Wenn Siemens derzeit einen führenden Projektmanager für die eigenen Offshore-Windradinstallationen in der deutschen Nord- und Ostsee sucht, fällt die Anzeige auch mal länger aus. Elf Aufgabengebiete stellte das Unternehmen in einer Annonce von März für die „zum nächstmöglichen Zeitpunkt“ gesuchte Personalie in Aussicht. Die Führungskraft soll nach dem Willen des bei geplanten Projekten auf See weltweit führenden Windturbinenherstellers nicht weniger als 17 verschiedene Kernqualifikationen mitbringen.
Massiv sucht die Windenergiebranche nun Mitarbeiter zum bevorstehenden Aufbau einer deutschen Meereswindkraft, die viel können müssen. Und die Deutsch-Dänen wollen einen kompetenten Stab, um gleichfalls in Deutschland führend zu sein. Nachdem Siemens den ersten komplett montierten kommerziellen deutschen Offshorewindpark Baltic 1 Anfang Mai gestartet hat, mit 21 Windrädern und 48 Megawatt (MW) Leistung, betont Gustl-Bernhard Friedl, Geschäftsführer Offshore Region: Er sehe „extremen Mangel darin, Techniker mit einer speziellen Ausbildung zu finden“.
Genauere Angaben zu ihrem Personalbedarf für die zunächst auf 10.000 MW Zubau bis 2020 anvisierte deutsche Offshore-Leistung in der See machen die Turbinenbauer nicht. Doch mit Alstom, Gamesa, GE und Nordex rekrutieren 2011 alleine vier neue Player die Startcrews für frisch in See stechende Offshore-Abteilungen. Und auch wenn zunächst nur für Nordex hierzulande Turbineninstallationen winken – das Unternehmen will ab 2014 im Ostseewindfeld Arcadis Ost 1 bis zu 420 MW mit seiner kommenden Sechs-MW-Anlage aufstellen: Alstom, Gamesa und GE suchen in derselben internationalen Szene seetauglicher Spezialisten.
Gesucht werden sie für Wartungsdienste, Aufbau der Windparks, Management der Projekte sowie Elektro- oder Fundamente-Ingenieurteams. Die strategischen Einheiten dafür entstehen im spanischen Barcelona (Alstom), in Großbritannien (Gamesa, Alstom) oder Frankreich (Alstom) sowie Hamburg, Oslo und Karlstad (GE) oder auch in den USA (GE, Gamesa).
Seesparte mit 350 Mitarbeitern
Die Offshore-Marktführer geben die Richtung vor. Beispiel Vestas: mit einer bei 350 Spezialisten liegenden Offshore-Sondereinheit, die sich über Deutschland, Belgien, Niederlande, USA und Großbritannien verteilt, sieht sich das Unternehmen aus Randers gut aufgestellt. „Über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg suchen wir unablässig, um uns eines bestmöglichen Teams für die Offshore-Sparte zu versichern“, sagt Unternehmenssprecherin Rikke Tikjøb Christiansen. Aber selbst für dieses Ziel müsse Vestas derzeit keine weitere Expansion seiner Organisation ankündigen.
Dies müssen umso mehr Offshore-Turbinenbauer aus der zweiten Reihe, wie Areva-Wind. Das ehemalige Multibrid will nun in den Wettbewerb mit gänzlich eigens installierten Windparks starten. 2012 soll der Aufbau des Nordseewindfeldes Borkum West II beginnen. „Ende 2011 werden wir vielleicht schon die Lieferung starten“, kündigt Areva-Wind-Pressesprecherin Heike Winkler an. Alleine in diesem Jahr will das Zuliefererunternehmen des deutschen Nordsee-Testwindparks Alpha Ventus 100 weitere Mitarbeiter anstellen. „Hier in Hamburg laufen generell die ganze Zeit Neueinstellungen“, meldet Winkler vom neu bezogenen Firmensitz am Sandorkai. Jeder dritte davon werde als Ingenieur, Projektmanager, Energieanlagenelektroniker, Controller oder Monteur gesucht.
Wie sehr die deutsche Windkraftbranche ihre Offshore-Belegschaften insgesamt schon aufzubauen versucht, dazu existieren nur grobe Schätzungen.
