Kehrtwendung in der Berliner Politik: Am vergangenen Mittwoch gaben die Fraktionsvorsitzenden von CDU und SPD im Roten Rathaus am Alexanderplatz bekannt, dass Berlin die Versorgung mit Grünstrom in die eigenen Hände nehmen will. Kommende Woche soll der Entwurf eines Betriebsgesetzes ins Abgeordnetenhaus eingebracht werden. Das Gesetz sieht die Gründung des kommunalen Stadtwerks unter dem Dach der Berliner Straßenreinigung (BSR) vor. Die BSR ist der kommunale Müllentsorger der Bundeshauptstadt. Das Unternehmen betreibt bereits große Photovoltaikgeneratoren und Anlagen zur Müllverbrennung.
Ausverkauf in den Neunzigern
Die Bundeshauptstadt hatte Ende der 90er Jahre sowohl ihr Stadtwerk als auch die kommunalen Wasserbetriebe an Großkonzerne veräußert, damals unter der Ägide einer CDU-Landesregierung. Seitdem stiegen die Wasserpreise enorm an, auch die Strompreise kletterten in die Höhe. Ein Gericht entschied, dass die überzogenen Wasserpreise reduziert werden müssen. Platzhirsch in der Berliner Energieversorgung ist der schwedische Staatskonzern Vattenfall, der sich mittlerweile einen denkbar schlechten Ruf erarbeitet hat. Zum einen fiel Vattenfall wiederholt durch Pannen in seinen Atomkraftwerken auf. Zum anderen versucht der Konzern, die Neuvergabe der Konzession für das Berliner Stromnetz zum Jahresende 2014 zu torpedieren. So wurde die zuständige Finanzverwaltung der Bundeshauptstadt lange im Unklaren gelassen, wie viel das Berliner Stromnetz tatsächlich wert ist.
Senat fürchtet Bürgerbegehren
Das rief die Bürger auf den Plan. Ein Energietisch wurde gegründet, eine Bürgerinitiative will das Stromnetz übernehmen. Sie beteiligt sich an der Ausschreibung und forderte wiederholt, das Stromnetz als neutrale Handelsplattform zu demokratisieren. Nach erfolgreichen Bürgerbegehren zur Offenlegung der bis dahin geheimen Deals mit den Wasserbetrieben regte sie ein Plebiszit über die künftige Energieversorgung des Stadtstaates an. Auch der Energietisch hatte die Forderung aufgemacht, die Stromversorgung zur kommunalen Aufgabe zu machen. Stefan Taschner, Sprecher des Berliner Energietischs, kommentierte: „Das Stromnetz soll ebenfalls zu mindestens 51 Prozent in Berliner Hand kommen.“ Schon im Oktober hatte die Gewerkschaft Verdi gefordert, die Stromnetze zurückzukaufen, „wenn die Rekommunalisierung nicht zu Lasten der Beschäftigten geht“. Stromnetze seien Teil der Daseinsvorsorge. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Energie dürfe nicht der Gewinnmaximierung geopfert werden.
Vollversorgung mit Grünstrom als langfristiges Ziel
Für den Übergang zur Vollversorgung aus erneuerbaren Energien darf das neue Unternehmen auch Energie aus dezentralen Anlagen zur Kraft-Wärme-Koppelung mit einem Wirkungsgrad von mindestens 80 Prozent nutzen. Ziel ist zudem die Förderung des Energiesparens und der Energieeffizienz. Die Firma wird als Anstalt öffentlichen Rechts errichtet. Zweck der Netzgesellschaft ist die Übernahme der Stromnetze zum Jahresbeginn 2015. Die Stadtwerke sollen erreichen, dass Berlin langfristig vollständig aus erneuerbaren Energien versorgt wird. Die finanzielle Unterstützung sowie Produktion und Vertrieb von Energie aus Atommeilern und Kohlekraftwerken ist ausgeschlossen. Allen Beschäftigen der Netzgesellschaft von Vattenfall wird die Übernahme durch das neue Unternehmen angeboten. Die Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen werden übernommen. Die Zahl der Beschäftigten bleibt während der Laufzeit des Konzessionsvertrags stabil. (Heiko Schwarzburger)