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Wirtschaftsministerkonferenz in Hamburg

Bundesländer bremsen Klimaschutzplan aus – ein Kommentar

Die Dinaosaurier der alten Energiewirtschaft winden sich laut jammernd im Krankenbett. Die Politiker der Bundesregierung und der Bundesländer beatmen sie weiter, versuchen, ihnen das Leben zu verlängern, wo es nur geht. Wie das? In Form der holprigen Umsetzung eines Klimaschutzplans 2050. Es geht dabei darum, einen Kurs festzulegen, wie die gesamte Energiewirtschaft und der Verkehrssektor so umzugestalten ist, dass bis 2050 die Emissionen der Treihausgase in Deutschland in Vergleich zu 1990 um 80 bis 95 Prozent sinken.

Klimaschutzplan ist dringend notwendig

Dieser Klimaschutzplan ist nicht nur im Koalitionsvertrag festgeschrieben, sonder auch bitter notwendig angesichts der Tatsache, dass die Treihausgasemissionen immer noch konstant hoch sind und die Energiewende an allen Ecken und Enden stockt. Die Energiewende auf dem Stromsektor – bisher das Zugpferd bei der Reduzierung der Emissionen von Treibhausgasen – bleibt auf halber Strecke stecken, weil Gabriel vor der alten Energiewirtschaft einknickt und den letzten Schritt nicht wagt, die alten Dampfkessel der Energiewirtschaft auszumustern und die Umstellung auf erneuerbare Energien konsequent voranzutreiben. Ganz zu schweigen von den Kapriolen bei der Wärmewende, wo vor allem die Bundesländer sich quer stellen, wenn es darum geht, die erneuerbaren Energien in die Gebäude zu bringen. Saniert wird weiter nicht im Heizungskeller, sonder an der Hauswand, an die dicke Dämmstoffe geklebt werden, die größtenteils schon in der Produktion die Energie auffressen, die sie später an der Hauswand einsparen.

Industrie stellt sich quer

Jetzt sind die Bundesländer – konkret deren Wirtschaftsminister – auf den Dreh gekommen, man könne doch auch die Treibhausgase nicht reduzieren, wenn die Industrie das nicht will. In schönere Worte gekleidet ist das die Quintessenz der Wirtschaftsministerkonferenz in Hamburg, die in der vergangenen Woche tagte. „Den Klimaschutz voranzubringen ist ein wichtiges Ziel“, sagt Reinhard Meyer, sozialdemokratischer Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein. „Funktionieren kann das nach unserer Auffassung jedoch nur im Konsens mit der Wirtschaft“, bringt er die sozialdemokratischen Grundwerte auf den Punkt. Ein Klimaschutzplan müsse die Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung im Blick haben. Welche Beschäftigten er damit wohl meint, in einem Bundesland, das überhaupt keine Großindustrie kennt und abgesehen von den großen Werften hauptsächlich vom Ernährungsgewerbe lebt. In einem Bundesland, in dem 99 Prozent der Unternehmen kleine und mittlere Betriebe mit weniger als 250 Beschäftigten sind, die nicht von den sinkenden Börsenstrompreisen profitieren können, sondern durch die Sonnensteuer davon abgehalten werden, Solaranlagen zur Eigenversorgung zu installieren.

Wirtschaftsminister opfern den Mittelstand

Die Wirtschaftsminister der Bundesländer verteidigen mit einer riesigen Keule das Krankenbett der alten Dinosaurier der Energiewirtschaft. Denn im Grunde bedeutet das Einknicken der Politik vor der Industrie nichts anderes, als dass der Klimaschutz hinter den Erhalt der zentralistischen und oligarchischen Struktur der Energiewirtschaft zurückstecken muss. Damit haben sie zwar die Großindustrie in ihren Bundesländern im Blick. Doch sie vergessen das eigentliche Rückgrat ihrer Wirtschaft: den Mittelstand. Dieser würde von der Energiewende mehrheitlich profitieren. Es sind die vielen mittelständischen Unternehmen, die Windkraft-, Photovoltaik- und Bioenergieanlagen herstellen und Installieren.

BDI sieht die deutsche Großindustrie in Gefahr

Die Industrie freut sich über die schwächlichen Positionen, die aus den Bundesländern kommen. Der Bundesverbandes der Industrie (BDI) malt gleich mal wieder den Teufel an die Wand, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland mit fortschreitender Energiewende zugrunde gehe. Holger Lösch von der Hauptgeschäftsführung des BDI fordert, dass die Kosteneffizienz und technologische Machbarkeit mit ins Zentrum der Zielsetzung gestellt wird. Sein Chef, Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer des BDI, geht sogar so weit zu behaupten, dass die Stilllegung von Kraftwerken ohne Nutzen für das Klima sei. Statt dessen würde dies die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie gefährden. Kein Wort von den üppigen Ausnahmen, die der deutschen Großindustrie bei der Zahlung von EEG-Umlage und Netzentgelten gewährt werden. Kein Wort von den reichlichen Steuersubventionen, die jedes Jahr in die fossil-atomare Energiewirtschaft gesteckt werden, damit sie überhaupt noch wettbewerbsfähig ist und sie die Strompreise an der Börse nicht nach oben treiben. Aber auch kein Wort von den hundertausenden von Arbeitsplätzen die in den vergangenen Jahren verloren gegangen und die aktuell bedroht sind, weil die Bundesregierung bei der Energiewende die Handbremse angezogen hat.

