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IPCC

Neuer Präsident will praxisnäheren Weltklimarat

Der 69 Jahre alte Wirtschaftswissenschaftler ist ein renommierter Vertreter wissenschaftlicher Energiewirtschaftsforschung in Asien. Als Gründungspräsident des staatsnahen Energiewirtschaftsinstituts in Südkorea, sowie als Führungsmitglied oder Ex-Vorstand mehrerer Institute im selben Wissenschaftsfeld setzte er sich in einer Stichwahl gegen den belgischen Wissenschaftler Jean Pascal van Ypersele durch. Vier weitere Kandidaten aus Afrika, Europa und den USA waren bereits im ersten Wahlgang ausgeschieden. Lee gehörte als Vizepräsident bereits vorher der Leitung beim IPCC an und ist Beiratsmitglied im Global Green Growth Institute mit Sitz in Südkorea.

Als Experte für grünes Wirtschaftswachstum will er offenbar auch den 1988 gegründeten IPCC prägen. „Ich will sicherstellen, dass das IPCC eine dynamische Institution bleibt, die nicht nur Politiker sondern auch Wirtschaftszweige, die Zivilgesellschaft und normale Bürger mit relevanten Informationen versorgt“, sagte er in seiner heutigen Eröffnungsrede, einen Tag nach der Wahl, vor der IPCC-Versammlung im kroatischen Dubrovnik.  

Lee will über "Optionen" im Kampf gegen Klimawandel informieren

Lee bestätigte erneut die auch in der Politik der klimarelevanten Länder kaum noch bestrittene Erkenntnis des internationalen Wissenschaftler-Forums, dass der Klimawandel menschengemacht ist: „Wir wissen mit 95-prozentiger Sicherheit, dass menschliche Aktivität den Klimawandel verursacht. Wir … müssen alle handeln. Wir wissen, dass die Zeit nicht auf unserer Seite steht.” Zugleich deutete er in seiner Rede an, den IPCC dazu bringen zu wollen, wissenschaftliche Empfehlungen  besonders praxisnah auszusprechen. Der IPCC müsse daher künftig auch mehr mit Wirtschaft und Bankensektor zusammenarbeiten. Es müsse bei den Maßnahmen gegen den Klimawandel wie etwa die Verminderung des Kohlendioxidausstoßes mehr auf die pragmatische Umsetzbarkeit geachtet werden, deutete er schon am Wahltag selbst an. Lee will so offenbar starre weltweite Ver- und Gebote zum Klimaschutz vermeiden und lieber Wahlmöglichkeiten für den Kampf gegen die Erderwärmung aufzeigen: „Vor allem müssen wir mehr Informationen über die Optionen bereitstellen, die den Klimawandel vermeiden helfen.“ Die erneuerbaren Energien erwähnte er in seiner Rede hingegen ebenso wenig, wie andere Energiequellen.

Die Aussagen Lees gelten laut übereinstimmendem Tenor mehrerer Berichterstatter  in den Medien und Online-Nachrichtenportalen der Energiebranche als zunächst nicht überraschend. Denn mehrere der jetzt von Lee angekündigten Handlungen sind bereits in jüngeren Beschlüssen des IPCC vorgezeichnet. Dazu gehört vor allem die Hinzunahme afrikanischer Experten in die Organisation sowie eine auf Bedürfnisse von Entwicklungsländern und regionaler ausgerichtete Forschung. Denn die Entwicklungs- und Schwellenländer sollen nach mehreren internationalen Vereinbarungen der vergangenen Jahre künftig mehr in den Klimaschutz eingebunden werden.

Einbindung auch von Wirtschafts- und Finanzwelt

Im Rückblick interessant könnte aber Lees Ankündigung sein, die Wirtschaft- und Finanzwelt mehr einzubeziehen. In der Vergangenheit hatten Beobachter der Klimapolitik wiederholt darauf hingewiesen, dass Wirtschaft wie auch Politik Einfluss auf das internationale Forschergremium IPCC nehmen wollen. So war offenbar der frühere Präsident Robert Watson aus Großbritannien auf Betreiben der US-Regierung vom Inder Rajendra Pachauri abgelöst worden. Der damalige US-Präsident und lange Zeit erklärte Gegner jeglicher Klimaschutzpolitik, George W. Bush, hatte wohl auf Druck der heimischen Ölindustrie gehandelt, nachdem Watson diese kritisch ins Visier genommen hatte. Der Inder Pachauri galt damals als „zahmer Kandidat“ ohne Durchsetzungskraft. Gleichwohl hatte der Wissenschaftler Pachauri in seinem Heimatland Indien zuletzt auch noch in diesem Jahr Schlagzeilen gemacht, weil er mehrfach klare Forderungen an die Regierung seines Landes zu mehr Ausbau erneuerbarer Energien erhob. 2007 hatte Pachauri den Friedensnobelpreis für den IPCC entgegengenommen. Die Ehrung wird seinem Geschick zugeschrieben. 2008 war Pachauri wiedergewählt worden. 2009 musste er allerdings Vorwürfen von mittlerweile gerichtlich widerlegten Interessenskonflikten entgegentreten, er habe er an Beratungen für den Erneuerbare-Energien-Bereich Geld verdient. 2010 folgte ein angeblicher internationaler Skandal um zu stark zugespitzte und wissenschaftlich nicht haltbare Klimaprognosen. Die IPCC musste unter dem Druck der Kritik wirtschaftsfreundlicher Kreise ihre Prognosen damals relativieren. Im Februar trat Pachauri vorzeitig vor Ende seiner zweiten sechsjährigen Amtszeit zurück, nachdem er mit Vorwürfen in Zusammenhang mit sexueller Belästigung konfrontiert worden war. Er wehrt sich dagegen noch juristisch.

Manche Kommentatoren halten Pachauris Nachfolger Lee für jemanden, der eher auf der Linie des deutschen Wissenschaftlers Ottmar Edenhofers stehe.  Der im IPCC einflussreiche Edenhofer ist Chefökonom am Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung und plädiert ebenfalls für mehr auch wirtschaftlich praktikable Handlungsanweisungen des IPCC. Er trat so bereits für die unterirdische Verpressung von Kohlendioxid ein, die Kohleverstromung sauberer machen sollte. Diese mit dem Kürzel CCS bezeichnete Technologie ist allerdings umstritten und von den meisten Umweltschützern in Deutschland nicht gewollt.

Das IPCC gilt als wichtiges Beratungsgremium für die internationale Klimapolitik. Alle fünf Jahre verabschiedet es einen großen und vielbeachteten Sachstandsbericht zur Lage des Klimawandels. Der fünfte Sachstandsbericht war im vergangenen Jahr erschienen.

(Tilman Weber)