Nun hat die Europäische Kommission wieder Öl ins Feuer gegossen. Denn sie hat einen vorläufigen Bericht zur Untersuchung der Dumping- und Subventionsvorwürfe gegen chinesische Modulhersteller an die relevanten Prozessbeteiligten verschickt. Diese sollen jetzt Stellung nehmen, damit die Kommission im März eine Entscheidung fällen kann. Das haben die verschiedenen Akteure auch getan, die sich inzwischen immer unversöhnlicher gegenüberstehen. Auf der einen Seite steht ein Teil der europäischen Modulhersteller um Solar World, der in der Plattform EU Pro Sun organisiert ist, und begrüßt diese Entscheidung. Auf der anderen Seite stehen die europäischen Projektierer und unabhängigen Handwerker, die sich in der Solar Alliance for Europe (Safe) zusammengeschlossen haben, denen die Zölle schon längst ein Dorn im Auge sind.
Die Frontlinien haben also den schon seit mehr als drei Jahren bekannten Verlauf. Dabei ist eine so klare Beurteilung der Lage gar nicht so simpel, wie es beide Seiten glaubhaft machen wollen. Sicherlich hat Milan Nitzschke, Präsident von EU Pro Sun, nicht ganz unrecht, wenn er befürchtet, dass ohne entsprechenden Absatz in Europa viel Innovationskraft und technischer Fortschritt in der hiesigen Solarbranche verloren geht. Doch einerseits sind die Chinesen auch nicht auf den Kopf gefallen. Viele Hersteller wissen sehr genau, an welchen Stellschrauben sie drehen müssen, um qualitativ hochwertige Module auf höchstem technologischen Stand zu produzieren. Das zeigen die Innovationen aus den Modulwerken von Trina oder Jinko Solar, die in diesem Jahr auf der Intersolar vorgestellt wurden und die Investitionen, die sie in den Bereich Forschung und Entwicklung stecken.
Systempreise sinken weiter
Auf der anderen Seite sind es eher die kleineren Projektierer und Handwerker, die unter den zu langsam sinkenden Modulpreisen in Europa leiden. Sie müssen dem Kunden klar machen, dass diese nicht mit den Modulpreisen rechnen können, die in anderen Teilen der Welt bereits Normalität sind. Sie sind es, die hauptsächlich unter dem schwindenden Solarmarkt in Europa leiden, weil sie nicht einfach auf die vielversprechenden Märkte in den USA, im Nahen Osten oder in Indien ausweichen können.
Die Wertschöpfung in der Photovoltaikbranche liegt längst nicht mehr auf dem Modul. Auch das Gros der Arbeitsplätze existiert nicht in den wenigen Modulfabriken Europas, sondern beim Handwerker, der die Anlagen zuerst verkaufen muss, ehe er sie installieren kann. Hier würde ihm ein geringerer Modulpreis sicherlich weiterhelfen. Statt dessen muss er zusehen, dass er die Preise an anderen Stellen senkt. Nicht selten setzt er bei seiner eigenen Marge an, um die Systempreise nach unten zu bringen. Deshalb ist es tatsächlich nicht einleuchtend, warum die Kommission die massiven Nachteile vieler europäischer Unternehmen entlang der solaren Wertschöpfungskette bisher ignoriert hat, wie Holger Krawinkel, Sprecher von SAFE betont. „Stattdessen baut sie einen Schutzzaun für eine Handvoll von Modulproduzenten“, sagt er. „Das ist absurd und steht im Widerspruch zur klaren Mehrheitsmeinung in Branche und Politik!“
Die Zellen fehlen
An dieser Stelle muss man aber klarstellen, dass längst nicht alle Modulhersteller von den Handelsschranken profitieren. Denn mit den Zöllen sind nicht nur die Paneele belegt, sondern auch die Solarzellen. Für innovative Unternehmen – ob mit oder ohne Standardmodul – ist es nämlich gar nicht so einfach, auf dem europäischen Markt genügend Zellen zu finden, die sie in ihre Paneele verbauen können. Denn abgesehen von Solarworld und seit neuestem Aleo Solar existieren nur wenige Zellhersteller in Europa, von denen überhaupt eine relevante Menge an Solarzellen auf dem freien Markt zu bekommen ist. Die europäische Produktionskapazität für Solarzellen von gut 1,2 Gigawatt kann längst nicht die Produktionskapazität für die Module in Höhe von etwa 3,4 Gigawatt bedienen. Hier sind die meisten der etwa 100 europäischen Modulhersteller darauf angewiesen, die Zellen aus Taiwan oder China zu importieren. Unter anderem um diese Schwierigkeit der Zellbeschaffung jenseits der Handelsschranken aufzulösen, hat Aleo Solar wieder eine eigene Zellproduktion aufgebaut. Denn der Modulproduzent in Prenzlau war einer der vielen Hersteller in Europa, die eher unter den Handelsschranken leiden als dass diese ihnen nützen würden.
