Inzwischen ist es nur noch ein Kopfschütteln, das die Naivität der europäischen Regierungen angesichts des Schlingerkurses in der Energiepolitik hervorruft. Da stellt sich doch tatsächlich der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Rainer Baake hin und fordert vor versammelter Mannschaft bis zum Jahr 2030 einen Anteil der erneuerbaren Energien von 30 Prozent, und zwar verbindlich. Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit könnte kaum größer sein. Das verleitete regelrecht zu einem Blick auf das nächstliegende Ziel – das Jahr 2020. Da wird es mit den Verbindlichkeiten schon sehr eng, jedenfalls was Deutschland betrifft. Denn wenn die Rahmenbedingungen so bleiben, wird die Bundesrepublik den versprochenen Anteil an erneuerbaren Energien beim Primärenergieverbrauch nur mit Ach und Krach schaffen, wenn überhaupt.
Nun mag man sagen, aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Vielleicht ist es die Überlegung der Bundesregierung, wenn wir bis 2020 das kleine Ziel nicht schaffen, können wir ja mal für 2030 ein größeres anpeilen. Vielleicht klappt es ja. Außerdem stehen andere EU-Mitglieder noch schlechter da. Doch Deutschland hatte sich einst als Vorreiter der Energiewende gesehen. Jetzt wird es dazu beitragen, dass die Europäische Union ihr Ziel bis 2020 wahrscheinlich verfehlt. Es sei denn, die politisch Verantwortlichen geben endlich ihre Blockadehaltung gegen die erneuerbaren Energien auf und schaffen die Rahmenbedingungen für Investitionen in die Technologien – so wie es Baake auch richtigerweise fordert.
Die Realität sieht anders aus
Doch die Realität sieht anders aus. Die Tschechische Republik und Spanien haben die Förderung von Solarstrom ganz abgeschafft. Aus Angst, dass man die Kontrolle über den Ausbau von Solaranlagen verliert, wirft die deutsche Regierung mit der Sonnensteuer der Branche Knüppel zwischen die Beine, wo es nur geht. In Polen debattiert man schon fast ein Jahrzehnt darüber, ob überhaupt die erneuerbaren Energien zugelassen werden sollen. Großbritannien zeigt sich völlig konfus. Da wird auf der einen Seite der Solarstrom üppig gefördert, so dass das Königreich derzeit der größte Markt in Europa ist. Auf der anderen Seite sichert London der Électricité de France (EDF) als Betreiber des geplanten Atomkraftwerks Hinkley Point satte Vergütungen für den dort produzierten Strom zu. Wenn es ums Stromgeschäft geht, sind plötzlich sogar alte britisch-französische Ressentiments vergessen. Immerhin kosten die beiden Reaktoren 31,2 Milliarden Euro. Das sind knapp zehn Milliarden Euro pro Gigawatt Leistung. Dazu kommen noch gut zwölf Milliarden Euro Finanzpolster. Die Europäische Kommission hat jetzt grünes Licht für die satte Finanzspritze aus London gegeben. Wettbewerbskommissar Almunia zeigt sich da großzügiger als bei der Förderung von Ökostrom.
Atomstrom verstopft britisches Netz
Ob das Kraftwerk jemals Strom liefern wird, steht noch in den Sternen. Anvisiert ist eine Bauzeit von neun Jahren. Das 3,3-Gigawatt-Kraftwerk soll sieben Prozent des britischen Stromverbrauchs decken. Wie dann der Solarstrom noch in die Leitungen des Vereinigten Königreichs passen soll, ist völlig unklar. Schließlich ist das Atomkraftwerk nicht regelbar, wie es die Energiewende eigentlich erfordern würde.
