Raus aus der Kohle und rein die die Erneuerbaren. Immerhin ist die Bundesregierung schon mal so weit gekommen, dies anzuerkennen, wenn sie nicht irgendwann von den Tatsachen überholt werden will. „Denn die Energiewende ist in diesem Land nicht mehr zurückdrehen“, erklärt Rainer Baake, für die Energiepolitik im Bundeswirtschaftsministerium zuständiger Staatssekretär. „Wir debattieren jetzt nur noch über den Weg, wie sie umgesetzt wird.“
Bisher steht die Bundesregierung eher auf der Bremse, wenn es um diese Umsetzung geht. Baake begründet dies mit einer angeblich traumatischen Erfahrung, die sie zwischen 2010 und 2012 gemacht habe, als der Ausbau der Photovoltaik regelrecht explodiert sei. Dadurch habe sich die EEG-Umlage verdoppelt und das sei ein Grund gewesen, diesen Ausbau einzudämmen. Wieso er verschweigt, dass dieser Ausbau und die Einspeisung die Einkaufskosten der Versorger an den Strombörsen drastisch gesenkt hat, bleibt sein Geheimnis. Immerhin hat er verhaltene kritische Worte übrig, wenn er darauf verweist, dass Deutschland mit der guten Förderung der Photovoltaik den Weg in den Markt geebnet hat. Jetzt, nachdem sie billig geworden ist, nutzen sie andere, aber in Deutschland kommt der weitere Ausbau nicht voran.
Klimaschutzziele stehen zur Debatte
Neben den Kosten steht mit dem unterzeichneten und ratifizierten Klimaschutzabkommen aber ein klares Ziel der Senkung des Kohlendioxidausstoßes im Raum. Die Bundesregierung muss dieses Ziel umsetzen. „Es ist nicht die Frage, wie schnell wir die Erneuerbaren ausbauen, sondern wie wir aus der Nutzung der fossilen Brennstoffe herauskommen“, sagt Rainer Baake. Denn die Ökostromversorgung steige zwar an, aber die Verstromung fossiler Brennstoffe gehe nicht in gleichem Maße zurück. Dieser Strom verstopft zuerst die Netze und dann wird er aufgrund des Überangebots exportiert. „Der europäische Binnenmarkt wirkt wie ein Ventil für die Fossilen“, sagt Baake.
Wie ein solcher Ausstieg aus der Kohle- und Erdgasverstromung aussehen kann, darüber gibt es nur wage Vorstellungen. Ob der am Freitag nach langem Feilschen der Bundesministerien noch eiligst verabschiedete Klimaschutzplan darauf eine Antwort gegeben kann, bleibt zumindest fraglich. Immerhin hatte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel den Plan am Mittwoch Abend aus Angst einkassiert, die Kohleindustrie könnte zu viele Federn lassen, wenn er so umgesetzt wird, wie er auf dem Tisch liegt. Hier steht sich die Bundesregierung wieder selbst im Weg und wird damit das Problem des Überangebots an Strom im Netz nicht lösen.
Gebäudestandards ohne aktive Hülle kaum umsetzbar
Was im Klimaschutzplan steht, hält die Bundesregierung bisher noch geheim. Doch Baake gibt schon mal einen Einblick in die Struktur. Ein forcierter Ausbau der Ökostromversorgung steht mit Sicherheit nicht drin. Statt dessen setze man auf die Sektorkopplung und die Energieeffizienzmaßnahmen. Baake begründet das damit, dass die erneuerbaren Energien eine enorme Erfolgsgeschichte hingelegt haben, aber der Ausstoß an Kohlendioxid sinke nicht. Die Sektorkopplung und die Energieeffizienz sei eine Ausstiegsstrategie aus den fossilen Brennstoffen vor allem im Wärme- und Verkehrssektor. Die Bundesregierung will das offensichtlich mit Effizienzmaßnahmen erreichen und den Rest über die Elektrifizierung von Wärme- und Verkehrssektor schaffen. Dickere Gebäudedämmung statt eine aktive Gebäudehülle ist schon seit Jahren das Rezept der Bundesregierung, mit dem sie auf diese Herausforderung reagiert.
