Kurz nachdem das Kabinett der Landesregierung in Niedersachsen mit seiner Zustimmung zu einem neuen Windenergieerlass das Signal für einen deutlich offensiveren Windkraftausbau innerhalb des Bundeslandes gesetzt hatte, setzt Baden-Württemberg nach. Niedersachsen hatte mit dem Erlass jüngst einige zusätzliche windenergiefreundliche Vorgaben gemacht wie eine Ausweitung der Windvorranggebiete auf 2,1 Prozent der Landesfläche ab 2030, um die Genehmigungsbehörden und regionale oder kommunale Flächenplaner bei Windparkzulassungen auf Beschleunigungsspur zu schicken. Das Regierungskabinett in Stuttgart beschloss nun eine Offensive für Windenergienutzung durch Verpachtungen und Zulassungen von Windkraftflächen im Staatswald. In der letzten Juliwoche stimmte das Kabinett in Stuttgart einem entsprechenden Vorschlag des Forstministers Peter Hauk zu. Der muss nun bis Ende 2021 eine Aufstellung aller geeigneten Staatswaldflächen vorlegen.
Der Landesbetrieb Forst BW soll danach alle aufgelisteten Flächen interessierten Projektierern anbieten und nach einem einheitlichen eigenen Bewertungssystem verpachten. Mit Ausgleichsmaßnahmen zum Naturschutz auf anderen Naturflächen soll der Flächenverbrauch den Naturschutz einhalten.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagte zu der Entscheidung, ergänzend wolle die Landesregierung nun verschlankte Genehmigungen einführen, damit die Projektierungen nicht wie bisher häufig in den Genehmigungsverfahren stecken bleiben. „Innerhalb der Landesregierung besteht Einigkeit, dass wir weitere rechtssichere Vereinfachungen und Beschleunigungen für Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen in allen windkraftrelevanten Rechtsbereichen brauchen. Dies betrifft auch den Bereich des Artenschutzes.“
Bald nach dem Amtsantritt des ersten Ministerpräsidenten bundesweit mit Grünen-Parteibuch in Baden-Württemberg im Jahr 2011 hatte die damalige Koalition aus Grünen und SPD einen raschen und starken Ausbau der Windenergie im Ländle beschlossen. Die Windenergie solle bis 2020 einen Anteil an der Stromversorgung im Bundesland von zehn Prozent erreichen. Das hätte einen Ausbau bis Ende 2020 der Windkraft auf bis zu 3.500 Megawatt (MW) bedeutet beziehungsweise einen jährlichen Zubau um mehr als 300 MW. Doch erst zum letzten Regierungsjahr der grün-roten Koalition unter Ministerpräsident Kretschmann und seiner Grünen-Fraktion mit der Fraktion der SPD war der Ausbau angezogen – auch weil schon gut vorbereitete Windparkprojektplanungen eine mindestens zweijährige Entwicklungs- und Genehmigungsphase erfordern. 2015 hatte der Jahreszubau 144 MW betragen – und 2016 und 2017 war er noch auf fast 350 und 400 MW angewachsen. Allerdings war es 2016 zu einem Wechsel der Koalitionspartner gekommen, als nach Landtagswahlen die CDU die vom Wähler deklassierte SPD in der Landesregierung ablöste. 2018 war dann der Zubau der Windkraft im Ländle auf nur noch 87 MW abgesackt – eine Folge nicht zuletzt auch des bundesweiten Wechsels des Systems der Vergütung eingespeisten Stroms aus Erneuerbare-Energien-Anlagen. Weil die neu eingeführten Ausschreibungen zudem süddeutsche im Vergleich zu norddeutschen Projekten aufgrund schwierigerer topografischer Bedingungen benachteiligen gewannen Projektierer neuer Windparkvorhaben in Baden-Württemberg kaum noch Zuschläge für eine gesicherte Vergütung.
