„Eine Stilllegung von Kohlekraftwerken könnte die Versorgungssicherheit sogar steigern. … Der Großteil der Kohlekraftwerke hat heute eine belastende Wirkung auf das Netz“, zitiert die Internet-Redaktion des Wochen-Magazins Der Spiegel aus dem Papier, das den Hamburger Journalisten nach eigener Aussage vorliegt. Dabei spielen die Autoren auf die Überkapazität der deutschen Stromerzeugung an, die inzwischen jährlich zu einem Export von unterm Strich rund 50 Terawattstunden (TWh) ins Ausland führt. Zum Vergleich: Der jährlich in Deutschland aus dem Netz gezogene Strombedarf beträgt knapp 600 TWh. Problemlos zu verkraften sei aufgrund eines zunächst nur oberflächlichen Überschlags ein Abschalten von 12 bis 15 Kohlekraftwerken mit einem Erzeugungsvolumen von sieben Gigawatt (GW), legen die Experten des Bundesumweltministeriums (BMWi) dar. Danach seien immer noch Überkapazitäten der Stromerzeugung von 18 GW vorhanden.
Die Pressestelle im BMWi bestätigt auf Anfrage von ERNEUERBARE ENERGIEN, dass das Papier aus dem Ministerium stammt – und ohne Autorisierung des Hauses an die Medien gelangt sei. Auch der Inhalt des Papiers sei wohl in den Medien im Prinzip richtig wiedergegeben. Allerdings sei die Analyse das Ergebnis der Arbeit einer Gruppe, die sich dazu nicht mit den anderen mit dem Thema beschäftigten Gruppen und Stellen im Ministerium abgestimmt habe. Deshalb distanziere sich das Ministerium auch inhaltlich von dem Ergebnis.
Brisant ist der Inhalt tatsächlich, da der Ausstieg aus der Kohlekraft einer der Hauptstreitpunkte in den aktuellen Koalitionsgesprächen zwischen Unionsparteien, FDP und Grünen ist. Union und FDP hatten vor wenigen Tagen den Grünen angeboten, zehn Meiler mit bis zu fünf GW Erzeugungsleistung bis 2020 abschalten zu lassen. Die Grünen hingegen fordern die Stilllegung von 20 Meilern beziehungsweise von acht bis zehn GW Kohlekraft. Anders seien die Klimaschutzziele der Bundesregierung in Sachen Emissionsminderung des für die Erderwärmung verantwortlichen Kohlendioxids nicht möglich. Die Grünen stützen sich hierbei auf die Erklärungen von mehreren Klimaschutzorganisationen.
Der Streit um die Sicherheit der Stromversorgung nach einer Abschaltung von Kohlemeilern hängt sich indes auch an der Frage auf, wie viel Überkapazität der Kohleverstromung notwendig ist, um bei Windflaute oder in sonnenarmen Wetterphasen für die dann ausfallenden Wind- und Photovoltaikanlagen einzuspringen. Laut dem BMWi-Papier ließen sich möglicherweise sogar mehr als sieben GW Kohlekraft stilllegen – eine Aussage hierzu könne aber nur nach einer genaueren Berechnung der vorhandenen Daten getroffen werden.
Die für die Netzstabilität verantwortliche Bundesnetzagentur (BNetzA) hatte sich heute Morgen bereits in Spiegel online und anderen Medien damit zitieren lassen, dass die bekannt gewordenen Schlüsse der Studie nicht pauschal richtig seien. Die Netzstabilität infolge der Abschaltung mehrerer Kohlekraftwerke sei stark auch davon abhängig, welche Anlagen von Stilllegungen betroffen seien. In bestimmten Regionen oder an bestimmten Netzverknüpfungsstellen könnten Abschaltungen dennoch zu Problemen führen, erklärte die BNetzA sinngemäß.
(Tilman Weber)