Ohne Netzanschluss kein Offshore-Strom – dieser einfache Fakt sorgte in den letzten Monaten für Aufregung. Denn bevor ein Windpark gebaut werden kann, benötigt er die unbedingte Zusage für seinen Netzanschluss. Die konnte Netzbetreiber Tennet zuletzt nicht mehr vergeben, der Zeitplan für den Netzausbau sei zu eng, die Kosten zu hoch. Nun ist eine Lösung des Problems in Sicht. Vertreter aus Politik, Windindustrie und Netzbetreibern haben in den letzten zweieinhalb Monaten Vorschläge erarbeitet, wie sich der Netzanschluss beschleunigen lässt. Sie bilden die „Arbeitsgemeinschaft Beschleunigung der Netzanbindung von Offshore-Windparks“, die Wirtschaftminister Philipp Rösler im Januar ins Leben rief. Ende März reichten sie bei den Ministerien für Wirtschaft und Umwelt einen Katalog von Vorschlägen ein, der das Netzausbauproblem aus der Welt schaffen soll.
„Kurzfristig sind aus Sicht der Mitglieder der AG Beschleunigung die Haftungs- und Finanzierungsfragen der Netz- und Windparkbetreiber zu lösen, damit es mit dem geplanten Ausbau vorangeht“, sagt Jörg Kuhbier, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Offshore-Windenergie, die als Moderator in der Arbeitsgruppe auftrat. Wie es in der Erklärung der Stiftung heißt, bedarf es einer Kostenwälzung bei verzögertem Netzanschluss sowie im Probebetrieb der Anlagen. Dabei werden die Kosten der Netz- und Umspannebenen des Hoch- oder Höchstspannungs-Offshorenetzes anteilig auf die Netzebenen mit geringerer Spannung verteilt. Im Fall einer Verzögerung des Netzanschlusses wäre der Netzbetreiber dadurch finanziell entlastet, wenn der Windparkeigner Schadensersatzforderungen stellt, da sein Windpark keinen Strom liefern kann.
Für besseren Geldfluss soll die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) die Investitionen in die Netze vorerst übernehmen. Tennet könnte den Ausbau dabei weiterhin als Dienstleister verantworten, müsste die Milliarden-Investitionen jedoch nicht mehr allein tragen. Alternativ dazu könnten die Investitionen aber auch über höhere Netzentgelte oder eine neue Offshore-Anbindungsumlage auf die Stromrechnung der Verbraucher abgewälzt werden. Die Umlage würde als eine Art Baukostenzuschuss zeitlich begrenzt werden – zu einem späteren Zeitpunkt wäre eine Entlastung der Verbraucher über reduzierte Netzentgelte möglich.
Die Arbeitsgemeinschaft sieht viel Optimierungspotenzial bei den Planungs- und Genehmigungsverfahren, bei der Beauftragung und Vergabe der Netzanschlüsse sowie bei Personalkapazitäten. Auch die Industrie sei gefordert, heißt es in der Abschlussmitteilung der Stiftung Offshore-Windenergie, auf eine Standardisierung der Netzanschlusssysteme hinzuarbeiten. Insgesamt setzt die AG Beschleunigung auf so genannte Realisierungsfahrpläne, die für alle Beteiligten verbindlich sein und zu einer vollständigen Transparenz zwischen allen Beteiligten führen sollen.
„Der umfassende Katalog ist eine gute Grundlage, die anstehenden Netzanbindungsfragen zu lösen. Nun wird die Bundesregierung, die gesetzgeberischen Voraussetzungen schaffen, um vor allem die offenen Haftungsfragen zu regeln“, äußerte Umweltminister Norbert Röttgen bei der Übergabe. Philipp Rösler spezifiziert: „Noch vor der Sommerpause wollen wir hierzu einen Gesetzentwurf vorlegen.“ Man sei aufgeschlossen, ein finanzielles Engagement der KfW für den Netzausbau zu prüfen, das den Netzbetreibern helfe, ihren gesetzlichen Verpflichtungen zum Netzausbau nachzukommen. Bei der Finanzierung werde ein fairer Ausgleich zwischen allen Beteiligten angestrebt. „Lösungen allein zu Lasten der Verbraucher sind keine Option. Die Übertragungsnetzbetreiber und Windparkbetreiber müssen einen angemessenen Teil des Risikos selbst tragen“, kündigt Rösler an.
Die Vorschläge sollen die 2012 und 2013 in der Umsetzung befindliche erste Ausbaustufe von Offshore-Windparks von rund 3.000 MW ermöglichen.
Für einige Windparkbetreiber wird es dafür höchste Zeit: RWE Innogy hatte bereits erhebliche finanzielle Schäden durch Verzögerungen beim Netzanschluss gemeldet und prüft bereits Schadenersatzforderungen an den Netzbetreiber. Wie Erneuerbare Energien Ende Februar berichtete, will der Energiekonzern die Arbeiten am 295-Megawatt-Windpark Nordsee Ost nordöstlich von Helgoland nun künstlich in die Länge ziehen, um die Verzögerungen und Folgekosten beim Netzausbau abzufedern.
(Denny Gille / Regine Krüger)