Relevanten Hersteller haben andere Wege gefunden
Abgesehen davon, ob die Handelsschranken den innereuropäischen Wettbewerb in der Photovoltaikbranche auf der Einkaufsseite nicht mehr verzerren, als ihn auf der Verkaufsseite gerade zu biegen, bleibt es eine Frage der Sinnhaftigkeit, die Handelsschranken aufrecht zu erhalten. Denn inzwischen sind die relevanten chinesischen Modulhersteller aus der Mindestpreisvereinbarung ausgestiegen. Sie nehmen lieber die viel höheren Importzölle in Kauf, als sich an Mindestverkaufspreise für ihre Module halten zu müssen, wenn diese aus China kommen. Das ist aber in Zukunft immer weniger der Fall. Denn die großen Produzenten aus dem Reich der Mitte sind längst dabei, Fertigungsanlagen außerhalb des vom Zoll betroffenen Gebietes zu errichten und mit den Waren von dort, komplett ohne Einfuhrzölle, den europäischen Markt zu beliefern.
Auf diese Weise wird der Handelsstreit zwischen Europa und China, der im Jahr 2013 tatsächlich noch existierte, immer mehr zu einem Streit innerhalb der europäischen Solarbranche. Am Ende werden die Zölle, sollten sie tatsächlich verlängert werden, weder den europäischen Modulherstellern mit einer eigenen Zellproduktion nützen, noch den Photovoltaikmarkt für die Installateure und Projektierer behindern. Denn das eigentliche Problem sind nicht etwa billige Module aus China, sondern der fehlende Heimatmarkt. Diese fehlt allerdings nicht hauptsächlich, weil die Module oder Anlagen zu teuer sind, sondern weil der größte Teil der politisch Verantwortlichen in Europa kräftig gegen die Ökostromproduktion im Allgemeinen und gegen die Solarenergie im Besonderen polemisiert.
Psychologischen Effekt der Debatte nicht unterschätzen
Das Problem ist also nicht, ob es Zölle geben wird oder nicht. Das eigentliche Problem sind die Signale, die aus den Hauptstädten Europas an die Kunden gesandt werden, flankiert von der aktiven Behinderung des Photovoltaikausbaus durch extra aufgestellte administrative und pekuniäre Hürden. Am Ende wird es für die europäische Solarindustrie weitgehend egal sein, ob Zölle stehen oder fallen. Selbst für die Modulhersteller, die sich für die Zölle einsetzen, haben diese kaum eine Relevanz, da sie sich inzwischen auf anderen weniger protektionistischen Märkten mit der Konkurrenz aus dem Reich der Mitte messen müssen, um die Module abzusetzen.
Die Zölle schaden hingegen eher auf einer anderen Ebene – der psychologischen. So behindert die Betonung darauf, durch die Zölle würden die Anlagen nicht billiger, den klaren Blick des Kunden auf die tatsächlichen Realitäten. Denn auch wenn die Modulpreise in Europa inzwischen langsamer sinken sollten, bleibt es eine Tatsache, dass die Anlagen sehr viel billiger sind als noch vor einigen Jahren und der Eigenverbrauch selbst mit einem teureren Modul auf dem Dach längst lukrativer ist, als den Strom vom Versorger zu beziehen. Die Modulproduzenten, die die Zölle befürworten, sollten sich hingegen fragen, ob es nicht besser ist, einen kleineren Teil eines großen Marktes abzudecken, statt einen großen Teil eines inzwischen im Weltmaßstab weitgehend irrelevanten Marktes. (Sven Ullrich)