Das Einigungsbuch mit 177 Seiten enthält für die weitere Entwicklung der Energiewende in Deutschland konkrete Maßnahmen in 4 bis 5 der 22 Politikfelder, die den Vertrag als Kapitel gliedern.
Allen voran definieren SPD, FDP und Grüne für ihre angestrebte Koalition im ersten Kapitel Moderner Staat und Demokratie, wie eine Planungsbeschleunigung und mehr Rechtssicherheit für Investitionen in die Infrastruktur nicht zuletzt die derzeit sehr langwierigen Projektierungen von Anlagen für die Energiewende um die Hälfte beschleunigen sollen. „Unser Ziel ist es, die Verfahrensdauer mindestens zu halbieren“, heißt es dazu. Demnach soll eine rot-gelb-grüne Koalition beispielsweise das Personal in Genehmigungsbehörden und Gerichten verstärken. Bisher galt die personelle Unterversorgung beider Funktionen als wichtiger Grund für lange Bearbeitungszeiten vor allem auch von Windparkprojektierungen. Auch frühere Stichtage für Abschnitte in den Genehmigungsprozessen sieht der Vertag vor.
In den in der Druckausgabe nicht nummerierten Kapiteln oder Politikfeldern vier und sieben sowie indirekt auch fünf zu Wirtschaft, Mobilität und Natur- und Umweltschutz verspricht das Koalitionsbuch beispielsweise die Einführung von Carbon Contracts for Difference: Klimaverträgen mit Industrieunternehmen als ein marktwirtschaftliches Instrument zur Senkung der Emissionen in der Wirtschaft und nicht zuletzt auch zur Förderung von Investitionen in klimaschutzfördernde Anlagen wie erneuerbare Energien. Auch den raschen Ausbau der Elektrolyseure zur Herstellung von grünem Wasserstoff und weiterer Infrastruktur zur Schaffung eines Marktes für den aus Grünstrom hergestellten emissionsfreien Treib- und Prozess- oder Stromerzeugungs-Brennstoff verspricht das Papier. Auch kündigen die Koalitionäre in spe einen raschen Ausbau von Elektromobilitäts-Ladestationen an, um die Sektorenkopplung für die flexiblere Nutzung grünen Stroms und den Fortschritt der Verkehrswende zu beschleunigen. Die Zahl der zugelassenen Elektro-Autos in Deutschland als Grünstromabnehmer soll 2030 die Schwelle 15 Millionen Fahrzeuge erreicht haben.
Und während sich zwar Im vierten Kapitel zu Umwelt- und Naturschutz direkt keine eindeutig festlegbaren Energiewendemaßnahmen finden, definiert dazu Kapitel eins zu Moderner Staat und Demokratie, dass Klimaschutz sowohl als dem öffentlichen Interesse, als auch der öffentlichen Sicherheit dienend ist. Dies soll in ein Gesetz eingehen, um damit Energiewendeprojekte bei entgegenstehenden anderen Politikzielen wie dem Natur- oder Artenschutz einen Abwägungsvorteil zu verschaffen. So solle es „für solche Projekte unter gewissen Voraussetzungen eine Regelvermutung für das Vorliegen der Ausnahmevoraussetzungen des Bundesnaturschutzgesetzes schaffen“. Dafür soll Natur- und Artenschutz künftig mehr dem „Populationsschutz“ dienen und eine „Klärung des Verhältnisses von Arten- und Klimaschutz sowie mehr Standardisierung und Rechtssicherheit“ in Deutschland und in der Europäischen Union erfolgen.
Vor allem aber definiert das besonders lange Kapitel acht Klima, Energie, Transformation die Vorhaben der Energiewende: ein noch 2022 weiterentwickeltes Klimaschutzgesetz, eine Energieaußenpolitik mit dem Ziel von mehr Ausbau erneuerbarer Energien auch international oder dem Aufbau von Produktionsstätten von grünem Wasserstoff für den Import durch Deutschland. Auch ein Vorziehen des Endes der Kohleverstromung von 2038 auf „idealerweise“ 2030 bei Neubau von Gaskraftwerken mit einer Fähigkeit zur Umstellung auf Wasserstoffverstromung enthält der Vertrag wie schon erwartet. Für die offizielle „Nationale Wasserstoffstrategie“ ist eine Fortschreibung schon 2022 geplant, die Überprüfung des Kohlekraftausstiegs soll von 2026 auf 2022 vorgezogen werden.
