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Umsetzung der Pariser Klimaschutzziele – ein Kommentar

Brüssel legt Vorschläge für Energiewende auf den Tisch

Es sollte der große Wurf werden. Doch herausgekommen ist eher ein kurzer Sprung. Zwar geht es in die richtige Richtung, doch die letztliche Konsequenz fehlt doch. Gemeint ist die gestern veröffentlichte neue Energiestrategie der Europäischen Kommission, um die in Paris ausgehandelten Klimaschutzziele zu erreichen.

Immerhin hat die Kommission endlich erkannt, dass sie am Energiemarkt etwas tun muss. Vor allem das jetzige Strommarktdesign wird in Zukunft nicht mehr taugen, um reale Preise zu generieren, mit denen auch die Erzeuger von erneuerbaren Energien zurechtkommen können. Zwar sind die Gestehungskosten für Wind- und Solarstrom rapide gefallen. Immerhin wurden in der jüngsten Ausschreibung von Solarparkleistung zwischen Deutschland und Dänemark erstaunliche 5,83 Cent pro Kilowattstunde erreicht. Auch wenn man sich darüber trefflich streiten kann, wie solche niedrigen Preise erreicht werden können, ist es ein klares Zeichen. Im sonnigen Dubai Gestehungspreise unter zwei Cent pro Kilowattstunde zu erreichen, ist schon sportlich. Doch im weniger von der Sonne verwöhnten Dänemark einen Preis von unter sechs Cent pro Kilowattstunde zu bieten, ist eine echte Herausforderung. Natürlich geht das nur, wenn die Flächen einfach zu entwickeln sind und die Kosten für die Netzübertragung nicht mit eingepreist werden.

Strommarkt muss komplett remormiert werden

Doch selbst mit diesen Gestehungspreisen kommen die Erneuerbaren nicht am Markt zurecht, wo der Strom derzeit durchschnittlich zwischen zwei und drei Cent pro Kilowattstunde gehandelt wird. Die Lösung, die Brüssel anzubieten hat ist, den Spotmarkt zu stärken. Die Idee dahinter ist, dass dann mehr Strom an diesem Markt gehandelt wird und damit die Nachfrage und so auch die Preise steigen. Das bedeutet für die Energieversorger zunächst einmal sicherlich höhere Beschaffungskosten. Doch im Falle von Deutschland würde dann beispielsweise die EEG-Umlage sinken. Zudem würde dann die Ökostromerzeugung endlich vom Gängelband der Förderung loskommen, wenn die Erzeuger am Markt reale Preise erzielen könnten, statt sich mit Ramschpreisen zufrieden geben zu müssen.

Allerdings bleibt die Europäische Kommission an Reservekapazitäten und damit am konventionellen Kraftwerkspark kleben. Zudem wird der Markt weiterhin verzerrt durch die Bevorzugung der fossilen Kraftwerke, die ihren Kohlendioxidausstoß nicht konsequent einpreisen müssen. Es ist keine Rede davon, dass die sperrige Merrit-Order nach dem die Erzeugungsanlagen am Markt entsprechend ihrer Grenzkosten aufgereiht werden, aufgegeben werden soll. Wenn der Strompreis nicht mehr auf der alleinigen Basis der Grenzkosten ermittelt würde, sondern die Umwelt- und Klimaschäden mit einfließen, würde das die sperrigen Kohlekraftwerke sofort aus dem Markt werfen. Statt dessen kämen die viel effizienteren und weniger Kohlendioxid ausstoßenden Gaskraftwerke zum Zuge. Zudem würde das den Ausbau der Ökostromerzeugungsanlagen beschleunigen. Der größte Kritikpunkt bleibt aber der Plan, den Einspeisevorrang für Erneuerbare abzuschaffen. Auch wenn sie das in die schwammige Formulierung der „gleichen Ausgangsbedingungen für alle Technologien“ und „die Einbeziehung der erneuerbaren Energien in vollem Umfang in den Strommarkt“ kleidet. Bestands- und Kleinanlagen sollen aber weiterhin den Einspeisevorrang genießen. Zudem sollen die Ökostromanlagen als Letzte zurückgefahren werden, wenn zu viel Strom im Netz ist.

Nachfragesteuerung nutzen

Immerhin ist in den Brüsseler Amtstuben auch schon die Kunde von der Digitalisierung angekommen. Auch im europäischen Regierungsviertel hat man endlich erkannt, dass Strom nicht nur erzeugt, sondern auch verbraucht wird und man mit dem Verbrauchsverhalten viel erreichen kann. Deshalb soll auch die Steuerung der Stromnachfrage über entsprechende Preissignale angestoßen werden. Flexible Strompreise auf Viertelstundenbasis können dann Erzeugungs- und Nachfragespitzen kappen. Wärmepumpen, Elektrofahrzeuge, intelligente Haushaltsgroßgeräte oder Anlagen zur Raumklimatisierung würden dann laufen, wenn die Preise niedrig sind, also viel Strom im Netz ist. Dazu müssten die Regierungen der Europäischen Kommission aber entsprechende Regelungen erlassen, dass die Versorger den Kunden Strompreise anbieten, die genauso volatil

Ein positives Signal ist, dass die Kommission vor allem den Ausbau der Erzeugungskapazitäten in den Verbrauchszentren stärken will. Dazu sollen entsprechende Preissignale vom Markt kommen. Das wird beispielsweise die Hardliner in der CSU in Bayern oder in der sächsischen CDU nicht gerade freuen. Denn diese Länder könnten dann nicht mehr davon profitieren, dass der Strom im Norden Deutschlands produziert und über kostenintensive Leitungen nach Süden transportiert wird. Statt dessen müssten die Bayern und Sachsen ihren Widerstand gegen die Windkraft mit einem höheren Strompreis erkaufen oder endlich den Bau von Ökostromanlagen zulassen.

