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Letzte Generation und Fridays for Future im Interview

65,4 Mrd. Euro Subventionen für Fossile – aber kein Geld fürs 9-Euro-Ticket? 

Wir verzichten ungern auf lieb gewonnene Laster: Jeden Tag Fleisch – kostet ja auch nichts, am Wochenende nach Mallorca jetten, zu Zweit in einem Haus von 200 Quadratmetern wohnen, mit dem Auto zum Imbiss… Warum sollten wir etwas daran ändern? So wichtig scheint es ja nicht zu sein, denn sonst würde die Politik hier ja Einschränkungen anregen: Höhere Mehrwertsteuer auf Fleisch, weniger auf Gemüse. Erschwinglicher Schienenverkehr und so weiter. Jetzt gerade versuchen viele Menschen, beim Heizen zu sparen – für die Ukraine, gegen Russland. Hätte man auch schon fürs Klima machen können. Aber das hat ja niemand verlangt in der Vergangenheit… Carla Rochel (Letzte Generation, mutige Streiterin für die gute Sache bei Lanz), Luis von Randow (Fridays for Future, wortgewandt in der Tagesschau) und Volker Quaschning (Scientists for Future, mit eigenem Podcast, der schlau macht) kämpfen für den Klimaschutz, jede/r mit seinen Mitteln: Auf die Straße kleben, demonstrieren, Vorträge halten. Wir haben mit ihnen darüber diskutiert, wie sich eine Wende zu mehr Klimaschutz herbeiführen lässt.     

Warum sind Entpolitisierung und Individualisierung so ein Problem, wenn es um die Klimakatastrophe geht?

Carla Rochel: Ein Großteil der Bevölkerung hat noch nicht verstanden, wie dramatisch die Klimakrise ist. Dabei geht es viel um Physik. Das ist so abstrakt, dass wir Menschen es häufig nicht auf uns beziehen, sondern als etwas, mit dem wir nichts zu tun haben. Viele verstehen noch nicht, wie sehr uns das hier in Deutschland treffen wird. Und das nicht erst in hundert Jahren, sondern ganz konkret in unserer Lebensspanne. Die Zehntausenden, die schon jetzt im letzten Sommer hier in Europa den Hitzetod gestorben sind.

Wenn wir die Klimakrise bewältigen wollen, dann brauchen wir außerdem einen sozial gerechten Wandel. Das fängt an dem Punkt an, dass wir die Menschen auffangen, die gerade ihren Job in der Kohlebranche verlieren. Da muss die Politik ehrlich sein und sagen: es gibt keine Zukunft für fossile Energien. Wir müssen die Leute auffangen und umschulen.

Luis von Randow: Klimagerechte Politik wird als Verbotspolitik wahrgenommen. Ökologische Politik wird essenziell fehlverstanden. Viele Menschen denken, dass einfach nur alles teurer werden soll, sonst nichts. Dabei sind sich Grüne und Linke bewusst, dass immer noch die Reichsten konsumieren, denen es nicht weh tut, während die Ärmsten es sich nicht mehr leisten können. Das wäre kein ernstzunehmender Klimaschutz. Deshalb gibt es Konzepte des sozialen Ausgleichs, die dafür sorgen, dass wir gesamtgesellschaftlich weniger konsumieren. 
Außerdem gibt es den Mechanismus der Konsumkritik, bei dem die systemischen und globalen Zusammenhänge der Klimakrise runtergebrochen werden auf Entscheidungen an der Supermarktkasse. Doch die Klimakrise wir nicht an der Supermarktkasse, sondern im Parlament entschieden.  
Zudem denken die Menschen, Klimaschutz mache alles teurer. Tatsächlich sind viele Dinge jetzt günstig, aber langfristig wird auch durch sie die Klimakatastrophe beschleunigt und unsere Volkswirtschaft zerstört.  

Volker Quaschning: Wir sehen jetzt schon die Energiepreise steigen. In Deutschland besteht für viele Menschen gar nicht die Chance, von den günstigen Erneuerbaren zu profitieren. Zudem können viele Menschen hierzulande nicht entscheiden, welche Heizung sie nutzen. Viele haben das Gefühl, sie müssten alles bezahlen. Das ist das Problem und deshalb brauchen wir dringend politische Lösungen.