Allerdings war zuletzt auch eine besonders zurückhaltende Genehmigungspraxis im Bundesland zunehmend zum Hemmschuh geworden, deren Behörden mit Verweis auf Vogelschutz oder auf Anwohnerbeschwerden nur noch sehr langsame Verfahren zuließen. Ministerpräsident Kretschmann hatte sich deshalb innerparteilicher Kritik ausgesetzt gesehen, als er die Neuauflage der Koalition mit der CDU nach der jüngsten Landtagswahl im April 2021 anvisierte. Es kämen nun neue jüngere christdemokratische Abgeordnete in den Landtag, die mehr Unterstützung für die Windkraft zulassen würden, hatte er intern angedeutet.
Im ersten Halbjahr 2021 hatten Windparkprojektierer in Baden-Württemberg außerdem mit 85 MW erstmals wieder deutlich mehr im Sechs-Monatszeitraum als seit dem Einbruch von 2018 ans Netz angeschlossen – und ungefähr eine Zubauintensität wie 2015 wieder erreicht.
EnBW fordert bundesweit schnelleren Ausbau und kritisiert „wenig verbindliche Flächenausweisungen“
Baden-Württembergs Energiekonzern Energie Baden-Württemberg (EnBW) kritisierte am Freitag, dass der auch bundesweit im ersten Halbjahr wieder angezogene Windenergiezubau weiterhin deutlich zu langsam stattfinde. Nach 970 MW von Januar bis Juni neu installierter Erzeugungskapazität der Windenergie an Land im Bundesgebiet seien nun noch 1,2 Gigawatt (GW) Nettozubau notwendig, um das offizielle Ausbauziel für 2022 zu erreichen, verwies EnBW auf das im EEG 2021 notierte Ziel einer Onshore-Windenergie-Erzeugungskapazität von 57 GW. Doch um den angestrebten Erneuerbare-Energien-Anteil am Bruttostromverbrauch von 65 Prozent im Jahr 2030 zu erreichen, sei ein Zubau von fünf GW vonnöten. Allerdings werde weiterhin „ein größerer Zubau durch wenig verbindliche Flächenausweisungen, komplizierte Genehmigungsprozesse und Artenschutzkonflikte verlangsamt”, sagte der Vorstand für Nachhaltige Erzeugungsinfrastruktur bei EnBW, Georg Stamatelopoulos.
Erklärtes Ziel des baden-württembergischen Energieversorgers EnBW ist es, nicht nur wie schon jetzt mit großen Offshore-Windenergieprojketen im Meer und bundesweit verteilten Onshore-Planungen sowie neuerdings auch im Ausland an Land, wie in Schweden oder in Frankreich, den Windkraftanteil im eigenen Erzeugungsportfolio deutlich zu erhöhen. Insbesondere will das Unternehmen auch mit regionalen Projekten im eigenen Bundesland bei den Stromkunden im südwestdeutschen Stammgebiet sich als glaubwürdiger Manager der Energiewende darstellen. Als breit aufgestellter Energieversorger muss EnBW auch den regionalen Ausgleich von Verbrauch und Erzeugung ausgeglichen und stabil halten, lautet die Devise. Doch die letzte Windparkinbetriebnahme im eigenen Bundesland durch EnBW dürfte zwei Jahre zurückliegen. Gemäß einer jüngst vor einem Fachpublikum präsentierten Karte der eigenen Projekte im Bundesland dürfte EnBW im Bundesland derzeit nur eine Windenergieanlage am Standort Königsbronn mit 3,5 MW vielleicht noch 2021 in Betrieb nehmen. Viele andere Projekte des Energieversorgers stecken in den langwierigen Genehmigungsverfahren in Baden-Württemberg noch fest.
Allerdings plant EnBW nun auch wieder ein größeres Projekt: Der Windpark Burladingen soll zehn Turbinen neuester Bauart vom Typ Vestas V162 mit je 5,6 MW Nennleistung erhalten und 2023 ans Netz. Die Genehmigung ist bereits beantragt.
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