Es sind Konzepte wie beispielsweise die vom Lagerhersteller Thyssenkrupp Rothe Erde oder vom Produzenten von Blattverstellantrieben Bonfiglioli, die auf der am Dienstag begonnenen knapp einwöchigen globalen Leitmesse Wind Energy am weitesten blicken lassen. Beide Unternehmen führen mit der Präsentation neuer Konzepte für ihre Komponenten vor, wie nun die Komponentenzulieferer dem Preisdruck der Windenergiebranche mit weit vorausschauenden Konzepten begegnen.
Idee: Neuer Blattlagerzuschnitt, damit die Nabe nicht zu groß wird
So lässt sich am Stand der für die Windenergie entscheidenden Sparte im Thyssenkruppkonzern beobachten, wie das weitere Wachstum der Rotorblätter auf Längen von weit mehr als 70 oder auch über 80 Metern ohne Ausufern der Gesamtdimensionen der Anlage geschehen kann. Das Problem aus Sicht des Lagerherstellers: Je länger die Rotorblätter und je breiter daher der Durchmesser der Blattwurzeln in der Rotornabe ausfallen, desto weicher reagiert die Nabe auf die zunehmenden Lasten.
Statt aber mit viel dickwandigeren, massigeren Komponenten die Lasten doch wieder aufzufangen will Thyssenkrupp Rothe Erde die Geometrie der Blattgroßlager im Wortsinne umstülpen. Bisher dienen die drei kreisrunden Ausschnitte für die Rotorblätter in der Nabe zugleich als äußerer Rahmen für den darin anmontierten Außenring je eines Blattgroßlagers. Nun schlägt die Sparte Rothe Erde ein Konzept vor, das größere Blattwurzeldurchschnitte ermöglicht, ohne die Ausschnitte weiter zu vergrößern und damit einhergehend wohl auch die Nabe selbst noch größer auszulegen. Denn das Lager könnte nun aus einem Außenring bestehen, der sich im Innern des Naben-Kreisausschnitts für die Blattwurzel wie bisher anmontieren lässt. Doch darüber hinaus würde der Lager-Außenring aus der Nabenaußenfläche hinausragen und sich außerhalb des Nabenkörpers gewissermaßen zum benötigten größeren Lager- sowie Blattwurzeldurchmesser ausstülpen.
Es sei noch keine konkrete Windturbinenbestellung vorhanden, um dieses Design zu verwirklichen, ist am Stand von Rothe Erde zu hören. Doch die Zeiten hätten sich geändert: Während früher die Komponentenzulieferer eine Komponenten in vom Hersteller festgelegten Maßen wie ein Sandwich zwischen die benachbarten Komponenten gepackt habe, würde heute ein guter Komponentenzulieferer die Lastenverteilung, Drehmomentanforderungen und Geometrie der gesamten Anlage mit im Blick haben. in enger Zusammenarbeit mit Turbinenbauern und Zulieferern von Nachbarkomponenten würde dann die neue Komponente entwickelt. Ziel sei es so auch dem Preisdruck der Branche zu begegnen: Statt Komponenten immer billiger anzubieten und aus immer billigeren Bauteilen zusammenzufügen, gehe es um höherwertige Produkte. Schließlich senkten diese insgesamt dann doch die Gesamtkosten der produzierten Kilowattstunden deutlich.
Systemdesign für Pitchantrieb zum Rotorblattverstellen
Der italienische Hersteller Bonfiglioli wiederum sieht eine Ausrichtung auf vorbeugendes Design, das zudem die gesamte Anlage mit in den Blick nimmt und die Komponente als System in Verbinndung mit integrierten weiteren Komponenten entwirft. Konkret: Die Italiener haben bereits Konzepte für die Anlagenklasse von neun bis zwölf Megawatt (MW) entworfen. Hierbei könnten die Umrichter für die Steuerung der Blattverstellantriebe in diese eingebaut sein. Dann brauche es womöglich nicht einmal mehr Kabel zur Verbindung beider Komponenten. Alternativ hat Bonfiglioli den Entwurf eines solchen Antriebs zum Blatt-Pitchen in der Schublade, das den Motor zum Antrieb des Pitches nicht wie gewohnt in einer Reihe mit dem länglichen Getriebe sondern seitlich am Getriebeeingang oben ansetzt. Der Vorteil: Anders als bisher ließe sich eine sich regelmäßig abnutzende Sicherung innerhalb des Pitchgetriebes austauschen, ohne den Motor umständlich vorher abzumontieren. Diese Sicherung dient dazu, bei Überlastungen des Pitchantriebs keine Zerstörung der Getriebezahnräder zuzulassen, sondern den Bruch einer eingelegten Sicherung zu erzwingen. Zwar werde damit der Pitchantrieb teurer. Doch nach drei Mal austauschen der Sicherungen würde das neue Konzept die Mehrkosten mehr als wieder eingespielt haben, ist bei Bonfiglioli zu erfahren.
