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Energiewende in Deutschland

Ostdeutschland ist Vorreiter

Die sechs Bundesländer in Ostdeutschland sind Vorreiter der Energiewende. Sie haben im gesamtdeutschen Vergleich einen überdurchschnittlich hohen Anteil an erneuerbaren Energien im Energiemix. Zusätzlich hat der Ausbau der erneuerbaren Energien ein enormes Wertschöpfungs- und Beschäftigungspotenzial freigesetzt. Allerdings immer noch verstopft Strom aus den ineffizienten und trägen Braunkohlekraftwerken und anderen fossilen Erzeugungsanlagen zu einem großen Teil die Netze. Ihr Anteil an der Stromversorgung wird zukünftig aber rückläufig sein. Das sind die zentralen Ergebnisse einer Studie des Marktforschungsinstituts EuPD Research in Bonn zur Energiewende in Ostdeutschland.

Zunehmende Abregelung von Windkraftanlagen

Problematisch ist jedoch die Netzsituation in den fünf neuen Bundesländern und Berlin. Da im Vergleich zu Westdeutschland überdurchschnittlich viel Strom aus Windkraft- und Photovoltaikanlagen ins Netz eingespeist wird, die Braunkohlekraftwerke aber nicht entsprechend flexibel auf das volatile Stromangebot der erneuerbaren Energien reagieren können, kommt es immer häufiger zur Abreglung oder Abschaltung vor allem der vielen Windkraftanlagen. Im vergangenen Jahr waren es immerhin 15 Prozent der Anlagenleistung. Zunehmend sind auch große Solarkraftwerke davon betroffen, die vor allem in Brandenburg und Sachsen-Anhalt einen bedeutenden Teil der installierten Photovoltaikleistung ausmachen.

Mehr Geld für Entschädigungen

Das mündet in steigenden sogenannten Redispatch-Kosten, also die Kosten für den Netzbetreiber, die aufgrund der Abschaltung oder Abregelung von Einspeiseleistung entstehen. Denn die Anlagenbetreiber werden für die entgangenen Erträge entschädigt. Diese Kosten gibt der Übertragungsnetzbetreiber 50 Hertz wiederum über höhere Netzentgelte an den Stromkunden weiter, was in höheren Strompreisen niederschlägt. So lagen die Netzentgelte in allen ostdeutschen Bundesländern im vergangenen Jahr über 6,3 Cent pro Kilowattstunde. Auf einen solchen Wert brachte es im Westen allein das Saarland. In allen anderen westdeutschen Bundesländern lagen die Netzentgelte zwischen 5,5 und 5,8 Cent pro Kilowattstunde. Dabei stechen besonders die „Braunkohleländer“ Brandenburg und Sachsen heraus. Dabei steigt das Netzentgelt mit zunehmenden Anteil von Braunkohlestrom im Strommix. So beträgt der Anteil von Strom aus Braunkohlekraftwerken in Sachsen gut drei Viertel der insgesamt erzeugten Bruttostrommenge. Das bezahlen die sächsischen Stromverbraucher mit dem deutschlandweit höchsten Netzentgelt von 6,88 Cent pro Kilowattstunde. In Brandenburg beträgt der Braunkohleanteil im Strommix immerhin 63 Prozent. Die Netzentgelte sind in dem Bundesland mit 6,85 Cent pro Kilowattstunde am zweithöchsten. Je höher hingegen der Anteil der erneuerbaren Energien im Strommix ist, desto geringer fallen die Netzentgelte aus. So werden die Haushalte in Thüringen für den Anteil der erneuerbaren Energien im gesamten Strommix von 55 Prozent mit den niedrigsten Netzentgelten in Ostdeutschland belohnt. Einziger Ausreißer in dieser Reihe ist Mecklenburg-Vorpommern. Das Bundesland im Norden hat immerhin 63 Prozent erneuerbare Energien im Strommix und nur 28 Prozent fossile Stromerzeugung. Doch liegt das Netzentgelt in dem Bundesland mit 6,62 Cent pro Kilowattstunde höher als in Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Nutznießer sollen mit bezahlen