Volker Quaschning, einer der Gründer von Scientists for Future, im Interview.

Janine Escher - Volker Quaschning

Volker Quaschning, einer der Gründer von Scientists for Future, im Interview.

Die Letzte Generation hat die Einführung des Tempolimits und die Wiedereinführung des Neun-Euro-Tickets als konkrete Forderungen formuliert. Warum sind genau das die Lösungen für jetzt?

Carla Rochel: Wir wissen natürlich, dass das nicht das Problem der Klimakrise löst. Neun-Euro-Ticket und Tempo 100 sind aber zwei Dinge, die sofort möglich wären. Das Neun-Euro-Ticket hätten wir nur fortführen müssen. Tempo 100 könnten wir auch sofort umsetzten. Es gibt Mehrheiten in der Bevölkerung dafür. Das Neun-Euro-Ticket würde auch diejenigen entlasten, die gerade nicht wissen, wie sie ihre Stromrechnung bezahlen sollen und die unter der Inflation leiden. Das wäre ein erstes Zeichen der Bundesregierung, dass sie verstanden hat und zumindest diese minimalen Forderungen angeht. Aber die FDP blockiert das komplett.

Fridays for Future hat im September ein Sondervermögen über 100 Milliarden Euro gefordert. Auch im Bezug zu erneuerbaren Energien - was wäre dadurch möglich?

Luis von Randow: Die 100 Milliarden sind auf jeden Fall möglich, das hat die Bundesregierung schon gezeigt. Wir haben auch verschiedene Möglichkeiten zum Zusammenführen des Geldes aufgezeigt, unter anderem die Abschöpfung der Zufallsgewinne, Vermögenssteuer und die Abschaffung der Pendlerpauschale. Der Staat gibt jährlich 65,4 Milliarden Stand September 2021 für die Subvention fossiler Energien aus. Das ist eine wahnsinnige Unterstützung einer Industrie der Vergangenheit.  Mit der 100-Milliarden-Forderungen aus dem September geht es viel um soziale Entlastungen. Aber es geht natürlich auch um den erheblichen Ausbau von erneuerbaren Energien und diesen zu entbürokratisieren. Und ganz wichtig ist der ÖPVN. Wir haben die Weiterführung des 9-Euro-Ticket für immer gefordert.  

Luis von Randow, Sprecher von Fridays for Future, auf einer Demonstration.

Fridays for Future

Luis von Randow, Sprecher von Fridays for Future, auf einer Demonstration.

Das Ende fossiler Subventionen, schnellerer Schienenausbau, Umleitung der Gelder, die jetzt in den Autobahnausbau gehen - sollte das nicht unter einer Regierung mit Grüner Beteiligung möglich sein?  

Luis von Randow: Eigentlich sollte und müsste es das – die Grünen beweisen uns aber gerade das Gegenteil. Das hat natürlich mit den Zwängen der Realpolitik zu tun, es hat aber auch damit zu tun, dass der Biss fehlt. Sie haben sich als Partei für Klimagerechtigkeit vermarktet, aber machen gerade eine 180-Grad-Kehrtwende und baggern Lützerath ab. 

Volker Quaschning: Ich glaube bei den Grünen ist das Problem, wie sie angetreten sind. Bei Ideen wie 5 Mark für den Liter Sprit oder dem freiwilligen Veggieday wurden sie jedes Mal von den Wählerinnen und Wählern abgestraft. Deshalb haben sie ihre politische Stoßrichtung geändert. Sie versprechen jetzt Klimaschutz, aber ohne, dass jemand es merkt. Nun haben sie Anforderungen der Klimapolitik umzusetzen, ohne dass man es merkt; und das kann nicht funktionieren. Da muss man auch mal offen sagen: Klimaschutz bedeutet, dass sich alle irgendwie verändern. Die Veränderung wird auch spürbar sein für alle.