Im Radioprogramm des Kölner Senders Deutschlandfunk sagte Krischer am Samstag: „Ich glaube, es geht dem Konzern jetzt einfach darum, hier eine Provokation zu setzen, am Ende die Kohlekommission auch zu sprengen, weil man das genau nicht will, dass am Ende hier entschieden wird, dass die Tagebauplanung reduziert wird.“ Es gehe dem Konzern vielleicht sogar weniger darum, die Fortsetzung des Hambacher Tagebaus schnell abzusichern und deshalb den Forst unwiderruflich zu roden, deutete Krischer an. Seines Erachtens gehe es „vielmehr darum, dass RWE verhindern will, dass seine Planungen aus den 70er-Jahren da deutlich verkleinert werden.“ Soll heißen: RWE wolle untergraben, dass ein zielstrebiger und an Klimaschutzplänen orientierter Ausstiegsplan für die Kohlekraft die bis weit über 2040 hinaus reichenden eigenen Bergbau- und Kohlstrompläne nichtig werden ließen.
Krischer: RWE will sehr wohl Fakten schaffen
Grundsätzlich könne es aber nicht sein, dass die Politiker im Bundestag „in Berlin zusammensitzen und über den Ausstieg aus der Kohle reden“, sagte Krischer, „und dass hier dann Fakten geschaffen werden“. Mit „hier“ dürfte Krischer den Hambacher Forst meinen und mit „Fakten geschaffen werden“ auf eine seiner Meinung nach fehlende Rücksicht von RWE auf alle bevorstehenden Entscheidungen der Bundespolitik zur weiteren Kohlenutzung hinweisen. Krischer betonte: Die Haltung des Stromkonzerns sei auch deswegen falsch, weil Vertreter der Umweltverbände in der Kohlekommission mitarbeiteten, die „sich wirklich schwergetan haben, in so eine Kommission rein(zu)gehen bei einer Bundesregierung, wo man nicht weiß, ob sie es wirklich ernst meint“.
Die Kohlekommission der Bundesregierung hat sich seit dem Sommer bereits mehrmals getroffen, um eine Einigkeit der 31 Mitglieder über einen Kohleausstiegsplan herzustellen. Dabei lautet der Auftrag der Regierung für die Kohle-Kommission, nicht nur einen Ausstiegszeitplan für die nächsten Jahrzehnte zu entwerfen und dabei die Energiesicherheit in Deutschland zu gewährleisten. Die Kommission soll auch Ideen für den wirtschaftlichen Strukturwandel der von der Schließung großer Kohlekraftwerke und der Tagebaue betroffenen Regionen entwickeln. Ein solches Konzept soll dann auch der Schaffung neuer Arbeitsplätze für die in der Kohleindustrie verschwindenden Jobs dienen. Auch Antworten für den sozialen und kulturellen Fortbestand der Region zu finden, ist Aufgabe der Kommission. In ihr sitzen außer Vertretern von Umweltverbänden noch Vertreter der klassischen Energiewirtschaft oder zum Beispiel Politiker. Bis Ende 2018 wird laut Koalitionsvertrag der Regierungsparteien CDU/CSU und SPD der Kohle-Ausstiegsplanentwurf vorliegen, damit ihn anschließend der Bundestag beschließen kann. Die Gegner eines schnellen Kohleausstiegs in der Kommission verweisen gerne auf ein ohnehin aufgrund hoher CO2-Preise eintretendes Ende der Kohlenutzung in den 2040er Jahren. Befürworter des geplanten Kohleausstiegs plädieren hingegen für Laufzeiten der letzten Kohlekraftanlagen bis höchstens 2035.
Umweltschützer zweifeln Angaben der Bergbaufirma an
Umstritten sind auch die von RWE seit Wochen vorbereiteten Baumfällarbeiten im Hambacher Forst am Südrand des Tagebaus. Die Kritik entzündet sich indes nicht nur daran, dass der Stromkonzern das Ergebnis der Kommission nicht abwarten will und damit eine mögliche Verlangsamung des Tagebaus Hambach nicht in Betracht ziehen will. Auch die Begründungen durch RWE für die jetzige Eile werden von den Umweltschützern kritisiert, ebenso das derzeit entschiedene Vorgehen der Polizei im Hambacher Forst gegen Protestierende. Diese hatten dort in den vergangenen Tagen bereits Hütten aufgebaut, um sich auf eine Blockade des Waldes vorzubereiten. Die Polizei riss sie wieder ab.
