In einem offenen Brief fordert der Europäische Photovoltaik Industrieverband (EPIA) EU-Energiekommissar Günther Oettinger auf, mit allen rechtlichen Mitteln gegen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vorzugehen, die die Förderung von Solarstrom drastisch und vor allem rückwirkend kürzen oder sogar ganz einstellen wollen. Den Brief haben 47 Unternehmen der Branche sowie 23 Branchenverbände aus Schweiz, Schweden Spanien, Slowakei, Rumänien, Holland, Korea, Ungarn, Belgien, Griechenland, Italien, Deutschland, Österreich, der Tschechischen Republik, Bulgarien, Portugal und Italien unterzeichnet.
Kritik an rückwirkenden Entscheidungen
So kritisieren die Unterzeichner des Briefen die Ende 2010 rückwirkend eingeführte Steuer auf Photovoltaikinvestitionen, die 2009 und 2010 getätigt wurden, in Höhe von 26 bis 28 Prozent. Im Oktober 2012 hat der tschechische Industrie- und Handelsminister Martin Kuba angekündigt, diese Steuer weiter beibehalten und sogar noch erhöhen zu wollen. Spanien wird für die rückwirkende Einführung einer Begrenzung von Produktionsstunden für Photovoltaikanlagen, die einen Einspeisetarif erhalten. Außerdem stößt die Ankündigung der Regierung in Madrid, rückwirkend eine Steuer auf alle Einnahmen aus der Stromproduktion in Höhe von sieben Prozent einzuführen, auf Widerstand der Solarbranche. Die griechische Regierung hat am 7. November 2012 bereits rückwirkend eine Steuer auf die Einnahmen aus dem Verkauf von Solarstrom in Höhe von bis zu 30 Prozent eingeführt. Die Provinzregierung im belgischen Flandern wird kritisiert für die am 6. Dezember dieses Jahres rückwirkend eingeführte zusätzliche Netzanschlussgebühr für Photovoltaikanlagenbetreiber, die das Net-metering nutzen. Dabei ist das eine gängige Form der Förderung in Belgien. Betreiber von Solarstromanlagen parken den Strom, den sie nicht selbst verbrauchen können, im Netz und können ihn dann später wieder aus dem Netz entnehmen. Auch Italien steht auf der Liste der kritisierten Länder für die Einführung einer Abgabe von 0,05 Cent für jede Kilowattstunde selbst erzeugter und geförderter Energie im Jahr 2013, von der alle Anlagen betroffen sind, die unter den Bedingungen der Conto Energia I-IV gefördert werden. Rom hat die Abgabe am 5. Juli dieses Jahres eingeführt, um die Kosten der für die Leitung, Beobachtung und Kontrolle der erneuerbaren Energien in Italien zuständige Behörde GSE zu decken.
Größere Risiken schrecken Investoren ab
„Solche Maßnahmen zerstören das Investitionsklima allgemein und ganz besonders bei erneuerbaren Energien, nicht nur in Ländern, wo sie ergriffen werden, sondern in ganz Europa“, heißt es in dem Brief. „Auch außerhalb Europas könnte sich bei den Investoren ein ungutes Gefühl bezüglich der Verlässlichkeit der politischen Entscheidungen in Europa breit machen.“ Ein solches fehlendes Vertrauen in die Unterstützung der erneuerbaren Energien und vor allem der Photovoltaik könnte die wahrgenommenen Risiken bei einer Investition in Solarstromanlagen vergrößern. Investoren werden zurückhaltender reagieren. Die rückwirkenden Maßnahmen gefährden also die Erreichung der Ziele, die sich Europa für das Jahr 2020 gesetzt hat, da die Investitionskosten für die Kapitalgeber durch diese Maßnahmen steigen.
Slowakei will weiter kürzen
Es sind aber nicht nur die rückwirkenden Maßnahmen, die die Solarbranche in Rage versetzen. Auch die ungeplanten Förderkürzungen oder gar das zeitweilige Aussetzen der gesamten Förderung stoßen auf heftige Kritik. Am Pranger stehen die Regierungen in Rom, Sofia, Paris, Madrid und Bratislava. Die slowakische Regierung hat im Juni dieses Jahres innerhalb eines Monats die Kürzung der Einspeisevergütung um 38,77 Prozent durchgepeitscht. Zusammen mit der schon erfolgten Kürzung der Förderung beträgt die Degression in diesem Jahr insgesamt 54 Prozent im Vergleich zum Jahr 2011. Wenn die Anlagen überhaupt noch gefördert werden. Denn schon Mitte 2011 hat die damalige Regierung aus Sozialdemokraten und Nationalkonservativen in Bratislava die Einspeisevergütung auf Aufdach- und Fassadenanlagen mit einer Gesamtleistung von 100 Kilowatt begrenzt. Diese Grenze will der parteilose Wirtschaftsminister Tomáš Malatinský jetzt auf 30 Kilowatt senken. Außerdem soll die zuständige Regierungsbehörde ÚRSO die Tarife künftig um 20 Prozent pro Jahr senken können, statt bisher um maximal zehn Prozent. Malatinský musste für sein Vorhaben schon heftige Kritik durch das Parlament einstecken.
Oettinger fordert Tempolimit bei der Energiewende
Ob die Kritik der Branche bei Oettinger ein Umdenken auslöst, ist zumindest fraglich, wenn nicht gar unwahrscheinlich. Es ist kaum vier Monate her, als der konservative Energiekommissar lautstark gegen die erneuerbaren Energien zu Felde zog und ein eine Verlangsamung der Energiewende forderte. „Wir brauchen eine Geschwindigkeitsbegrenzung beim weitere Ausbau von Wind- und Solaranlagen“, sagte Oettinger Ende August dieses Jahres auf dem Energieforum Schleswig-Holstein in Büdelsdorf bei Rendsburg vor etwa 550 Vertretern von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. (Sven Ullrich)