausgeht, empfehle ich das Wahlprogramm und die zehn Punkte.
Mitregieren in 10 Bundesländern: Wie zufrieden sind Sie mit Ihren Landesregierungen, Herr Hofreiter?
Sie, Bündnis 90/Die Grünen, regieren in 10 von 16 Bundesländern mit. Mit welcher Energiewendepolitik in diesen Ländern sind Sie denn zufrieden?
Hofreiter: Ich bin mit allen Energiewendepolitiken zufrieden. Das Problem ist aber, dass diese unter den hochproblematischen Rahmenbedingungen der Bundesregierung leiden. Alle Bundesländer sind ja betroffen vom Erneuerbare-Energien-Gesetz, dem EEG, das nicht richtig funktioniert, weil es von der Bundesregierung in den letzten zwölf Jahren immer schlechter ausgestaltet worden ist. Alle müssen damit zurechtkommen, dass die Bundesregierung die Energiewende nicht vernünftig umsetzt und sogar Ausbaudeckel installiert hat, obwohl die erneuerbaren Energien inzwischen so kostengünstig sind. Ein Großteil dieser Gesetze sind Bundesgesetze und die Länder kämpfen mit diesen Rahmenbedingungen, die sich Jahr für Jahr verschlechtert haben. In Niedersachsen beispielsweise gibt man sich mit der Windkraft sowohl Onshore als auch Offshore große Mühe. Auch mit den Schwierigkeiten hinsichtlich des Naturschutzes, die man mit guter Planung in den Griff bekommen kann, setzen sich die Niedersachsen offen und ehrlich auseinander und nutzen beispielsweise Abschalt-Logarithmen. Naturschutz und Windenergie lässt sich unter einen Hut bringen. Das größte Problem liegt in den bundespolitischen Rahmenbedingungen.
Das heißt aber doch: Durch diese Rahmenbedingungen sieht die Entwicklung in verschiedenen Bundesländern sehr schlecht aus. Der Ausbau ist zurückgegangen oder wurde eingestellt, mancherorts wie in Schleswig-Holstein fehlen gültige Regionalpläne. Mit solchen Ergebnissen kann man doch nicht zufrieden sein oder?
Hofreiter: Wir sind auch nicht zufrieden mit dem Fortschritt in manchen Ländern. Aber wie gesagt: dass liegt vor allem an den Ausschreibungsbedingungen des Bundes. Das hat dazu geführt, dass beispielsweise Baden-Württemberg kein einziges Projekt abbekommen hat. Deswegen ist eine Mindestforderung von uns, dass die Projekte bundesweit verteilt werden müssen, denn wenn die Ausschreibungen so gestaltet bleiben wie jetzt, haben wir nur noch in den windstärksten Bereichen – also den Küstenbereichen – Windenergieanlagen. Dort entsteht dann eine Überkonzentration und wir müssten mehr Leitungen als notwendig bauen.
Und in Baden-Württemberg?
Gerade in Baden-Württemberg hatten die Grünen 2011 nach Antritt Ihres Parteifreundes Winfried Kretschmann als grüner Ministerpräsident einen Ausbau der Windkraft von null auf zehn Prozent an der Stromversorgung versprochen. Doch nur eineinhalb Jahre lang entsprach der Ausbau bisher diesem Ziel. Haben Ihre Parteifreunde in Stuttgart sich zu viel Zeit gelassen?
Hofreiter: Politik lässt sich nicht übers Knie brechen. Baden-Württemberg wurde 60 Jahre lang von der CDU regiert. Nach der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch uns hat man gesehen, wie die Anzahl der Genehmigungen für neue Windparks massiv gestiegen ist. Diese Entwicklung hat natürlich zunächst eine Anlaufzeit von zwei bis drei Jahren gebraucht. Aber auch eine Genehmigung für eine Windkraftanlage fällt ja nicht einfach vom Himmel. Rechnen Sie selbst: Eine Legislaturperiode in Baden-Württemberg dauert fünf Jahre, drei Jahre brauchen die Windparkprojektierer für die Planung von Beginn an bis zu einer Genehmigung. Da sind dann nur noch zwei Jahre übrig. Und die hatten wir als Anlaufzeit für die Gesetzgebung gebraucht. Und seit der Wahl im Mai geht es nun unter Kretschmann eben mit dem Koalitionspartner CDU in seiner zweiten Legislaturperiode weiter.
Mögliche Koalitionspartner: "CDU und SPD können beide zu Blockierern werden"
In der schwarz-roten Koalition der Bundesregierung dürften Sie keine großen Fraktionsteile identifizieren können, die für eine echte Energiewende kämpfen. Bei welchem Koalitionspartner fänden Sie also mit Ihrer Politik Gehör, falls Sie nach der Wahl die Chance zum Mitregieren bekämen?