Hingegen erklärt RWE, der Konzern könne nicht das Ergebnis der Kohlekommission abwarten. Das eingeräumte Zeitfenster für die Rodungssaison von Oktober bis Februar wolle der Konzern ausschöpfen, um keine Unterbrechung der Kohleversorgung in Nordrhein-Westfalen zu riskieren. Laut Zulassung durch die Bezirksregierung darf RWE nur zwei bis drei Jahre im Voraus roden, also den Waldrand von der Abbruchkante des Tagebaus durch die Abholzungen soweit weiterschieben, dass der fortschreitende Tagebau dort erst in zwei bis drei Jahren ankommen würde. Laut RWE ist die Abbruchkante an der engsten Stelle nur noch 300 Meter vom Waldrand entfernt. Bei einem jährlichen Fortschritt des Tagebaus von 150 Metern, so lauten die RWE-Angaben, würde demnach der Tagebau ohne Rodungen in zwei Jahren den Waldrand erreicht haben. Um nach 2020 mit dem Tagebau fortfahren zu können, müssten die Rodungen deshalb noch in der aktuellen Fällsaison bis Februar stattfinden.
Rodungen aus Sicherheitsgründen gegen Einsturzgefahr?
Ein am 1. September in einer WDR-TV-Sendung erstmals präsentiertes Argument des Kohlekonzerns legt zudem nahe, die Rodungen müssten aufgrund der Stabilität der Tagebaugrube sofort stattfinden. Sonst drohe die derzeitige Abbruchkante einzubrechen. Sie ist tatsächlich wohl sehr steil. RWE müsse nun eine Rampe schaffen, sagt der Leiter der Tagebauplanung Harald Marx. Dies geschehe, indem RWE weit genug Richtung Wald vorrücke, aber mit zunehmender Nähe daran immer weniger tief baggere.
RWE falle immer weniger zur Begründung der Waldrodung ein, sagte hingegen Dirk Jansen vom Landesverband des Umweltschutzbundes BUND in derselben Sendung. Das nun ein neues Argument aus dem Hut gezaubert werde, sei wenig glaubwürdig.
Der BUND bezweifelt sogar die Angaben zum Tempo der Bagger. Im Durschnitt rückten die Schaufelradfahrzeuge nur 120 Meter pro Jahr voran. Die Abstände zur jetzigen Waldkante betrügen mindestens 310 Meter – an nur einer, der engsten Stelle. Ansonsten sei die Kante noch bis zu 580 Meter vom jetzigen Waldrand entfernt. Bei einer flexibleren Vorrück-Strategie, die sich auf die Gebiete mit größeren Distanzen zum Waldrand fokussiere, bliebe daher noch viel Spielraum. Der vom BUND nahegelegte Schluss: RWE könnte und müsste laut Vorgaben der Bezirskregierung daher auf die Baumfällsaison 2019 warten.
Schließlich kritisiert der BUND, RWE-eigene Rodungspläne verrieten, dass das Unternehmen schon auf Vorrat sich Bergbauflächen sichern will. Mit der von RWE für 2019 als Ziel vorgesehenen Rodungsgrenze verdoppele sich die abbaubare Strecke bis zum Waldrand auf mindestens 650 Meter, schreibt der BUND.
RWE nennt Braunkohle "Partner der Erneuerbaren"
Ebenfalls im Deutschlandfunk begründete am Samstag der Leiter der Abteilung Tagebauentwicklung bei RWE, Michael Eyll-Vetter, die Räumung von Protestcamp-Infrastruktur in den vergangenen Tagen. RWE sei „von den Behörden aufgefordert worden, waldfremdes Material aus dem Wald zu entfernen. Dazu sind wir auch als Eigentümer verpflichtet.“
Ohnehin habe sich die Braunkohle „in den letzten Jahren mehr und mehr zum Partner der Erneuerbaren entwickelt. Unsere Kraftwerke sind so flexibel, dass sie die Schwankungen, die aus der Einspeisung der Erneuerbaren resultieren, ausgleichen können“, sagte Eyll-Vetter. Das Hambacher Revier sei für 15 Prozent der Braunkohleverstromung in Nordrhein-Westfalen verantwortlich und daher sein Fortbestand mittelfristig nicht wegzudenken, legte er nahe.
Allerdings: Dass Braunkohlekraftwerke bei hohen Einspeisepitzen der Erneuerbaren ihre Leistung reduzieren, geben die in der Energiebranche bekannten Datenreihen wie zum Beispiel vom Fraunhofer-Institut Ise bisher nicht her.
(Tilman Weber)
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