Seit Inkrafttreten der 10H-Regelung gingen die Anträge für neue Windkraftanlagen um 99 Prozent zurück. 2017 wurden Windenergieanlagen mit Genehmigung von vor 2014 mit einer Leistung von 314 Megawatt Netto zugebaut. Zwischen 2018 und 2020 kamen nur noch 18 bis 32 MW pro Jahr hinzu. Welche Auswirkungen hat die Regelung auf Windkraft-Unternehmen in der Region? Ostwind ist ein etabliertes Regenerativunternehmen mit Hauptsitz in Regensburg. Wir fragen den Geschäftsführer, Stefan Bachmaier, wie er die 10H-Regelung erlebt: „Der Ausbau der Windenergie in Bayern, immerhin dem größten Flächenland Deutschlands, geht seit der 10H-Einführung gegen Null. Das trifft uns und die gesamte heimische Windbranche, weil über Einzelprojekte hinaus nichts mehr möglich ist. Andere Bundesländer – übrigens nicht nur im Norden Deutschlands – haben sich hier ganz anders aufgestellt und profitieren heute davon.“
Hat die Regelung dafür gesorgt, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung gegenüber der Windkraft gestiegen ist? Denn das war ja ursprünglich einmal das Ansinnen. „Nein, das Gegenteil ist der Fall“, sagt Bachmaier. „Sie führt zu Unfrieden in den Dörfern, weil die Regelung in sich widersprüchlich ist und deshalb vor Ort nicht verstanden wird. Gerade nach dem Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts ist sie auch völlig unzeitgemäß. Zu Recht haben deshalb jetzt zwei SPD-Politikerinnen dagegen in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde eingelegt.“
Der bayerische Verfassungsgerichtshof hatte eine Klage gegen die 10H-Regelung 2016 abgewiesen. Ein im Auftrag der SPD-Landtagsfraktion in Bayern entstandenes Rechtsgutachten des Umweltrechtsexperten Kurt Faßbender von der Universität Leipzig zeigt auf, dass die 10H-Regelung in Bayern angesichts des Klimaschutz-Urteils des Bundesverfassungsgerichts verfassungswidrig ist. Die 2014 eingeführte 10H-Regel in Bayern reduziere die verfügbare Fläche für die Windenergie um bis zu 97 Prozent.
Die Verfassungsrichter:innen urteilten im März, dass das deutsche Klimaschutzgesetz aus dem Jahr 2019 nicht mit dem Grundrecht vereinbar ist – zumindest teilweise. Ab dem Jahr 2031 würden ausreichend Vorgaben für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen fehlen. Eine Gruppe junger Menschen, die um ihre Zukunft und die kommender Generationen fürchtet, hatte geklagt. Die Bundesregierung verschärfte daraufhin ihr Klimagesetz. Konform mit dem Pariser 1,5 Grad-Ziel ist auch die Neufassung nicht.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts besagt, „dass das Grundgesetz unter bestimmten Voraussetzungen zur Sicherung grundrechtsgeschützter Freiheit über die Zeit und zur verhältnismäßigen Verteilung von Freiheitschancen über die Generationen verpflichte.“ Dafür sei unter anderem der jetzige Ausbau der Windenergie von zentraler Bedeutung, der auch dort stattfinden müsse, wo der Strom gebraucht wird. In Bayern behindere die 10H-Regel dies, resümiert Faßbender in seinem Rechtsgutachten und verweist auf die Reduzierung der verfügbaren Flächen und den schleppenden Ausbau.
Die SPD, die die neue Studie in Auftrag gegeben hat, die 10H für verfassungswidrig erklärt, bescheinigt der CSU, die Energiewende an die Wand gefahren zu haben. Und tatsächlich mehren sich die Stimmen, die auch dem Kurs gegen die Windkraft eine Teilschuld daran geben, dass die CSU diesmal in Bayern bei den Wahlen nicht so souverän gewonnen hat, wie in den Vorjahren. Kann es sein, dass die 10H-Regelung mit dafür verantwortlich ist, dass die CSU ihr schlechtestes Ergebnis seit Jahrzehnten eingeholt hat? „Die Sturheit in Sachen 10H zahlt sich politisch sicher nicht aus“, bestätigt Bachmaier. „Fast wöchentlich mahnen die großen bayerischen Wirtschafts-, Energie- und Umweltverbände einen Kurswechsel an. Denn Bayern gerät beim Ausbau einer CO2-freien Energieversorgung immer mehr in den Rückstand und gefährdet dadurch Wirtschaft und Wohlstand. Das spüren die Menschen und wollen mehrheitlich eine andere Energiepolitik. Bayerns Bürgerinnen und Bürger sind hier viel weiter, als es die CSU wahrhaben will.“ (nw)
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