Angesichts dieser Tatsachen wird immer klarer, wer die Nutznießer der Energiewende-Verhinderungspolitik sind. Die alte Energiewirtschaft, die den Anschluss an die Energiewende vollkommen verpasst hat, macht sich schon lange Sorgen um ihre Zukunft. Jetzt steht auch noch das Milliardengrab Desertec auf der Abschussliste, nachdem die entscheidenden Player ausgestiegen sind. Aber die Lobby arbeitet eifrig. So durften immerhin im Vorfeld der EEG-Reform 23 Mal Vertreter der alten Energiewirtschaft bei der Kanzlerin, beim Bundeswirtschaftsminister und bei der Bundesumweltministerin vorsprechen und ihre Vorgaben ins Gesetz diktieren. Nur acht Mal waren die Vertreter der erneuerbaren Energien eingeladen, um der EEG-Reform die richtige Richtung zu geben. Zur Kanzlerin wurde nur das Windkraftunternehmen Enercon vorgelassen. Immerhin durfte der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) zwei mal mit dem Wirtschaftsminister sprechen. Die anderen Treffen versandeten in den Büros diverser Staatssekretäre. Wer vor dem Hintergrund dieser Zahlen wohl nichts Böses denkt!
Kohle auf der Abschussliste
Am Ende ist es immer wieder das Kostengespenst, das an die Wand gemalt wird, um den Wähler bei der Stange gegen die Energiewende zu halten. Dabei ist schon lange klar, dass Strom aus fossilen oder nuklearen Quellen keine kostengünstige Alternative mehr ist. Das haben viele Studien längst bestätigt. Die 11,2 Cent Einspeisevergütung, die eine Kilowattstunde Hinkley-Point-Atomstrom kosten wird, sind inzwischen ein Traumpreis für die Betreiber großer Solarkraftwerke. Jetzt von einer Renaissance der Atomkraft zu sprechen, wäre allerdings übertrieben. Zwar will die japanische Regierung wieder in die Kernkraft einsteigen, doch der Betreiber des Unglücksreaktors von Fukushima Tepco hat sich von IBC Solar ein Solarkraftwerk bauen lassen. Auch anderswo sind die Regierungen nicht so großzügig mit der Subvention der Kernkraft. So hat Prag die Ausschreibung für weitere Atomkraftwerke in der Tschechischen Republik ausgesetzt, weil der Strom aus den Reaktoren viel zu teuer ist. Insgesamt ist weltweit der Anteil des Atomstroms von 17,6 Prozent im Jahr 2009 auf 10,8 Prozent im vergangenen Jahr gesunken. Der Ökostromanteil hingegen stieg in den ersten zwölf Jahren dieses Jahrtausends von 18,7 auf 22,7 Prozent. Längst haben auch die Investitionen in die erneuerbaren Energien die Kernkraft in den Schatten gestellt. Im Preiskampf hat der Ökostrom gegen die Energie aus neuen Atomkraftwerken ohnehin die Nase vorn.
Jetzt ist die Kohlekraft das nächste Ziel. Hier zeigt sich zumindest Schweden einsichtig, was die Verstromung von Braunkohle betrifft. Die neue Regierung in Stockholm hat erkannt, dass man sich mit dem Betrieb der schmutzigsten Kraftwerke Europas in der Lausitz zukünftig weniger Gewinne aber dafür um so mehr Prestigeverlust einhandelt. Ob das dazu führt, dass die Europäische Union ihre Ziele beim Ausbau der erneuerbaren Energien erreicht, bleibt zu bezweifeln, so lange in den Hauptstädten nicht ankommt, dass die Energiewende keine schlimme Krankheit sondern die einzige Möglichkeit ist, die Strompreise tatsächlich im Zaum zu halten und gleichzeitig dem Klima noch etwas Gutes zu tun. Sicherlich ist die Energiewende mehr als nur der Ausbau von Erzeugungsanlagen. Es ist der Umbau eines gesamten Versorgungssystems. Doch wenn die europäischen Regierungen schon zu feige sind, den Zubau von Anlagen zuzulassen, wie wollen sie dann wirklich komplizierte Probleme angehen. (Sven Ullrich)