Können wir bald fliegen ohne CO2-Emissionen? So weit ist es noch nicht, aber ein erster Schritt ist getan: Gestern wurde im emsländischen Werlte eine Anlage zur Produktion von CO2-neutralem synthetischen Kerosin eingeweiht. Sie produziert den Kraftstoff mit grünem Wasserstoff, der wiederum aus Wasser und erneuerbarem Strom von Windrädern aus dem Umland erzeugt wird. Die erforderlichen Kohlenstoffe liefern CO2-Abfälle aus Lebensmittelresten einer Biogasanlage sowie CO2 aus der Umgebungsluft.
Betreiber der Anlage ist Atmosfair, eine Klimaschutzorganisation mit dem Schwerpunkt Reisen, die unter anderem mit der Kompensation von Treibhausgasen durch erneuerbare Energien Klimaschutz betreibt. In Teilen ist die Anlage schon produktionsbereit, das Zusammenspiel aller Komponenten benötige aber noch Abstimmungen, so Atmosfair. Der Regelbetrieb soll im erste Quartal 2022 starten: Acht Fässer mit Rohkerosin werden dann täglich produziert. Tanklastwagen bringen sie zur Raffinerie Heide nördlich von Hamburg, die das synthetische Rohöl zu fertigem Treibstoff Jet A1 für die Flugzeuge veredelt und an den Flughafen Hamburg liefert. Auch ein erster Kunde für den noch deutlich teureren Kraftstoff ist mit der Lufthansa Group gefunden.
Kostenpunkt: noch weit mehr als 5 Euro pro Liter
Die Erzeugungskosten pro Liter Kerosin liegen noch weit über 5 Euro, aber Atmosfair verkauft das Kerosin kostendeckend an seine Kunden. „Bei Anlagen dieser Größe, die zudem nicht auf mehrere Jahrzehnte Betrieb ausgelegt sind, sind die Kosten noch sehr hoch“, sagt Dietrich Brockhagen von Atmosfair. Den größten Effekt aber hätten die hohen Stromkosten in Deutschland. In anderen Ländern mit hoher Sonneneinstrahlung liegen die Strompreise dank Photovoltaik erheblich niedriger. Damit und mit fortschreitender Technologie sind laut Atmosfair Erzeugungskosten von deutlich unter 5 Euro pro Liter möglich. „Aber wir wollten den ersten Schritt in Deutschland gehen, um hier die Technologie zu probieren und Erfahrungen zu sammeln.“
Auch Atmosfair Schirmherr Mojib Latif, betont die Perspektiven für den globalen Süden. „Die Energiewende ist eine internationale Aufgabe. Wir haben mit dieser neuen Technologie die Chance, Energiepartnerschaften auf Augenhöhe zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern neu zu gestalten. Dann entstehen Arbeitsplätze auf beiden Seiten, Technologietransfer und eine sinnvolle Nutzung von Ressourcen.“
Und so funktioniert die Anlage in Werlte
Die Atmosfair Anlageläuft in zwei Verfahrensschritten. Im ersten stellt eine Elektrolyse aus grünem Strom und Wasser Wasserstoff her. Im zweiten setzt die Syntheseeinheit aus dem Wasserstoff und CO2 langkettige Kohlenwasserstoffmoleküle zusammen, die man auch im fossilen Rohöl findet. Aus den beiden Eingangsgasen wird dabei Flüssigkeit. Das Verfahren, nach den beiden deutschen Chemikern Fischer und Tropsch benannt, ist das bisher einzige, das für die Luftfahrt zugelassen ist.
Im Ergebnis sei das E-Kerosin CO2-neutral, so Atmosfair, denn es stoße bei der Verbrennung nur so viel CO2 aus, wie bei seiner Erzeugung der Atmosphäre entzogen wurde, ob direkt oder über die Lebensmittelabfälle für die Biogasanlage.
CO2 stammt aus Biogasanlage und Umgebungsluft
Die Anlage ist etwa 1000 m2 groß. In der Haupthalle erzeugt ein Elektrolyseur von Siemens Energy grünen Wasserstoff aus Wasser und erneuerbarem Strom. Zum Einsatz kommt Membranentechnologie mit Wirkungsgraden der Energieumwandlung von fast 70 Prozent. Als zweiten Rohstoff nutzt die Anlage CO2 aus zwei verschiedenen Quellen:
1. CO2, das als Abfall der Biogasanlage des örtlichen Energieversorgers EWE bisher in die Luft abgelassen wurde. Die Biogasanlage wird für Atmosfair mit Lebensmittelresten versorgt. Anbaubiomasse (NaWaRo) sind laut Atmosfair fairfuel Gütesiegel ausgeschossen.
2. CO2 per Direct-Air-Capture direkt aus der Umgebungsluft. „Derzeit ist Direct-Air-Capture noch neu und teuer. Aber für die Pariser Klimaziele brauchen wir diesen Weg langfristig, und deswegen müssen wir heute mit der Erprobung und Weiterentwicklung anfangen“, sagt Dietrich Brockhagen, Geschäftsführer von Atmosfair.
Der Strom für die Anlage kommt aus Windkraftanlagen aus dem Umland, teilweise in Sichtweite der Anlage. Diese würden 2022 aus dem EEG fallen, können aber durch eine Zusatzfinanzierung von Atmosfair weiterbetrieben werden. Damit stellt Atmosfair sicher, dass das E-Kerosin nicht auf Kosten der Allgemeinheit und nicht auf Kosten der Energiewende produziert wird. Dass das E-Kerosin tatsächlich CO2-neutral ist, lässt sich Atmosfair vom TÜV bescheinigen.
Mojib Latif, betont: „Die weltweiten extremen Wetterereignisse dieses Sommers und der neue Bericht des Weltklimarats zeigen überdeutlich, wie dringend die Weltwirtschaft auf Alternativen zu fossilen Brennstoffen umstellen muss.“ Dies gelte auch für die Luftfahrt. Atmosfair übernimmt hier zusammen mit deutschen Unternehmen eine Pionierrolle, ganz ohne öffentliche Gelder. Die Gesellschaft ist bereit für entschiedene Schritte. Wir müssen beim Klimaschutz nicht auf die großen Ölkonzerne warten.“
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