190 Meter Nabenhöhe
Auch andere Zulieferer arbeiten bereits für die nächsten Turbinendimensionen und zeigen das auf der diesjjährigen Wind Energy. So präsentiert zum Beispiel der Betonturmzulieferer Max Bögl einen modularen Fertigteilbau-Betonturm für Nabenhöhen bis 190 Meter. Zum Vergleich: Bisherige Nabenhöhen reichten bis 165 Meter. Max Bögl selbst hat für einen Windpark zudem Nabenhöhen von mehr als 170 Meter verwirklicht. Allerdings handelt es sich bei dem Projekt der sogenannten Wasserbatterie Gaildorf in Baden-Württemberg nicht um reine Windkrafttürme die in immer noch klassischer Bauweise aus einer Standsäule bestehen. Denn die Türme dieses schwäbischen Windparks stehen nicht wie gewohnt auf dem Boden sondern auf zig Meter höhen Wasserspeichern mit sehr großen Durchmessern. In diese Wasserspeicher pumpt die Anlage mit ihrem Windstrom, wennn dieser gerade im Stromnetz nicht benötigt wird, Wasser aus einem See im Tal hoch auf den Berg in die Wasserspeicher. Weht hingegen zu wenig Wind und ist dennoch Bedarf an einer Stromeinspeisung, lässt die Anlage das Wasser durch Röhren zurück ins Tal schießen und dabei eine Wasserkraftturbine zur Produktion des grünen Stroms antreiben.
Neue Turbinenvarianten werden schnell für verschiedene Standortarten angepasst
Die Windturbinenbauer verzichteten dieses Mal auf noch einmal größere Dimensionen für ihre Anlagenplattformen. Denn angetrieben vom Kostendruck infolge europaweit sich durchsetzender Ausschreibungen hatten sie zuletzt im Jahresrhythmus zwei neue Anlagenplattformen entwickelt. Zuerst waren es vor zwei Jahren Anlagen mit bis zu 140 Meter Rotordurchmesser und meist noch unter vier MW Nennleistung, Dann stellten sie vor einem Jahr Turbinen der Leistungsklasse bis 4,8 MW vor mit rund 150 Meter Durchmesser. Als Ausreißer nahm Turbinenbauer GE sogar offiziell eine Anlage mit 158 Meter großem Rotor in die Entwicklung.
Die Zukunft muss erst noch zeigen, ob diese rasante Entwicklung zum regelrechten Überspringen einer bereits angekündigten Turbinenklasse führt - jener mit drei bis vier MW und bis zu 140 Meter Rotordurchmesser. Oder in näherer Zukunft dann eben zwei Turbinenklassen auf dem Markt zeitgleich existieren können und jeweils genug Nachfrage erzeugen, um die Einrichtung neuer Fertigungsstraßen bei den Turbinenbauern rechtfertigen.
Klar erkennbar führt die Branche auf der Wind Energy nun aber vor, wie leicht sie inzwischen neue Leistungsvarianten und Varianten von Rotorgrößen auf neuen Turbinen-Bauplattformen entwerfen und herstellen können. Da präsentiert Hersteller GE seine neue Turbine mit 4,8 MW und 158 Meter Rotordurchmesser nun auch in einer 5,3-MW-Variante. Siemens Gamesa stellt eine Variante mit 155-Meter-Rotor für die erst im November 2017 vorgestellte Getriebeanlage mit 4,2 MW vor. Deren erste Variante hat einen Rotor mit 145 Metern Durchmesser. Und Senvion stellt für das neue Modell 4.2M140 die Varianten für Starkwind und für Schwachwind mit 118 und 148 Meter Rotordurchmesser vor. Der Offshore-Windturbinenbauer MHI Vestas hat derweil seine Anlage V164 mit 164 Meter Rotordurchmesser nach der x-ten Leistungserweiterung ausgehend vom ersten Modell mit sieben MW auf nun zehn MW Nennleistung ausgereizt. Die erste 10-MW-Anlage in der Geschichte der Windkraft ist sogar schon ab sofort bestellbar.
Vattenfall-Großauftrag für Nordex-Anlagen
Winndturbinenbauer Nordex kann derweil pünktlich zur Messe auf den Verkauf einer großen Menge von Anlagen seiner bestehenden 3,x-MW-Plattform verweisen. So meldete Energieversorger Vattenfall nun die Bestellung von 30 Anlagen der Baureihe N117 /3600 - eine Starkwindanlage mit 117 Meter Rotordurchmesser und 3,6 MW Nennleistung. Die Anlagen sind für den Windpark Wieringermeer an der niederländischen Küste, wo Vattenfall bereits mit der Errichtung von 50 Turbinen desselben Typs begonnen hat. Insgesamt wird der Windpark mit dann 80 Anlagen und einer Kapazität von 288 MW Strom erzeugen.
(Tilman Weber)