Manchmal muss man auch kleine Fortschritte als große verkaufen: „Hessens Energiewende nimmt wieder Fahrt auf“, lautete kürzlich die frohe Überschrift einer Presseinformation aus dem hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen. Als Beleg dafür wertete Minister Tarek Al-Wazir von den Grünen, dass das Bundesland beim Ausbau der Windenergie in den ersten sechs Monaten 2023 auf Platz 5 vorgearbeitet hatte – „ein Spitzenwert“.
Sind 19 Windenergieanlagen mehr schon eine Erfolg?
Allerdings: In konkreten Zahlen bedeutete dies laut Windenergiestatistik der Deutschen Windguard die Inbetriebnahme von 19 Windenergieanlagen mit 89 MW Leistung und damit einen Anteil an der gesamten neuen Leistung in Deutschland von 6 Prozent. Al-Wazir wertete diesen Zubau dennoch als Erfolg. Schließlich war das schwarz-grün regierte Hessen im Vergleichszeitraum 2022 noch auf dem vorletzten Platz unter den Flächenländern gelandet. Außerdem habe man eines der ersten Bundesländer die geforderten 1,9 Prozent der Landesfläche für die Windenenergienutzung ausgewiesen. 400 Windenergieanlagen befänden sich im Genehmigungsverfahren oder seien bereits genehmigt, betonte Al-Wazir. In den Regierungspräsidien seien zudem hunderte neue zusätzliche Windenergieprojekte angekündigt worden. Ein neuer Windenergieerlass soll darüber hinaus dafür sorgen, dass die von EU und Bundesregierung beschlossenen Erleichterungen in der Genehmigung auch zügig umgesetzt werden können.
Die Grünen liegen in Umfragen hinter CDU, SPD und AfD auf Platz 4
Kurz vor der Landtagswahl am 8. Oktober brauchen die Grünen Erfolgsmeldungen. Zum einen, weil der Partei-Nachwuchs beim Beschluss des Wahlprogramms durchgesetzt hat, die angestrebte Klimaneutralität des Bundeslandes um zehn Jahre auf 2035 vorzuziehen – die saubere Energie muss schließlich irgendwo herkommen. Außerdem ist es angesichts sinkender Zustimmung wichtig, die grünen Erfolge der Regierungsarbeit mit der CDU aufzuzeigen: Neueste Umfragen sehen die Grünen bei 16 Prozent und damit fast 4 Prozentpunkte unter dem Wahlergebnis von 2018. Die Partei, die selbstbewusst ausgegeben hatte, diesmal stärkste Kraft werden zu wollen, liegt in den Umfragen nur auf Platz 4.
Reicht das Weiter-so der CDU für Klimaneutralität?
Besser steht der konservative Koalitionspartner da: Mit aktuell knapp 26 Prozent würde die CDU ihr Wahlergebnis von 2018 fast wieder einstellen können und wäre stärkste Partei. Die AfD liegt mit 20 Prozent gleichauf mit der SPD, die FDP wäre knapp, die Linke deutlich nicht mehr im Landtag vertreten.
Für die Windenergie sind diese Umfragewerte keine gute Nachricht. Zwar könnte die schwarz-grüne Koalition weiterarbeiten, aber auch andere Konstellationen sind denkbar. Und während die Grünen im Wahlprogramm eine Steigerung der Flächenausweisung auf 2,2 Prozent der Landesfläche, Neuinstallationen von mindestens 500 MW pro Jahr und Repowering außerhalb von Eignungsgebieten sowie einen sechs Milliarden Euro schweren Klima- und Transformationsfonds fordern, steht bei der CDU der Klimawandel gerade mal auf Punkt 22 von 33 im Wahlprogramm. Und die Partei macht deutlich: Wir haben die Weichen gestellt, mehr Flächen brauchen wir nicht, außer für Repowering – weiter so in Richtung Klimaneutralität 2045.
BWE und BUND fordern mehr Flächen und 100 MW Zubau jährlich
Ein Weiter-so wird aber nicht reichen, um dieses Ziel zu erreichen. Stand 30. Juni drehen sich 1.162 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 2.462 MW im Hessischen, die Zubauraten sind bescheiden. Schon im Mai forderten der Bundesverband Windenergie und der BUND eine deutliche Beschleunigung des Windenergieausbaus, um auch die nötige Leistung für die Dekarbonisierung des Verkehrs und der Industrie bereitstellen zu können. Mindestens 100 Windenergieanlagen müssten jährlich in Hessen genehmigt werden, 2,2 Prozent wirklich nutzbarer Fläche für Wind ausgewiesen werden.
Nur die Linke hat klare Ziele zur Windenergie
Doch in den Wahlprogrammen schlägt sich diese Notwendigkeit kaum nieder. Lediglich die Linke trifft neben den Grünen überhaupt konkrete Aussagen: Sie fordert, mindestens 150 neue Anlagen jeden Jahr zu genehmigen. SPD und die FDP erwähnen die Windenergie nicht explizit in ihren Wahlprogrammen. Während die Sozialdemokraten die Landesverwaltung bis 2030 und Hessen als „eines der ersten Bundesländer“ mit Hilfe eines integrierten Klimaplans klimaneutral machen wollen, verzichtet die FDP auf klare Ziele und setzt auf einen „effektiven Klimaschutz“ unter Einbeziehung des Emissionshandels. Die AfD hingegen fordert einen Ausbaustopp für Windenergie- und Solaranlagen und verlangt, dass diese künftig ausschließlich „netzdienlich“ gefahren werden. Stattdessen sollen wieder Kohle- und möglichst auch Atomkraftwerke wieder Strom erzeugen. (kw)
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