Eigentlich kein Zweifel. Der zweitägige EU-Gipfel heute und morgen hat ein selbst gesetztes Themen-Potpourri vor sich, so bunt und vielfältig wie eine Blumenwiese – um es dem beginnenden Sommer entsprechend mit offener Stimmung und Vorfreude aufzunehmen. Bei so breitem von den EU-Staatsführern gezeigten Interesse am Anpacken sollten auch Gespräche mit verbindlichen Beschlüssen zur Umsetzung der Pariser Klimaschutzziele nicht fehlen, findet Umweltschutzorganisation WWF. Doch genau daran ist leider Zweifel angebracht.
Vorweg: Unter den morgendlichen Schlagzeilen zum heute und morgen in Brüssel tagenden EU-Gipfel findet sich vieles, aber nichts zu Klimaschutz. „Neue Zukunftslust für Europa“ titelt der Deutschlandfunk euphorisch und verweist auf die Themen Migration, Brexit, Verteidigungs- und Handelspolitik. Das mit der Lust scheint auf die angeblich Mut machende Frische gemünzt, die der neu gewählte französische marktliberale Präsident Emmanuel Macron angeblich ausstrahlt, ein Zitat des EU-Kommissionspräsidenten Jean Claude Juncker gleich am Anfang des Deutschlandfunkberichts mit Bezug zu den Frankreichwahlen legt dies nahe. Auch die anderen Überschriften und Themen-Anreiß-Texte stellen vieles, aber nicht das Klima in den Vordergrund: „Mehr Freihandel als Antwort auf Trump“, „Sicherheit, Wirtschaftswachstum, Migration“, „EU-Gipfel wird Kohl würdigen“, EU-Gipfel tagt zu Russland-Sanktionen und Brexit“, „Schwierige Debatte über Türkei … erwartet“, „ … chinesische Investitionen …“, „Europas gemeinsame Verteidigungspolitik“ – stellen ARD, Bayerischer Rundfunk, Die Welt und N24, Stern, Vorarlberg Online, Tiroler Tageszeitung oder FAZ nach vorne.
Dabei steht das Thema Umsetzung der Pariser Klimaschutzziele ganz offiziell auf der Tagesordnung. Die Umweltschutzorganisation WWF liegt nun genau richtig, jetzt die EU-Führer zu ehrgeizigen Klimaschutzbeschlüssen und zum Handeln zu ermahnen.
„Wir begrüßen es, dass die EU-Staatschefs die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens nach den jüngsten Entwicklungen auf die Agenda genommen haben“, lässt sich der Michael Schäfer zitieren, Leiter des Fachbereichs Klimaschutz und Energiepolitik beim WWF Deutschland. Schäfer betont: „Es darf aber nicht bei einem Lippenbekenntnis bleiben, weiterhin hinter dem Abkommen zu stehen. Wir brauchen Taten. Die EU muss endlich Klimaschutz betreiben, der mit dem Ziel von Paris vereinbar ist. Das bedeutet unter anderem, den Emissionshandel grundlegend zu reformieren. In seiner jetzigen Form ist er wirkungslos. Auch für all jene Bereiche, die der Emissionshandel nicht abdeckt, wie Landwirtschaft, Verkehr und Gebäude, braucht die EU ambitioniertere Ziele, um schädliche Treibhausgasemissionen schnell und spürbar zu reduzieren. Auf Deutschland wartet zuhause noch eine der wichtigsten Aufgaben: das Ende der Kohle rechtzeitig einzuleiten.“
Der Klimaschutz- und energiepolitische Experte der Nichtregierungsorganisation liegt leider nur allzu richtig. Es bedarf gar nicht erst der Vergegenwärtigung der morgendlichen Schlagzeilen, um zu erkennen, dass die EU ehrgeizig nur beim Weiter-So, keinesfalls aber Wende-Politik wagen will – ob außen- oder migrationspolitisch, ob in der Wirtschaftspolitik oder eben der schwierigen, aber doch als unentbehrlich dargestellten Partnerschaft ausgerechnet in Militär- und Flüchtlingsfragen zur von Bürgerkrieg und beginnender Diktatur geplagten Türkei.
Pikant in diesem Zusammenhang die Präsentation eines Faktenchecks zu Klimaschutz-Lügen des US-Präsidenten Donald Trump auf der Homepage des Bundesumweltministeriums. Zum Teil akribisch legt die Bundesumweltministerin Barbara Hendricks dort argumentativ und am Beispiel der Trump-Argumente dar, dass die Ängste der Klimaschutzskeptiker vor allem vor einem wirtschaftlichen Kollaps als Folge jeder Energiewende unbegründet sind. Teils sind die vom Hendricks-Ministerium gegebenen Antworten auf Trumps Fake News beeindruckend informativ wie die zur Frage „Wird den USA durch das Pariser Klimaabkommen etwas verboten, was anderen Staaten erlaubt bleibt?“. Teils sind sie polemisch schlicht wie die Trump-Aussagen, auf die sie sich beziehen: Werden die USA bestraft?, lautet eine Frage sinngemäß. „Falsch, das Abkommen bestraft niemanden und kein einziges Land“ ist die dürftige Antwort auf die unbestimmte Sorge vieler auch hierzulande, dass andere Länder mit geringerem Umweltschutz sich Zeit lassen dürfen beim Nachholen etwa technologischer Revolutionen für mehr Klimafreundlichkeit.
Mehr ins Zeug hängen müssten sich die Klimaschützer in den Reihen der Bundesregierung aber nicht mit Verweisen auf das Himmelsgeschenk eines jeden inhaltsscheuen Politikers im Bundeswahlkampf Donald Trump, gegen den sich offenbar immer gewinnbringend Position beziehen lässt – weil der Beifall darauf ein merkwürdiger Konsens über alle politischen Lager hinweg ist und offenbar keine eigene Glaubwürdigkeit mehr verlangt. Auf Glaubwürdigkeit aber will dieser Kommentar dennoch pochen – und verlangt von der Umweltministerin einen Faktencheck zu falschen Argumenten der EU-Führer, falls der Gipfel keine mutigen nationalen und EU-weiten Klimaschutzschritte festhält. Noch mehr aber muss Hendricks im Regierungskabinett und im Umfeld des Klimagipfels dafür kämpfen, dass es zu mutigen nationalen und EU-weiten Klimaschutzschritten kommt. Egal ob die medialen Schlagzeilen dazu Erwartungen wecken oder das wichtige Thema schlicht ignorieren.
Ganz einfach. Danke WWF.
(Tilman Weber)