Immerhin will sie ein Gebäudeenergiegesetz auf den Weg bringen und so die Energieeinsparverordnung und das Erneuerbare-Energien-Wärme-Gesetz zusammenführen. „Damit werden wir den Einsatz der erneuerbaren Energien in Gebäuden novellieren“, betont Baake. Immerhin steht hier zur Debatte, die einseitige Konzentration auf den Primärenergieverbrauch im Gebäude aufzugeben und die Energieproduktion durch das Gebäude noch stärker zu berücksichtigen, wenn es um die Umsetzung von Gebäudeenergiestandards geht. Die Bundesregierung reagiert damit auf die Vorschriften aus Brüssel. Die Europäische Kommission hat schließlich festgelegt, dass alle Neubauten ab 2021 ohne Emissionen auskommen müssen. Spätestens dann muss die Bundesregierung ihre einseitige Konzentration auf die Energieeffizienz aufgeben und die Energiewende auf der aktiven Seite vorantreiben.
Ausbau muss dringend erhöht werden
Schließlich sei selbst mit der Umsetzung aller Effizienzmaßnahmen das Klimaschutzziel nicht zu erreichen, betont Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin. „Wir haben nicht fünf oder zehn Jahre Zeit, erst einmal Effizienz umzusetzen, sondern wir müssen alles parallel machen. Es geht darum, dass wir die Energiewende sehr schnell umsetzen müssen“, sagt er mit Blick auf die immer noch sehr zögerliche Haltung der Bundesregierung. „Jedes Jahr, das wir verlieren, wird die Probleme in der Welt verschärfen.“ Er betont, dass das Klimaabkommen eingehalten werden muss und das 1,5-Grad-Ziel realisiert werden muss. „Das bedeutet, dass wir hier in Deutschland 2040 mit der Energiewende komplett fertig sein müssen“, erklärt Quaschning.
Er hat es durchgerechnet, was das bedeutet. Der Strombedarf wird steigen und das trotz aller Effizienzmaßnahmen und selbst wenn alle Gebäude auf höchstes Niveau saniert werden. Zudem müsse die Elektromobilität schnell umgesetzt werden, sagt Quaschning. Er hat ausgerechnet, dass sich der Stromverbrauch verdoppeln wird, selbst wenn alle Effizienzmaßnahmen umgesetzt werden, um den Energieverbrauch in Gebäuden maximal zu reduzieren. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass der Anteil der Erneuerbaren an der Stromproduktion drastische steigen muss, wenn die Sektorkopplung nicht mit einem Mehr an Emissionen auf der Stromseite bezahlt werden soll. „Mit den aktuellen Ausbauzielen wird es aber gelingen, nur 27 Prozent erneuerbaren Anteil an der Stromversorgung bis 2040 zu erreichen“, sagt Quaschning. „Wir müssen deutlicher loslegen.“ Um Deutschland zu dekarbonisieren – trotz aller Effizienzbemühungen – muss ein Ausbauziel von etwa 400 Gigawatt Photovoltaik bis 2040 erreicht werden. Das bedeutet, dass der Ausbau auf zehn bis 15 Gigawatt pro Jahr mindestens ansteigen muss, wenn es etwas mit der Energiewende werden soll.
Ohne Energiewende wird es teuer
Quaschning kritisiert, dass die Bundesregierung die Energiewende immer mit einem Kostenargument ausbremst und dabei die Kosten des fossilen Systems außer Acht lässt. „Wir investieren pro Jahr etwa 50 bis 100 Milliarden Euro für den Import von Öl, Kohle und Gas“, rechnet er vor. „Wir streiten über 23 Milliarden Euro für die EEG-Umlage und überweisen gleichzeitig 100 Milliarden Euro an andere Länder.“ Dazu kommen noch die Folgekosten und die Subventionen für die fossile Energieversorgung, die nicht über die Stromsteuer oder eine EEG-Umlage bezahlt werden, sondern über Steuern und allgemeine Abgaben. Insgesamt koste die fossile Energieversorgung 5.000 Milliarden Euro in den nächsten 25 Jahren, wenn die Energiewende weiter ausgebremst wird. „So viel können wir gar nicht für eine schnelle Energiewende ausgeben“, fasst Quaschning zusammen. (Sven Ullrich)