Bei der Stiftung Offshore Windenergie in Varel wird die Personalsuche der nächsten Jahre für zusätzliche Fertigungen der Offshore-Anlagen und den Aufbau der Windparks inklusive Zuliefererindustrie und Beraterdienste auf 1.000 bis 2.000 binnen jeder Zwölfsmonatsfrist taxiert. „Wöchentlich dürften hierzu schon 50 Mitarbeiter gesucht werden“, sagt Andreas Wagner. Der Geschäftsführer der Vareler Stiftung verweist darauf, dass eine Arbeitsgruppe im von der Stiftung geführten Industrie-Arbeitskreis Vernetzung der maritimen Wirtschaft nun beginnt, den Aus- und Fortbildungsbedarf zu diesem Personalhunger zu ermitteln. Wagner könnte richtig liegen: knapp 50 Personalgesuche listet das Online-Stellenvermittlungsportal Jobrapido unter der Schlagwortsuche Offshore plus Windenergie in einer Woche Mitte April auf.
Kostenschätzer gesucht
Auch ein Blick in die Online-Suchdatenbank lässt mehr als nur eine Ahnung über das Ausmaß der begonnenen Personaljagd aufkeimen: Gesucht werden Ingenieure für Kabelarbeiten in Offshorewindparks, Kostenschätzer oder Projektingenieure zur Berechnung der kosteneffizientesten Windturbinenanordnungen im Projektfeld: von großen Betreibern wie dem Stromkonzern RWE. Oder auch Projektmanager für spätere Wartungsdienste der Windparks oder Ingenieure für die Kalkulation der Windturbinenfundamente: durch dänische Logistiktechnologiespezialisten.
Auch EnBW sucht Personal. Die großen vier deutschen Energieversorger brauchen für ihre Offshore-Windparks als künftige Betreiber eigene Spezialisten – um die von mittelständischen Windparkplanern designten Seewindparks nach ihren Kraftwerksvorstellungen etwas umzuplanen. Die Abteilung Offshore des Baltic-1-Betreibers aus Karlsruhe beschäftigt schon 60 Mitarbeiter. Und selbstverständlich sucht auch eine Vielzahl kleinerer Unternehmen. Der irische Windparkplaner Mainstream Renewables will nicht zuletzt angesichts des deutschen Ein-Gigawatt-Nordseeprojekts Horizont 120 Kilometer vor der Insel Sylt personell zulegen. Deren Projektmanager Tilman Schwencke kündigt an, den Bestand von jeweils zehn Mitarbeitern in den Büros in London, Glasgow und Berlin werde Mainstream verdoppeln.
Der Personalbedarf greift indes auch thematisch weit. „10 bis 15 Stellenanzeigen haben wir nun draußen“, genauer weiß es der geschäftsführende Gesellschafter des Braunschweiger Kabelspezialisten Atlas Titan nicht. Franz Vollmer sucht 20 Projektleiter, um für die künftigen Betreibergesellschaften der deutschen Offshore-Windfarmen die Kabelverlegungsaufsichten an den Umspannplattformen übernehmen zu können. Auch die Übertragung des Stroms an Land mit Gleichstromleitungen plant das vor zwei Jahren ins Windkraftgeschäft eingestiegene Atlas Titan.
Tilman Weber
Weil Rat nicht nur für den Bau der Seewindparks teuer ist, sondern auch für die Personalsuche, wollen Consulter den Suchprozess steuerbarer gestalten. Dieser müsse strategischer, frühzeitiger angegangen werden, empfiehlt das Berliner Human Resources Büro Rochus Mummert (siehe Seite 60). Und der Hamburger Rekrutierungsdienstleister TGMC (www.tgmc.de)will ab dem Monat Mai in Partnerschaft mit ERNEUERBARE ENERGIEN unter Beschäftigten der Windenergie ermitteln, wie diese ticken: wie die Aussichten einer Arbeit in Windenergieunternehmen sind, welche Wechselbereitschaft, aber auch welche Zufriedenheit in einmal angetretenen Windkraftjobs herrscht.