EuPD Research empfiehlt deshalb, den Netzausbau an den Ausbau der erneuerbaren Energien anzupassen und fordert eine Überarbeitung der Konzepte zur Erhebung der Netzentgelte. Denn die höheren Netzentgelte und damit höheren Strompreise führen in Ostdeutschland zu erheblichen Standortnachteilen. Dem kann nur ein national einheitliches Netzentgelt entgegen wirken. Denn bisher werden die Netzentgelte nach dem Verursacherprinzip erhoben. Diejenigen Bundesländer, die erneuerbare Energien aus Ostdeutschland importieren und damit vom dortigen Ausbau profitieren, müssen sich nicht daran beteiligen. Der geringere Ausbau der erneuerbaren Energien wird auf diese Weise mit geringeren Netzentgelten belohnt. Entsprechend ist aber auch der Netzausbau in Ostdeutschland als Flaschenhals bei der Energiewende bedeutender als in Westdeutschland. Denn in absehbarer Zeit trifft eine gleichbleibende Stromproduktion in Ostdeutschland auf eine sinkende Nachfrage aufgrund sinkender Bevölkerungszahlen und steigender Energieeffizienz vor allem in den kleinen und mittleren Unternehmen.

Die Politik ist gefragt

Allerdings haben die fünf neuen Bundesländer und Berlin aufgrund des hohen Anteils energieintensiver Unternehmen vor allem in der Chemieindustrie auch ein hohes Potenzial an sogenanntem Demand-Side-Management. Das heißt, dass sich die Stromabnahme an die Stromerzeugung anpasst. „In Kombination mit der Umsetzung innovativer Speichertechnologien könnte damit der Druck auf den Netzausbau als Flaschenhals der Energiewende gemindert werden“, betonen die Autoren der Studie. „Im Hinblick auf Demand Response fehlen aber rechtliche Rahmenbedingungen, was in Unsicherheit für potentielle Anwender resultiert“, resümiert EuPD Research das fehlende politische Engagement in diesem Bereich.

Speicherausbau nicht berücksichtigt

Den Speicherausbau haben die Autoren aber explizit aus ihren Berechnungen herausgelassen. „Der Zeithorizont unserer Prognose liegt bei 2020. Bis dahin werden Batteriespeicher keine nennenswerte Dimension in der deutschen Energieversorgung erreichen“, erklärt Martin Ammon, Chefanalyst bei EuPD Research und federführender Autor der Studie, die Entscheidung. „Außerdem wird der Netzausbau langfristig geplant. Da sind Planungszeiträume von 10 und mehr Jahren Gang und Gäbe. Diese Planungen werden in der Regel nicht an kleine Entwicklungen angepasst. Das bedeutet, dass die Netze so gebaut werden, wie sie geplant sind, auch wenn die Einführung und Installation von Speichern jetzt beginnt.“ Auch der zunehmende Eigenverbrauch spielt in Ostdeutschland eine geringere Rolle als in den westlichen Bundesländern. Denn aufgrund der vergleichsweise geringen Anzahl von kleinen Solarstromanlagen hat hier die Netzeinspeisung die Oberhand. „Beim Eigenverbrauch verzeichnen wir keine solchen Ausmaße, dass es eine stärkere Auswirkung auf das Netz hätte“, sagt Martin Ammon.

Fehlende Beteiligung mindert Akzeptanz

Gleichzeitig stellt EuPD Research eine sinkende Akzeptanz des Ausbaus der erneuerbaren Enegrien in den neuen Bundesländern fest, obwohl Ostdeutschland Nettoempfänger von Zahlungen aus der EEG-Umlage ist. Allerdings kommen diese Zahlungen nicht den Einwohnern sondern den Anlagenbetreibern zugute. „Die fehlende Beteiligung der ostdeutschen Bürger an der Energiewende ist ein großes Problem“, sagt Martin Ammon. „Das liegt nicht nur daran, dass die großen Photovoltaikfreiflächenanlagen nicht schön aussehen und die Flächen belegen. Sondern das liegt zum einen daran, dass der Strom nicht direkt genutzt werden kann und zum anderen natürlich auch an den Finanzströmen.“ Denn die Investoren in die Solar-, Windkraft- und Biomasseanlagen kommen nur zum geringen Teil aus den neuen Bundesländern, sondern aus Westdeutschland oder aus dem Ausland. Das trägt nicht zur Akzeptanz bei. „Die Flächen sind weg und letztlich haben die Bürger vor Ort nichts davon“, kritisiert Ammon. „In der Windkraft entstehen wenigstens noch Arbeitsplätze, weil die Anlagen ein höherer Wartungsaufwand haben. Aber bei Photovoltaikfreiflächenanlagen sind kaum Arbeitsplatzeffekte in der Wartung zu erwarten.“ Dann wird die fehlende Beteiligung doppelt ärgerlich. (Sven Ullrich)