Moritz Rodenhausen ist Ingenieur für regionale Entwicklung beim Windturbinenhersteller Siemens für die Großregion EMEA, zu der Europa zählt. Seit rund vier Monaten hat er auch beim Produktmanagement des Windturbinenherstellers den Hut auf – jedenfalls in einem Teilbereich, insofern er sich auf den deutschen Markt konzentriert. Zuvor hatte der Ingenieur Türme für Windenergieanlagen designt und Lasten berechnet, die aus dem Wind auf die bis zu 200 Meter hohen Maschinen heute drücken. Diese Lasten können im Extremfall und ohne kluge Berechnung der Turmdesigns sowie notwendiger Lastvermeidung durch die Rotorblattstellungen die Standsicherheit der Windturbinen gefährden.
Nicht zuletzt deshalb war Rodenhausen wohl idealer Initiator einer Brancheninitiative, um das immer drängendere Problem mit der Standsicherheit im Einvernehmen mit anderen Windturbinenbauern beiseite zu schaffen. Denn Investoren neuer Windparks müssen nach deutschem Baurecht nachweisen, dass im sogenannten Nachlauf hinter neuen Windturbinen schon stehende Bestands-Windenergieanlagen nicht in ihrer Standsicherheit gefährdet sind. Da dieser Nachweis zunehmend schwieriger wurde, ließen die Baubehörden die Windparkbetreiber bei bestimmten Windkonstellationen ihre neuen Turbinen nur mit reduzierter Leistung betreiben.
Nachweis der Standsicherheit wird mit größerer Windparkdichte schwieriger
Das Problem war eigentlich lange Zeit in Deutschland nur auf wenige besonders dicht mit Windturbinen bebaute Regionen beschränkt: Im Nachlauf der Windturbinen, also hinter den in eine Luftströmung gestellten Windenergie-Rotoren, entstehen bedeutende Luftverwirbelungen. Sie können dahinter platzierte andere Windenergieanlagen derart unsteten und wechselnden Lasten aussetzen, dass diese Bestandsanlagen schlimmstenfalls ihren Halt verlieren. Kein Problem stellte das Phänomen dar, solange die nächsten Windturbinen hinter der neuen Anlage vom selben Hersteller stammten. Denn der konnte alle Standsicherheitsnachweise dieser Bestandsanlagen mit dem Zugriff auf alle Fabrik- und Betriebsdaten schnell neu berechnen.
Sobald aber Nachbaranlagen von konkurrierenden Windturbinenbauern stammten, waren diese Neuberechnungen nicht mehr möglich. Hier musste die Branche die Auswirkung neuer Windturbinen auf die Standsicherheit der Bestandsanlagen oft schlicht abschätzen. Und weil das nicht so einfach ist und komplette Standsicherheitsprüfverfahren von Grund auf bei Bestandsanlagen zu teuer sind, haben die Genehmigungsbehörden neue Turbinen bei bestimmten Windrichtungen nur noch gedrosselt laufen lassen. Je geringer nämlich die Rotordrehzahl ist, desto geringer wird der Nachlaufeffekt der Luftverwirbelung.
Leichte Leistungsreduzierung als Bauauflage wird Normallfall
Inzwischen ist beim Ausbau bestehender Windparks, bei Nachverdichtungen in alten Windfeldern oder beim Zubau neuer Windparks in schon gut genutzten Regionen die enge Nachbarschaft von Turbinen verschiedener Hersteller ein Normalfall. Die Leistungsreduzierung wurde es auch. Vor allem aber haben die komplizierter gewordenen Standsicherheitsnachweise den Turbinenherstellern und Windparkinstallateuren immer mehr Ressourcen abverlangt. Die Genehmigungsverfahren hatten sich durch die komplexer gewordenen Verfahren des Standsicherheitsnachweises verlängert.
Siemens-Ingenieur Rodenhausen leitete nun ein Unternehmens-übergreifendes Expertengremium. Siemens hatte es initiiert, um die Standsicherheitsverfahren wieder zu vereinfachen. Teilnehmer in diesem Joint-Industry-Projekt waren neben Siemens fast alle anderen im Deutschlandmarkt aktuell wichtigsten Turbinenhersteller Nordex, Vestas, Enercon, Senvion und auch das Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Außerdem nahmen die im deutschen Markt führenden Zertifizierungsdienstleister teil: DVN GL, Tüv Süd und Tüv Nord.
Turbinenhersteller einigen sich auf neues Rechenverfahren
Das so entwickelte Verfahren ist nun in einem Fachaufsatz auf einer Internetseite eines wissenschaftlichen Technologiemagazins veröffentlicht worden. „Ich gehe davon aus, dass es die Genehmigungsverfahren in den meisten Fällen um zwei bis drei Wochen verkürzen wird“, sagt Moritz Rodenhausen zu ERNEUERBARE ENERGIEN. Konkret haben sich die Projektteilnehmer auf ein Rechenverfahren geeinigt, mit der sich die Standsicherheit von Bestandsanlagen künftig überprüfen lässt. Zur Einigung gehört auch, dass die Windturbinenbauer klärten, welche Anlageninformationen für die Standsicherheitsurteile notwendig sind. Viele Zertifizierer bieten mittlerweile auch eine unabhängige Lastprüfung an, wenn die Standsicherheit von Bestandsanlagen überprüft werden muss.
Das vereinfachte Prüfverfahren soll darüber hinaus erlauben, dass die Projektierer für die Installation einer neuen zwischen älteren Anlagen nicht mehr jeden Turbinenhersteller der ringsum eventuell betroffenen Bestandsanlagen einzeln um Daten anfragen müssen. Außerdem werde künftig nur noch in Ausnahmefällen neu installierten Windturbinen von den Baubehörden eine Leistungsbeschränkung auferlegt, betont Rodenhausen. Diese war schließlich in den meisten Fällen als reiner Sicherheitspuffer auferlegt worden.
Wichtig für die Ausschreibungen
Die tatsächliche Auswirkung auf den Jahresertrag neu installierter Turbinen dürfte indes nicht so groß sein. Derzeit geht man davon aus, dass sich der Jahresertrag um bis zu fünf Prozent – je nach Standort – erhöhen kann, wenn die neue Methodik zur Anwendung kommt.
Im beginnenden Wettbewerb des deutschen Windenergiemarktes mit Ausschreibungen aller neuen Projekte freilich könnten auch diese Quäntchen an Mehreinspeisung entscheidend sein. Schließlich gewinnen diejenigen Projekte in einem Tender künftig eine Förderung, die den Strom am günstigsten anbieten.
(Tilman Weber)