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VKU-Vertriebstagung

Stadtwerke: Neue Chance durch Digitalisierung der Energiewende

„Es ist das zentrale Modewort derzeit“, stimmte der stellvertretende VKU-Hauptgeschäftsführer Michael Wübbels am Dienstag die Teilnehmer der VKU-Vertriebstagung in Braunschweig ein. Als Abteilungsleiter für das Thema Energiewirtschaft im Verband sieht er die Digitalisierung des Geschäfts der traditionellen lokalen Energieversorger einerseits als weit mehr als nur eine technologische Modernisierungsmaßnahme an: Die Stadtwerke müssten ihre Digitalisierung vorantreiben, um sich damit zum steuernden Akteur der Energiewende und der dezentralen Energieversorgung aufzuschwingen. Die kommunalen Energieunternehmen müssten sich somit als Effizienzdienstleister, als Energiemanager oder als Makler für Stromverbrauchs-Flexibilisierung und neue Stromvertriebsmodelle wie Mieterstrom auf dem Markt durchsetzen.

Andererseits plädierte Wübbels mit Verweis auf die Politik für Realitätssinn. „Vor wenigen Jahren“ sei das Vorgänger-Modewort das der „Kapazitätsmärkte“ gewesen: Gesetzgeberisch geschaffene Märkte für vorgehaltene elektrische Einspeise-Leistung. Auf entsprechenden Handelsplätzen sollten demnach moderne Gas-, aber auch Kohlekraftwerke als Unterstützungsanlagen ihre Fähigkeit verkaufen dürfen, in Phasen von wenig Wind- oder Sonnenstromeinspeisung und bei hohem Verbrauch ihre Generatoren anzuwerfen und die Leistungslücke aufzufüllen. Doch nachdem viele Stadtwerke vor rund fünf Jahren sich an Investitionen beispielsweise in hochmoderne Gas- und Dampfkraftwerke (GUD) für diesen Markt beteiligt hatten, hatte die Politik sich gegen die Unterstützung von Kapazitätsmärkten entschieden. Viele Stadtwerke leiden nun mit unter der Situation ihrer neuen Kraftwerksanlagen, deren Strom immer seltener gebraucht wird und die weiterhin nur die eingespeisten Kilowattstunden (kWh), aber nicht vorgehaltene Leistung verkaufen können. Manch beteiligtes kommunales Unternehmen erlitt aus diesem vermeintlichen Zukunftsgeschäft hohe Verluste.

Viele Möglichkeiten in Sicht

Doch Möglichkeiten eines lukrativen Geschäfts der Stadtwerke durch die digitale Revolution sind auf jeden Fall da: Als Effizienzdienstleister könnten die kommunalen Energieunternehmen die Unternehmen ihres abgesteckten Reviers, aber auch Mieter und Hausbesitzer beraten, wie deren Stromverbrauch reduziert sowie im besten Fall auch eigene dezentrale Erzeugung etwa mit Solaranlagen damit abgestimmt werden kann. „Die Etablierung von Effizienzdienstleistung als eigenes, wertschöpfungshebendes Geschäftsfeld“, rief Wübbels folglich bei der VKU-Tagung schon einmal aus. Außerdem könnten Stadtwerke dabei gleich zum Energiemanager werden – privaten Kunden und Eigenheimbesitzern Gesamtkonzepte für eine optimale Abstimmung von Eigenversorgung, Strom-Speicher und Strom-Verbrauch verkaufen, ihnen vielleicht sogar die Fernsteuerung bestimmter technischer Geräte anbieten, um sie nur dann in Betrieb zu setzen, wenn die Photovoltaikanlage auf dem Dach gerade genug kostenlosen Solarstrom dafür erzeugt oder der Stromspeicher voll ist. Und schließlich könnten sie sogenannte Mieterstrommodelle organisieren: Als Moderator organisieren die Unternehmen dann einen neuen Prozess, mit dem Besitzer von großen Mietshäusern für ihre Solaranlage regelmäßig Einkommen erzielen, ihre Mieter aber den Solarstrom vom Dach direkt verbrauchen können und nur dann zusätzlich für ihren Strom bezahlen, wenn gerade hauseigener Sonnenstrom nicht mehr zur Verfügung steht und der Strom aus dem Netz kommt.

