Kann es überhaupt noch eine Energiewende mit 80 Prozent Regenerativanteil geben?
Müller: Eindeutig ja, aber wir müssen heute beginnen, uns mit den Schwierigkeiten zu befassen, die mit diesem Weg nun einmal verbunden sind, Ich vermisse zum Beispiel den gesellschaftspolitischen Dialogprozess. Ich wundere mich auch, dass der Energierat, der im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist, immer noch nicht etabliert oder zumindest auf den Weg gebracht worden ist. Wir dürfen nicht unterschätzen, welche gesellschaftspolitische Herausforderung noch auf uns zukommt. So, wie wir zurzeit unterwegs sind, stoßen wir auf Skepsis und Ablehnung. Wie derzeit von einigen der notwendige Netzausbau kommuniziert wird, macht mir große Sorge. Das geht bis zur Performance der Ministerpräsidenten, und das meine ich jetzt ironisch. Das Energieleitungsausbaugesetz mit den entsprechenden erforderlichen Stromleitungen wurde noch in großem politischem Konsens beschlossen. Manche in der Politik ignorieren dies mit erstaunlicher Beharrlichkeit. Zugleich gibt es auch vor Ort zunehmend Widerstand gegen den notwendigen Leitungsbau, und es gibt immer mehr Bürgerinitiativen gegen Windparks, gegen Biogasanlagen, gegen Pumpspeicherkraftwerke. Ich glaube, wir brauchen wirklich mehr Dialog über diese Fragen.
Welche Rolle spielt die Kohle?
Faulstich: Eins ist klar: Die klassischen Begriffe Grundlast, Spitzenlast, Mittellast, die werden Sie irgendwann nur noch im Lexikon der historischen technischen Wissenschaft finden. Die werden verschwinden. Die Erneuerbaren wie die Fossilen müssen gemeinsam Residuallast bereitstellen. Es geht nur noch darum, das Delta zwischen Bedarf und Angebot auszugleichen. Je mehr die Kohle aus dem Bestand geht, umso mehr müssen die Erneuerbaren die Systemdienstleistungen übernehmen, was sie jetzt nur begrenzt können. Zur Akzeptanz: da müssen wir alle noch strategischer rangehen. Wenn wir alle Bereiche strombasiert umstellen wollen – Power-to-Gas, Power-to-Liquid – brauchen wir ein Vielfaches an elektrischer Leistung. Jede Erneuerbaren-Installation ist ein Eingriff in Natur und Umwelt.
Herr Faulstich, Frau Müller, darf die EEG-Umlage noch steigen?
Faulstich: Natürlich wollen wir auch bei der Energiewende die Kosten im Rahmen halten. Allerdings wird immer gern auf die 22 oder 23 Milliarden der nicht sonderlich geeigneten EEG-Umlage verwiesen. Wir sind aber bei annähernd 100 Milliarden Euro Importkosten für Kohle, Öl und Gas pro Jahr. Wenn man die Energiewende ambitioniert fortsetzt, wird man diese Kosten für fossile Energien einsparen.
Müller: Dass der Ausbau der erneuerbaren Energien Geld kostet, müssen alle verantwortlichen Akteure in Politik und Wirtschaft ehrlich und offen kommunizieren. Es gibt allerdings Grenzen der Belastbarkeit für die Bürger. Der Regenerativausbau muss sich deshalb auch Effizienzkriterien unterwerfen. Wir haben immer betont, dass eine Reform des EEG die Kosten allenfalls bremsen kann. Aber natürlich wird der Zubau an Erneuerbaren auch zu einem Mehr an Umlage führen. Das liegt auch daran, dass sich die hohen EEG-Umlage-Ansprüche aus der Vergangenheit, die mit zu diesen hohen Kosten geführt haben, nur langsam reduzieren. Uns ging es im Übrigen bei der EEG-Reform immer auch besonders um die Systemverantwortung der Erneuerbaren.
Faulstich: Beide haben wir uns für obligatorische Direktvermarktung ausgesprochen und vor einer Überförderung der Photovoltaik gewarnt, womit wir uns nicht gerade Freunde gemacht haben.
Frau Müller, die Summen für die Importe möglichst schnell abzusenken und gleichzeitig eine wachsende Unabhängigkeit von Staaten wie Russland zu erlangen, das müsste auch in Ihrem Sinn sein. Richtig?
Müller: In den vergangenen Monaten dürfte allen klar geworden sein, dass Energie-Außenpolitik ein Thema ist, mit dem wir uns intensiver befassen müssen. Mit den Beschlüssen zur Energiewende sind wir auch energiewirtschaftlich gesehen in eine neue Phase eingetreten. Es geht nicht mehr um den von manchen gerne konstruierten Gegensatz: ‚Entweder Kohle oder Erneuerbare‘. Das Ziel eines kontinuierlichen Aufbaus der erneuerbaren Energien ist klar. Wir unterstützen 80 Prozent bis 2050. Das bedeutet natürlich im Umkehrschluss den Abbau konventioneller Kapazitäten. Das heißt aber auch, dass wir für die Versorgungssicherheit noch lange konventionelle Back-up-Kapazitäten brauchen werden. Es entspricht schon längst nicht mehr der Wirklichkeit, dass die einen allein für den Aufbau der Erneuerbaren und die anderen ausschließlich für die Konventionellen zuständig sind. Die Unternehmen, die ich vertrete, investieren in erheblichem Umfang auch in Erneuerbare Energien.
Dieses Interview von Tilman Weber und Nicole Weinhold ist Teil eines spannenden Streitgesprächs in unserer gedruckten August-Ausgabe. Hier geht's zum E-Paper.