Die geplante Beschleunigung des Erneuerbarenausbau erhält im Vertrag schließlich neue Zieldaten. 2030 soll der Anteil des grünen Stroms an der elektrischen Versorgung bereits 80 statt wie bisher vorgesehen 65 Prozent betragen. Den Energiebedarf visieren die Koalitionäre dafür bei 680-750 Terawattstunden (TWh) im Vergleich zu den bisher dem Erneuerbare-Energien-Gesetz zugrunde liegenden Schätzungen von 580 TWh und auch zu der vom Bundeswirtschaftsministerium jüngst auf 680 TWh korrigierten Verbrauchsabschätzung. Die höhere Energieverbrauchsschätzung erhöht damit auch den Druck auf den Ausbau der Erneuerbaren. So ist eine Photovoltaik-Stromerzeugungskapazität von 200 Gigawatt (GW) bis 2030 anvisiert, das Doppelte der bisher im EEG vorgesehenen 100 GW. Die Windkraft auf dem Meer soll 2030 schon einen Bestand von 30 GW erreicht haben statt bisher vorgesehener 20 GW. 2035 und damit fünf Jahre früher als bisher geplant soll er 40 GW erreichen und nach weiteren zehn Jahren bis 2045 sogar 70 GW.
Zur Bioenergie heißt es allerdings nur, sie solle in Deutschland eine neue Zukunft haben, die Erarbeitung einer Biomasse-Strategie werde dafür erfolgen.
Und ausgerechnet zur in Deutschland bis 2020 noch kapazitätsstärksten Erneuerbare-Energien-Technologie, der Windkraft an Land, enthält das Papier ebenfalls keine neuen Ausbauziele. Die Ampelverhandler hielten dafür fest, dass wie schon in den Verhandlungswochen öffentlich angedeutet die für den Ausbau von Windparks an Land zur Verfügung gestellte Vorrangfläche zwei Prozent der bundesweiten Landesfläche ausmachen soll. Das Baugesetzbuch soll dies noch regeln. Noch 2022 wollen die politischen Partner in einem Aushandlungsprozess mit Bundesländern und Kommunen einen konkreten Weg dazu aushandeln. Auch weniger windhöffige Bundesländer und Regionen, wie es sie im bisher windkraftarmen Süden gibt, sollen aber mehr Windparks ausbauen lassen – der vorgelegte Koalitionsvertrag verlangt hierzu, dass der Windkraftausbau „verbrauchsnah“ erfolgen soll. Der Austausch alter leistungsschwächerer gegen moderne, große, leistungsstarke Windturbinen im sogenannten Repowering müsse künftig „ohne großen Genehmigungsaufwand“ erfolgen. Technische Vermeidungsvorhaben zum Vogelschutz sollen außerdem erlaubt sein. Und die bisher für die Blockade von mehreren GW Windkraft verantwortliche restriktive Mindestabstandsregelung mit ihrer Tabuzone von 15 Kilometern rings um Flugverkehrs-Sicherungsanlagen soll ebenfalls ein Ende haben. Die neue Regierung werde „Abstände zu Drehfunkfeuern und Wetterradaren kurzfristig reduzieren“, verspricht das Papier. Die jährlichen Ausschreibungsvolumen für die Erneuerbare-Energien-Projekte sollten „dynamisch“ nachjustiert werden, um die Ziele zu erreichen. Auch neue Instrumente zur Ausbauförderung wie regionale Grünstromvertriebssysteme sowie direkte Stromlieferverträge mit größeren privaten Abnehmern, sogenannten PPA, wollen die Koalitionäre gemäß Koalitionsvertrag durchsetzen.
Schließlich sieht das Papier ein neues Strommarktdesign vor, für das 2022 die Vorschläge kommen sollen. Dieser neue Strommarkt soll auch die Wasserstoffnutzung und den Einsatz von Speichern wirtschaftlich werden lassen oder für neue Strommarktbereiche erschließen.
Lob erhielten die Verhandler am Mittwoch für das vorgelegte Koalitionsbuch von den verschiedensten Verbänden der Erneuerbaren-Branche ebenso wie von Umweltschutzorganisationen oder einzelnen Erneuerbare-Energien-Unternehmen. Der führende Windenergieverband BWE in Berlin äußerte sich verhältnismäßig sehr knapp: „Wir sehen, dass … sich die neue Bundesregierung gemeinsam den Herausforderungen stellen will. … Jetzt gilt es, durch klare gesetzliche Regelungen den Ausbau der Windenergie zügig voranzubringen.“ Klarer markierte der Schleswig-holsteinische BWE-Landesverband den Unmut der Onshore-Windkraftunternehmen an den Leerstellen im Vertrag zur Windenergie an Land. Der Geschäftsstellenleiter des Landesverbandes, Marcus Hrach, betonte, das „heute beschlossene Gesetz ist höchstens eine Grundlage für das nächste Energie- und Klimaschutzgesetz, das dringend im kommenden Jahr geschrieben werden muss.“ Die Windenergie an Land in Schleswig-Holstein brauche nun dringend neue Zielvorgaben.
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