Die gemütlichen Zeiten für die deutsche Energiewirtschaft sind vorbei. Einst fuhr man im Januar nach Berlin, um sich im trauten Kreis über Vertrautes auszutauschen und der Politik auf die Zettel zu schreiben, was die Branche bitteschön von ihr erwartet. Handelsblatt-Tagung „Energiewirtschaft“ hieß dieses Treffen in illustrer Runde. Das Treffen gibt es auch heute noch, es steht aber unter ganz anderem Motto. Der Gastgeber, Herausgeber Gabor Steingart, ruft den Teilnehmer gleich zu Beginn zu „Klagen ist kein Geschäftsmodell“ – und bremst damit eine weit verbreitete Branchen-Unart aus. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel mahnt, man solle sich in Deutschland angesichts der guten wirtschaftlichen Lage nicht „zu sicher fühlen“.
Den Einstieg hätte sich Gabriel sparen können: Denn sicher fühlt sich in der Energiebranche keiner mehr. Weil das alte Kraftwerksgeschäft nicht mehr funktioniert, wollen sich jetzt alle ganz stark am Kunden und dessen Wünschen orientieren. Nur ist dieser Kunde für viele ein bislang unbekanntes Wesen und er erweist sich just auch noch als bindungsscheu. 200.000 mal wird täglich „Strom und Gas“ gegoogelt, berichtet Markus Hinz von Google Deutschland, von Nutzern, die auf der Suche nach einem neuen Energieanbieter sind. Bernhard Reutersberg, Chief Markets Officer, der neu aufgestellten Eon kennt die Zahl und schlussfolgert: „Kunden die suchen, sind unzufrieden.“ Ob diese Unzufriedenen bei Eon oder einem der anderen bekannten Akteure landen, ist längst nicht ausgemacht. Denn überall schiebe sich zwischen „Produzent und Konsument“ die „Plattform-Ökonomie“, umschreibt Wirtschaftsminister Gabriel ein Phänomen der Digitalisierung. Und Digitalisierung – da waren sich alle Referenten des ersten Konferenztages einig – greift mit Macht in der Energiewirtschaft um sich.
Neuerlicher Wandel der Energielandschaft durch Digitalisierung
Wer künftig solche Plattformen anbietet, ist völlig offen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass es eher branchenfremde Unternehmen sind, ist groß. Solche und andere eher demütige Töne sind zu hören. Das ist neu in der deutschen Energiewirtschaft.
Schon vertrauter ist da der leicht übellaunige Auftritt des Energie- und Wirtschaftsministers. In einem Parforce-Ritt bügelt er alle Wünsche ab, das bisherige Ausbauziel für erneuerbare Energien zu erhöhen und die Ausbaukorridore zu öffnen – das haben die Energieminister der Bundesländer bei ihm angemahnt. Und er setzt noch eins drauf: Die Zeit des „Welpenschutzes“ für erneuerbare Energien sei vorbei, so Gabriel. Für ihn sind sie jetzt „Jagdhunde“ und aus seiner Sicht offenkundig dabei, das „klassische Geschäftsmodell fossiler Kraftwerke“ wegzubeißen. Beschleunigen will er diesen Vorgang nicht. Immerhin: Über einen Mindestausbau bei Windenergie an Land von 2.000 Megawatt jährlich will er reden.
Gabriel: Debatte über Kohleausstieg und Klima ab Frühjahr
Reden will er auch über den Kohleausstieg. Zwar nicht sofort – schließlich stehen in Kürze ein paar wichtige Landtagswahlen ins Haus – aber bald. Unter welchen Bedingungen er sich mit den Beteiligten an einen „runden oder auch eckigen“ Tisch setzen will, macht Gabriel ebenfalls klar: Parallel zum Ausstieg muss es um konkrete Alternativen für die Beschäftigten in der Lausitz amp; Co. gehen. Und er will den Diskurs nur zusammen mit der breiteren Klimaschutzdebatte führen, namentlich den Maßnahmen, die gerade im Rahmen des Klimaschutzplans vom Bundesumweltministerium erarbeitet werden. Diesen Plan will das Ministerium im Frühjahr präsentieren. Womit auch klar wäre: Die Energiedebatte wird im laufenden Jahr nicht weniger intensiv und hart sein als im vorigen.
Teilnehmer der Handelsblatt-Tagung können sich darauf auch in anderer Form fit machen: Beim traditionellen Morgenlauf um 7.00 Uhr durch den Tiergarten. Temperaturen in Berlin derzeit: -5 Grad Celsius. Ziemlich ungemütlich.
(Hanne May)