Hofreiter: Ich glaube, das Problem ist, dass aus unterschiedlichen Gründen beide zu Blockierern werden können: Die SPD wegen ihrer Verbundenheit mit der Kohle und die CDU wegen ihrer alten Verbundenheit mit den Großkonzernen. Und sicher wären Gespräche mit der Union, die ja nicht nur aus CDU sondern auch CSU besteht, besonders schwierig. Für unsere Seite ist klar: Entweder da zeigt sich Bereitschaft zur Veränderung oder wir regieren nicht mit.
Die Umfrageergebnisse sind momentan für die Oppositionsparteien im Bundestag und insbesondere für Ihre Partei nicht gut. Woran liegt das?
Hofreiter: Ich bin überzeugt: Das Rennen um Platz drei hinter CDU/CSU und SPD ist noch offen und wir haben die Chance, ein zweistelliges Ergebnis zu erreichen. In meinen Augen ist es so, dass die Stimme der Grünen in der öffentlichen Debatte wieder eine Rolle spielt – durch die Klimakrise, Dieselskandal, eine andere Landwirtschafts- und Mobilitätspolitik. Ich glaube, dass wird sich auch bei den Wahlen noch bemerkbar machen – und wir werden bis zum Wahlkampfende energisch kämpfen.
Gesetz für Sektorkopplung? Lieber mit E-Mobilität anfangen.
Um hier ins Detail Ihres Programms zu gehen: Genügt „Raus aus der Kohle bis 2030“ als einziger konkreter Vorschlag, damit es mit Ihrem Ziel einer 100-Prozent-Grünstromversorgung bis 2030 etwas wird?
Hofreiter: Kohle raus ist da nicht die einzige Antwort, sondern lediglich eine Seite der Medaille. Wir wollen die zwanzig schmutzigsten Kohlekraftwerke sofort abstellen und die übrigen mit einem Restbudget versehen. Auf der anderen Seite wollen wir die Ausbauziele der erneuerbaren Energien anheben, das heißt: den Deckel entfernen. Hinsichtlich der Speicher wollen wir die Abgaben entfernen, sodass sich die Eigenstromversorgung lohnt, die Zahl der eingesetzten Speicher wächst und diese damit auch preiswerter werden.
In Ihrem Programm lässt sich aber beispielsweise kein angedeuteter Entwurf eines Sektorenkopplungs- oder eines Speichergesetzes finden. Woran liegt das?
Hofreiter: Die Sektorkopplung ist sogar eines der Schlüsselprojekte im energiepolitischen Teil unseres Wahlprogrammes. Bei der Sektorkopplung müssen wir aber erstmal mit den batteriebetriebenen Fahrzeugen vorankommen und Standardisierungen durchsetzen, beispielsweise bei den Batterie-Ladesäulen und bei den Bezahlsystemen. Wir müssen zu einem schnellen Ausbau des Ladesäulennetzes kommen und zeitgleich auch einen Ausstiegspfad beim fossilen Verbrennungsmotor bis 2030 aufzeigen. Ob wir das mit einem Sektorkopplungsgesetz durchsetzen, bezweifle ich. Der entscheidende Punkt ist erst einmal, dass diese Maßnahme für die E-Mobilität gesetzgeberisch umgesetzt wird und überhaupt etwas gemacht wird, denn für die Verkehrswende passiert bislang ja noch überhaupt nichts.
Solaroffensive
Bündnis90/Die Grünen haben nun eine Solaroffensive angekündigt. Warum eine Solaroffensive?
Hofreiter: Wir wollen eine klare Alternative zur verantwortungslosen Politik der Bundesregierung setzen, bei der wir die akute Gefahr sehen, dass die gesamte Photovoltaik-Industrie in Deutschland endgültig zusammenbricht. Das wäre zum einen für die Energiewende schlecht, weil viel Wissen verloren geht. Und zum anderen ist das ein ökonomisches Problem. Wir haben noch eine sehr gute Forschungsinfrastruktur, eine gute Handwerksstruktur, eine gute Wissenschaftsinfrastruktur. Aber bei der Produktion wird es nun eng – und wir brauchen eine Produktion, um die anderen hier noch vorhandenen Strukturen zusammenzuhalten.
Eine Feuerwehr-Regel,also?
Hofreiter: Durchaus, weil die Bundesregierung diesen wichtigen Wirtschaftszweig gnadenlos ignoriert.
Das Gespräch führte Tilman Weber Ende August in Hannover. Einen zusätzlichen Teil des Interviews speziell zum neuen Ausschreibungssystem für Windenergie an Land veröffentlichen wir auch in der täglichen Messezeitung zur Husum Wind am Dienstag kommende Woche.