Kohlestrom wird nicht teurer

Sicherlich, die Preise für Kohlestrom werden in den kommenden Jahren – entgegen der bisherigen Annahme – nicht steigen. So prognostizieren es die Analysten von Bloomberg New Energy Finance. Der Grund ist aber, dass die Nachfrage nach diesen Brennstoffen sinken wird, was auf die Preise drückt. Klar ist aber auch, dass die Preise für Solar- und Windstrom in den kommenden Jahren drastisch sinken werden. Die Gestehungskosten für Strom aus großen Photovoltaikkraftwerken wird bis 2025 auf weltweit durchschnittlich 5,5 Cent pro Kilowattstunde sinken. Das sind 59 Prozent weniger als bisher. Nur die Preise für Strom aus Windkraftanlagen an Land werden dann mit fünf Cent pro Kilowattstunde noch niedriger sein.

Kostensenkungen ohne politische Unterstützung

Das haben die Analysten der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (Irena) ausgerechnet. Sie haben ihre Berechnungen in einem aktuellen Report zusammengestellt. Vor allem: Diese Kostensenkungen werden allein aufgrund der weiteren Installation von Anlagen getragen. Die deutsche Politik kann, wenn sie die Energiewende jetzt noch aufhalten will, weiterhin Hürden aufbauen, um die Kosten künstlich in die Höhe zu treiben. In anderen Regionen der Welt hat man längst erkannt, dass die Zukunft nicht mehr in der fossil-atomaren Stromerzeugung liegt, sondern in der kostengünstigen Stromerzeugung mit Photovoltaik- und Windkraftanlagen in Kombination mit Speichertechnologien, die ebenfalls immer preiswerter werden. Auf diese Weise wird Deutschland als Wirtschaftsstandort eher abgehängt als durch den konsequenten Umstieg auf erneuerbare Energien. Das zeigen die weltweiten Zubauzahlen, die in den vergangenen Jahren stetig nach oben gehen, während in Deutschland die Photovoltaik seit Jahren ausgebremst wird und dieses Schicksal jetzt auch die Windkraft ereilen soll, wenn es nach dem Willen der Bundesregierung geht.

Wind und Sonne werden die Energieträger der Zukunft

Zwar sind die Annahmen der Analysten von Bloomberg New Energy Finance (BNEF) nicht ganz so optimistisch wie die der Irena. Die Amerikaner gehen davon aus, dass die Gestehungskosten für Strom aus Photovotaikanlagen weltweit bis 2040 um 60 Prozent sinken. Doch hier muss man beachten, dass die Irena-Experten nur die Kosten für Strom aus großen Kraftwerken betrachten, während in die Berechnung von BNEF die kleinen Dachanlagen mit einfließen, die nicht so billig errichtet werden können wie die großen Solarparks. Für die Windkraft an Land sehen die die BNEF-Analysten ähnlich hohe Kostensenkungen wie die Irena. Immerhin gehen sie davon aus, dass Strom aus Onshore-Windkraftanlagen im Jahr 2040 um 40 Prozent billiger sein wird als noch 2015.

Damit werden diese beiden Technologien die Energiewende in der Welt weiter vorantreiben. Wenn es um Kosteneffizienz geht, wie sie der BDI-Chef fordert, dann kann es nur darum gehen, die fossil-atomare Stromerzeugung durch Strom aus Sonne und Wind zu ersetzen. Dass dies technologisch machbar ist, haben viele Studien in den vergangenen Jahren nachgewiesen. Jetzt geht es darum, dies auch in die Tat umzusetzen.

Dampfkesselbauer jammern

Da stehen vor allem die alten Dinosaurier im Wege. Nicht ganz uneigennützig wettern die Dampfkesselbauer in Gestalt des FDBR Fachverbands Anlagenbau, dass sie doch keinen Absatz mehr haben, wenn die Energiewende weitergeht. „Anlagenbau und Industrieservice verzeichnen in den vergangenen Jahren regelmäßig Umsatzeinbußen im mittleren zweistelligen Bereich, wobei ihre Kunden auf die konstanten Unsicherheiten bei EEG und KWK verweisen“, sagt FDBR-Geschäftsführer Reinhard Maaß. Die Kraftwerksbetreiber stellen Instandsetzungen und Wartung der Anlagen zurück und fahren diese auf Verschleiß, weil sie nicht wissen, ob sich ihre Investition überhaupt noch amortisiert. Doch hier mag man mit den Worten des Fraktionsvorsitzenden von B90/Grüne im Bundestag, Anton Hofreiter, antworten: „Genau das ist Sinn und Zweck der Energiewende und der Dekarbonisierung, dass die alten trägen Kraftwerke endlich vom Netz gehen und Platz für die erneuerbaren Energien machen.“ Hofreiter hat mit diesen Worten zwar die Jammerrede von Sigmar Gabriel für die alte fossile Energiewirtschaft im Bundestag kommentiert. Doch passt das auch genau auf die Kritik der Hersteller von Kohle- und Atomkraftwerken, die mit fortschreitender Energiewende natürlich ihre Geschäftsgrundlage schwinden sehen. (Sven Ullrich)

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