„Ja wir haben ein Glaubwürdigkeitsproblem“, räumte der stellvertretende Geschäftsführer des Bundesverbands Windenergie (BWE) Carlo Recker bei der abschließenden politischen Podiumsdiskussion des Windbranchentags ein. Auch 2016 und wohl 2017 werde sich der seit drei Jahren anhaltende Rekordausbau der Windkraft an Land auf dem Dauerhöchstniveau von mindestens drei Gigawatt (GW) fortsetzen. Deshalb wirke die Klage über ein Abbremsen durch das neue Erneuerbare-Energien-Gesetz 2017 und dessen Ausbaulimits wie Jammern auf hohem Niveau von Lobbyisten. Doch Kennern der Energiepolitik sei klar, dass die Windbranche lediglich unter einer „noch nie erlebten Torschlusspanik“ handle.
Der BWE-Mann betonte, die Branche wolle mit den neuen EEG-Regelungen konstruktiv zurechtkommen. Die deutsche Windkraftindustrie mitsamt vieler Projektierer werde dank guter Position auf dem Weltmarkt auch konstruktiv mit den neuen Ausschreibungsregeln arbeiten. Allerdings reduzierten die durchs EEG 2017 eingeführten Ausschreibungen mit Sicherheit die Vielfalt der Windenergieakteure. Das in Vorbereitung befindliche sogenannte Netzausbaugebiet bewirke obendrein eine chronische Fehlentwicklung der Energiewende: Es führe nicht zum Ausbau des Netzes nur an Engpassstellen, die nicht mehr Wind- und Photovoltaik-Strom als bisher aufnehmen können. Es bewirke vielmehr bestenfalls, dass nach und nach Netze für die parallele Lieferung von Erneuerbare-Energien- und für Kohlestrom entstünden.
Umstrittenes Netzausbaugebiet
Reeker verwies damit auf eine zentrale Neuregelung im EEG 2017. Sie stützt sich auf das Hauptargument der Großen Koalition zu den Ausbaulimits. Es lautet: Die Netze seien aufgrund des Ausbaus erneuerbarer Energien heute überlastet, insbesondere in Norddeutschland. Schon jetzt fielen für die Netzbetreiber Kosten von jährlich einer Milliarde Euro an, um Erneuerbare-Energien-Anlagen bei Netzüberlastung ebenso abzuregeln wie Kohlekraftwerke, und um dann Produktionsausfälle zu entschädigen. Auch das schnelle Hochfahren von per Gesetz bereit gehaltener Reservekraftwerke trage zu diesen Kosten bei. Sie fahren hoch, wenn Wind und Sonne zu schnell wieder nachlassen und die Kraftwerke im Betrieb nicht schnell genug ihre noch weiter erhöhen können. Weil diese Redispatchmaßnahmen und die Abschaltungen und Entschädigungen von EEG-Anlagen weiter zunähmen, drohten die Kosten aus dem Ruder zu laufen. Weitere Erhöhungen der EEG-Umlage seien aber den Stromkunden kaum noch oder nur langsam zuzumuten. Die Umlage finanziert die Mehrkosten der Netzbetreiber durch die Einspeisung der EEG-Anlagen. Die Netzbetreiber müssen EEG-Grünstrom zu im EEG fixierten Sätzen über dem Börsen-Stromhandelseinkaufspreis abkaufen. Je mehr die Börsenpreise durch zunehmende Einspeisung der Erneuerbaren sinken, umso mehr wächst diese Differenz. Entsprechend steigt die Umlage. Die Netzbetreiber erheben sie bei den Stromversorgern und diese erhöhen die allgemeinen Strompreise.
Das im EEG 2017 angekündigte Netzausbaugebiet definiert die Bundesnetzagentur. Dieses zusammenhängende Areal darf bis zu 20 Prozent der Fläche Deutschlands groß sein. Hier erlaubt das EEG nur noch einen jährlichen Zubau von 60 Prozent der in dem Gebiet in den vergangenen Jahren jährlich neu installierten Windkraft. Treffen dürfte es Niedersachsen, Bremen und Hamburg sowie Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern.
Regierungsnahe Politiker: Bitte viele kleine innovative Projekte!
Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Delegierte im Ausschuss für Wirtschaft und Energie, Johann Saathoff, hielt entgegen, statt über ein Ende von Ausbaudeckel und Netzausbaugebiet zu reden, sei eine Debatte über intelligente ergänzende Steuerungsinstrumente sinnvoll. So müsse mehr über Speichermöglichkeiten für überflüssigen Grünstrom oder intelligente Netze geredet werden. Die Diskussion müsse beginnen, wie viel mehr zusätzlichen Erneuerbaren-Strom es in den nächsten Jahren zum Ausgleich für nach und nach abgeschaltete Atomkraftwerke brauche. Diskussionen wie diese seien entscheidend, um die Netzengpässe zu entschärfen. Vor der Verabschiedung des EEG 2017 im Sommer habe die Zeit dazu nicht ausgereicht, erst recht nicht, um aus den Ergebnissen ein neues Gesetz zu schreiben. Der Deckel für Windkraft an Land habe ohnehin nicht zum Ziel, den Windenergieausbau zu bremsen, sei nur die Antwort auf Netzengpässe. Neue Gesetze beschleunigten aber bereits den Netzausbau. Nun seien weitere kluge netzpolitische Reformen gefragt – um damit letztlich der Windenergie wieder schnelleres Wachstum zu erlauben.
Der Vorsitzende des Arbeitskreises Umwelt, Energie und Klimaschutz der CDU-Landtagsfraktion zielte in ähnliche Richtung: Er forderte Reformvorschläge, die an vielen kleinen Stellen nach und nach zum Ersatz fossiler Energien durch erneuerbare Energien führten – und das bei Strom- und Wärmeversorgung wie beim Verkehr. Irgendwann würden Politik und Wirtschaft dann „danach schreiben, dass Sie mehr Windstrom liefern“, sagte Bäumer.
Opposition: Bitte Richtungs-Reform!
Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Julia Verlinden, energiepolitische Sprecherin ihrer Fraktion, plädierte gleichwohl für eine rasche Reform der Reform nach der Wahl. Das EEG 2017 sei „als Kohlekraftwerksbestandsschutz durch den Bundestag gepeitscht worden.“ Der geplante Wegfall der Brennelementesteuer für Atomkraftwerke verstärke diesen Effekt, die Energiewende zu konterkarieren. Schleunigst will sie auch die Ausdehnung der zuschaltbaren Lasten auf Strom. Eine entsprechende EEG-2017-Regelung gilt nur für Wärmeenergie: Große Wärmeverbraucher regulieren ihren Energiebedarf in Abhängigkeit von der Lieferfähigkeit der Stromversorger und Netzbetreiber – und bekommen dafür Geld.
Die Linkenpolitikerin Cornelia Uschtrin bestand ebenfalls darauf, das Gesetz schnell zu ändern. Irgendwann frage keiner mehr nach, ob es die Windenergie um genau die richtige jährliche Prozentgröße anwachsen lasse, um dem Regierungsziel von 45 Prozent Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung bis 2025 zu dienen, sagte die wissenschaftliche Mitarbeiterin im Dienste der Linken-Energiepolitikerin im Bundestag, Eva Bulling-Schröter. Uschtrin spielte damit auf die im EEG nicht fixierte Berechnungsmethodik der Koalition an, mit der sie die neuen Ausbaulimits ermittelt hatte. Ein Einhalten des Ausbaupfads führe somit keineswegs zu mehr Akzeptanz. Hingegen ließen die Ausschreibungen weniger Bürgerwindparks und Kleinprojekte zum Zuge kommen. Dies aber zerstöre die Teilhabe und so den sozialen Nutzen der Energiewende – und schade der Akzeptanz. Eine rasche EEG-Reform müsse auch klären, wie die Ausschreibungsmengen auf die Situation ab 2020 reagierten. Dann fallen die ersten Windparks aus der Höchstförderdauer des ersten EEG von 2000 heraus. Würden diese Windparks abgeschaltet, ohne dass sich die Ausschreibungsmengen erhöhten, sei ein noch geringeres Ausbautempo als behauptet die Folge.
(Tilman Weber)