Mieterstrom hat in Deutschland ein riesiges Potenzial. Je nachdem, von welcher Stelle aus dieses Potenzial eingeschätzt wird, können zwischen 3,8 und 4,9 Millionen Wohnungen in Mehrfamilienhäusern mit vor Ort produziertem Solarstrom versorgt werden. Allerdings zeigen die Daten, dass dieses Potenzial immer noch weitgehend brach liegt. Bisher sind seit Einführung des Mieterstromgesetzes im vergangenen Jahr Miterstromanlagen mit einer Leistung von 2,84 Megawatt realisiert. Das ist viel weniger als vor der Einführung des Gesetzes angenommen wurde.
Das liegt an viele Faktoren. Zum einen fehlen bisher noch die Standards bei den großen Projektierern sowie entsprechende Erfahrungen. Dazu kommen noch die Unsicherheiten, die das Mieterstromgesetz geschaffen hat. Um das Potenzial zu heben, können vor allem Bürgerenergiegenossenschaften (BEG) Mieterstrom als Geschäftsmodell für sich entwickeln. Das ist eines der Ergebnisse einer Studie, die Wissenschaftler der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Sie haben sich genau angesehen, welche Vorteile Mieterstromanlagen für Bürgerenergiegenossenschaften haben und wie diese Energiegenossenschaften wiederum den Bau von Mieterstromanlagen voranbringen können.
Kleine Projekte von Energiegenossen umgesetzt
Für die Energiegenossen ist Mieterstrom regelrecht perfekt, so die Forscher. Denn im Vergleich zu Ausschreibungen sind solche Projekte mit weit weniger Risiko verbunden. Zudem haben die Energiegenossen den Vorteil, dass sie nicht prospektpflichtig sind, um nur zwei Vorteile zu nennen, die die Oldenburger herausgearbeitet haben. Das heißt, sie müssen nicht in vollem Umfang und detailliert das Projekt komplett vorher durchrechnen, um zu zeigen, dass es funktioniert. Das spart viel Zeit, Geld und Aufwand, was wiederum in die eigentliche Umsetzung fließen kann.
Aber auch umgekehrt können die Energiegenossenschaften dem Mieterstrom auf die Sprünge helfen. So sind sie ohnehin näher an den potenziellen Kunden, den Mietern, dran. Das verringert einerseits die Hürde der Akquise dieser Kunden. Andererseits haben sie durch die Kundennähe eher die Möglichkeiten auch kleinteiligere Mieterstromanlagen zu realisieren, die bei den größeren Anbietern schnell aus dem Raster fallen, weil sie aufgrund ihrer geringen Größe nicht wirtschaftlich genug sind. Hier zahlt sich der Vorteil aus, dass die Genossenschaften in der Regel ohnehin mit geringeren Renditen rechnen, wie die Forscher herausgefunden haben.
Mieterstrom entbürokratisieren
Sie empfehlen, dass sich die Energiegenossen bei der Beteiligung an Mieterstromprojekten auf diese Vorteile stützen. „Die größten Potenziale werden in den Rollen als Projektakquisituer, Investor und Betreiber gesehen“, schreiben die Oldenburger Wissenschaftler in ihrer Studie mit Blick auf Bürgerenergiegenossenschaften. „Dagegen werden die Rollen als Projektierer mit der technischen und betriebswirtschaftlichen Planung oder als Messstellenbetreiber größtenteils als unpassend für BEG bewertet. Das in vielen BEG vorfindbare Bürgerengagement eröffnet spezifische Potenziale zum Erkennen, Anbahnen und Entwickeln neuer Mieterstromprojekte.“
Um die Bürgerenergiegenossen allerdings für das Thema Mietrestrom zu begeistern, müssen auch die Rahmenbedingungen verbessert werden. So sollten gerade die kleinen Mieterstromprojekte entbürokratisiert werden. Hier greifen die Forscher eine Forderung des Bundesverbands Solarwirtschaft (BSW Solar) auf, der schon seit Monaten fordert, dass Betreiber von kleinen Mieterstromprojekten nicht automatisch Stromversorger mit allen Meldepflichten werden. Denn gerade im Bereich der Gebäude mit zwei bis vier Wohnungen ist das eine riesige Hürde, die nur die wenigsten Hauseigentümer überspringen. Die Wissenschaftler gehen aber noch weiter. Sie schlagen vor, dass gemeinschaftliche Selbstversorgungskonzepte, wie sie Bürgerenergiegenossenschaften anstreben, steuerlich entlastet werden.
Kooperation ausbauen
Die Forscher entwickeln in ihrer Studie ein umfangreiches Konzept, wie Bürgerenergiegenossenschaften die Potenziale, die im Mieterstrom stecken, für sich heben können. Sie haben Empfehlungen für solche Genossenschaften entwickelt, wie sie gemeinschaftliche Mieterstromprojekte umsetzen können. Ein wichtiger Vorschlag, den die Genossenschaften beherzigen sollten: Die Bürgerenergiegenossenschaften sollten „sich – unabhängig von den Rahmenbedingungen – auf ihre spezifischen Potentiale besinnen und verstärkt miteinander kooperieren. So können sie die Vorteile eines genossenschaftlichen Verbundes oder gar einer genossenschaftlichen Plattformökonomie für sich als strategische Erfolgsfaktoren aufbauen und nutzen.“
Bisher passiert das noch viel zu wenig. Selbst die wenigen Energiegenossenschaften, die sich mit dem Thema Mieterstrom beschäftigen, sind in der Regel allein unterwegs. Dabei sind hier erhebliche Synergieeffekte möglich, vor allem wenn es um die Akquise von Kunden und den Kampf durch den bürokratischen Dschungel geht. Derzeit, so die Forscher sind erst etwa 20 Energiegenossenschaften im Mieterstrombereich unterwegs und sammeln erste Erfahrungen. (Sven Ullrich)