Bedingung für alle solchen Konzepte ist ein Zugriff auf möglichst viele Daten: „Daten sind das neue Öl“, hatte VKU-Geschäftsführerin Katherina Reiche kürzlich als Devise des Verbands ausgewiesen: Eine Anspielung auf den heute noch für die Energieerzeugung zentralen und am meisten Gewinne versprechenden Rohstoff, mit dem die VKU-Chefin das Potenzial der Digitalisierung vergleicht. Wenn möglichst viele Daten von Verbrauchern  und Kunden gesammelt werden, könnten die Stadtwerke künftig auch die Verschiebung von Verbrauchslasten als Dienstleistung auf den Regelenergiemärkten anbieten. Sie könnten neue Kunden, indem sie die Privatverbraucher nicht mehr nach einem Standardlastprofil voreinschätzen und zum Jahresende immer wieder zu viel gezahlte Stromgebühren zurückerstatten oder zu wenig gezahlte nachfordern. Stattdessen könnten sie den realen Verbrauch abrechnen, in Echtzeit Stromsparen belohnen, und aus dem kompletten Wissen über den realen Verbrauch neue Angebote für die eigenen Kunden entwickeln.

Starke Konkurrenz wird dennoch anhalten

Allerdings wurde schon auf der Tagung in Braunschweig klar, dass die kommunalen Unternehmen sich auch hier in einem gedrängten Wettbewerbsfeld bewegen werden. Viele Dienstleister gründen sich derzeit oder kommen von anderen Spezialmärkten hinzu, die gezielt einzelne dieser neuen Energiemanagement-Dienstleistungen anbieten wollen. So warnte der Leiter für Markt und Handel beim Wuppertaler WSW, Kai-Uwe Selberg, vor der Konkurrenz von „Rosinenpickern“: vor rein privatwirtschaftlichen oft jungen Unternehmen, die den Stadtwerken die lukrativsten Energiedienstleistungen streitig machen, ihnen aber die Investitionen in die Infrastruktur der anstehenden Digitalisierung gerne überlassen. WSW arbeitet derweil bereits daran, Geschäftskunden an Lastverschiebungsoptionen teilhaben zu lassen: Die Industriekunden sollen demnach ihren Stromverbrauchs- und Maschinenfahrplan soweit auf die Direktvermarktung des Stroms an der Börse anpassen, dass beide Seiten, WSW und Industriepartner, dafür Extra-Einnahmen am Markt für Strom-Minutenreserven erzielen.

Viele Ideen werden derzeit unter den kommunalen Versorgern gehandelt. Doch der Gert de Block erklärt auch, warum die Entwicklung auch dieses Zukunftsmarktes von der Politik der Europäischen Union (EU) in Brüssel abhängig sein wird: Der Generalsekretär des Europa-Dachverbands kommunaler Energieunternehmen, Cedec, betonte auf der VKU-Tagung, es sei eine Intervention bei der Europäischen Kommission notwendig gewesen, damit diese überhaupt erst die Energiewirtschaft in ihrer Gesamtheit wohl mitsamt der Stadtwerke als Akteure wahrnähmen. „Wir haben es geschafft, die Kommission zu überzeugen, dass es nicht so einfach ist, dass die sogenannten Aggregatoren alle Probleme der erneuerbaren Energien aufheben.“ Eine Anspielung auf die europaweite Harmonisierung der Abrechnungen von Regelenergie, in deren Verlauf die Kommission den Begriff des Aggregators selbst eingeführt hatte. Aggregatoren sind privatwirtschaftliche Dienstleistungsunternehmen, die Stromkunden bündeln, um deren Lasten als Flexibilitäten am Regelenergiemarkt vermarkten zu können. Der VKU kritisiert jedoch, dass diese Unternehmen sich bislang der Verantwortung einer genauen Abrechnung  von tatsächlichem Verbrauch und tatsächlicher Einspeisung in einer bestimmten Netzregion entziehen.  

Zukunft der Energiedienstleistung ist nah

Wie nah die Zukunft der Energiedienstleistungswirtschaft schon ist, durfte ausgerechnet das Schweizer Unternehmen Tiko berichten: Der privatwirtschaftliche Dienstleister Tiko Power hat in der Schweiz 6.000 Haushalte und Stromverbraucher eingesammelt, um deren Verbrauch als flexible Last sogar auf dem Primärregelmarkt zu verkaufen. Die Teilnehmer sind sämtlich mit elektrischen Heizungen versorgt, haben Wärmepumpen oder Boiler und passen die Nutzung dieser Geräte bei einem Regelbedarf notfalls auch mal an den Bedarf der Netzregelung an. Der Primärregelmarkt gilt als gut bezahlt – Teilnehmer am Markt müssen die Regelleistung binnen 30 Sekunden bereit stellen können. Größter Verbraucher des Schweizer Anbieters Tiko ist übrigens eine Kirche mit einer Last von maximal 200 Kilowatt. Tiko ist nach eigenen Angaben übrigens „der erste Aggregator weltweit zur Bereitstellung von Primärregelleistung mit Haushalten“.

(Tilman Weber)