Stromhandel regionalisieren

Zudem will sie den Handel von den internationalen Märkten herab auf die regionale Stufe heben. Lokale Energiekommunen könnten ein effizienter Weg sein, die Energieerzeugung und den Energieverbrauch direkt vor Ort auszuregeln. Deshalb will die Kommission erreichen, dass die Regierungen der Mitgliedsstaaten mit einem entsprechenden Rechtsrahmen sicherstellen, dass solche Energiekommunen sich ungehindert entwickeln können. Jeder Europäer soll ungehindert seinen eigenen Strom erzeugen, selbst verbrauchen und an Dritte verkaufen können. Wie das konkret aussehen soll, bleibt allerdings unkonkret. Ob dazu auch ein Verbot der Behinderung des Eigenverbrauchs von Solarstrom durch Gewerbebetriebe, von Mieterstrommodellen und der Direktbelieferung von Strom unmittelbar an Dritte gehört, wie es die Bundesregierung derzeit praktiziert, ist nicht genau geregelt.

Doch ein Fortschritt ist die Regionalisierung des Energiehandels allemal. Schließlich werden 90 Prozent der variablen erneuerbaren Energien auf der Ebene des Verteilnetzes eingespeist. Auf dieser Ebene wird auch ein großer Teil des Stroms verbraucht. Mit dem Schwerpunkt auf den lokalen Verbrauch des ebenfalls lokal erzeugten Strom und dem Bau von Anlagen in den Verbrauchszentren will die Kommission die steigenden Netzkosten für die Verbraucher einschränken. Außerdem will sie den Kunden mehr Informationen an die Hand geben, wie sie Energie sparen und den Weg zu alternativen Versorgern finden können.

Dämmung allein wird nicht ausreichen

Auch wenn die Vorhaben auf dem Stromsektor noch nicht weit genug gehen, um wirklich die Energiewende in Europa zu schaffen und endlich die fossile und atomare Erzeugung schneller zu beerdigen, bleibt der Plan auf dem Wärmesektor völlig hinter den Möglichkeiten zurück. Denn hier setzt die Kommission einseitig auf Energieeinsparung und Effizienz. Es ist offensichtlich noch nicht in Brüssel die Erkenntnis gereift, dass die Wirkung sämtlicher Effizienzmaßnahmen endlich ist.

Statt hier konsequent auf die Nutzung erneuerbarer Energien zu setzen, sollen die Häuser dick eingepackt werden und das auch noch kosteneffizient. Effizient bedeutet dabei vor allem billig. Das geht aber wiederum nur mit billigen Dämmaterialen. Bevorzugt werden hier Kunststoffe wie Polystyrol oder Polyurethan genommen. Abgesehen von der Tatsache, dass sich Europa auf diese Weise ein neues Entsorgungsproblem aufhalst, das in 30 oder 40 Jahren virulent wird, ist es nicht das energieeffizienteste Material. Immerhin schlagen diese Materialien im Verglich zu Naturdämmstoffen in der Herstellung mit einem immens höheren Energieaufwand zu Buche.

© SunMedia

Hier hätte man mehr Mut erwarten können. Immerhin geht das Ziel der Kommission, ab 2021 nur noch Gebäude zu neu zu errichten, die einem Nahe-Null-Energiestandard erfüllen, viel weiter als die jetzigen Pläne. Dabei hätte das Konzept für den konsequenteren Umstieg auf die Gebäudeversorgung mit erneuerbaren Energie – etwa durch das Verbot des Neubaus von fossil betriebenen Wärmeerzeugern – noch nicht einmal riesiger Innovationsschübe seitens der Brüsseler Beamten bedurft. Denn diese Ideen gibt es schon und sind beispielsweise in Dänemark längst in Gesetzesform gegossen. Ob die Kommission die Dekarbonisierung des Gebäudebestands bis 2050 auf diese Weise erreichen wird, bleibt allerdings fraglich. Zudem die Effizienzziele, die jetzt anvisiert werden, mit 30 Prozent weniger Energieverbrauch im Gebäudebestand bis 2030 im Vergleich zu 1990 viel zu gering sind. Dann müssten die letzten 70 Prozent in den darauf folgenden 20 Jahren geschafft werden. Auch der Ausbau der erneuerbaren Ökostromerzeugung soll nicht beschleunigt werden. Die Kommission bleibt bei einem Ökoanteil an der Stromproduktion in der EU von 27 Prozent bis 2030. Auf diese Weise wird die Kommission die Regierungen der Mitgliedsstaaten nicht mit auf den Weg zur Energiewende mitnehmen, sondern sendet von vorn herein das Signal aus, die Energiewende ist verhandelbar. Es bliebt also spannend, was von dem jetzt vorgelegten Maßnahmenpaket am Ende noch übrig bleibt. (Sven Ullrich)