80 Prozent der Baden-Württemberger wollen mehr politisches Engagement für erneuerbare Energien, 78 Prozent sind für deren Ausbau und ein Zurückfahren der Nutzung von Kohle und Atomenergie, und 76 Prozent fordern ein Überdenken der Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke. Angesichts dieser von den Meinungsforschungsinstituten Emnid und Forsa ermittelten Zahlen hat das von verschiedenen Umweltverbänden und Organisationen initiierte Bündnis „Wir wählen Zukunft: Erneuerbare statt Atom!“ Kandidaten der fünf aussichtsreichsten Parteien für die Landtagswahl am 27. März nach ihrer Haltung zu erneuerbaren Energien befragt. Außerdem wurden sie gebeten, sich dem Bürgerwillen gemäß gegen die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke zu bekennen und einen entsprechenden Aufruf zu unterzeichnen.
SPD, Grüne und Linke für erneuerbare Energien, CDU und FDP nicht
Das Ergebnis: Fast alle Bewerberinnen und Bewerber der SPD, von Bündnis 90 / Die Grünen und den Linken haben geantwortet. Und alle, die geantwortet haben, unterstützten den Aufruf und damit einen Kurswechsel in der Energiepolitik Baden-Württembergs. Bei CDU und FDP war es umgekehrt: Nur wenige Kandidaten antworteten. „Immerhin drei Kandidaten der FDP scherten aus der Phalanx der Atomkraftfreunde aus. Bei der Union fand sich kein einziger bekennender Freund der Erneuerbaren“, sagt Sylvia Pilarsky-Grosch vom Landesvorstand des BUND Baden-Württemberg. Mit dem Aufruf habe man die Kandidaten jenseits wahltaktischer Wortakrobatik zu einem klaren Bekenntnis zu erneuerbaren Energien veranlassen wollen. „Nun sehen wir: Die Spreu trennt sich vom Weizen.“ Insgesamt beteiligten sich 212 von 350 befragten Kandidaten, knapp 61 Prozent, an der Umfrage des Bündnisses, hinter dem unter anderem Attac, Bioland, der Landesverband Baden-Württemberg des BUND, der Bundesverband Windenergie (BWE), Campact, die Deutsche Umwelthilfe (DUH), der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und verschiedene Stadtwerke stehen.
Mit ihrem vehementen Eintreten für die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken habe sich die derzeitige Landesregierung aus CDU und FDP faktisch gegen den Weg in das regenerative Zeitalter entschieden, teilte „Erneuerbare statt Atom!“ mit. Allenfalls wolle sie ihn rhetorisch-wahltaktisch mitgehen. Aktuell bestätigt werde die strategische Bremserrolle der Landesregierung in Deutschland durch ihr Festhalten an unzureichenden Ausbauzielen für erneuerbare Energien in ihrem Klimaschutzkonzept 2020 plus. „Die Ergebnisse der Umfrage lassen wenig Hoffnung, dass sich daran etwas ändert, wenn die gegenwärtigen Regierungsparteien weitere fünf Jahre die energiepolitischen Geschicke des Landes bestimmen“, sagt Pilarsky-Grosch.
Bis 2020 ein Drittel des Stroms aus erneuerbaren Energien in Baden-Württemberg möglich
Bis 2020 müssten in Baden-Württemberg jedoch die Weichen für eine zukunftsfähige Energieversorgung gestellt werden, betont der Stuttgarter Energiewissenschaftler Joachim Nitsch. In seinem für „Erneuerbare statt Atom!“ erstellten Energieszenario „Nachhaltigkeit 2010 / 2050“ (http://sauber-bleiben.de/wp-content/uploads/2011/02/Szenario_2010-2050.pdf) beschreibt er konkret, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um das Ziel bis zur Jahrhundertmitte zu erreichen. Demnach könnten in Baden-Württemberg erneuerbare Energien bis 2020 bereits ein Drittel zur Stromerzeugung beisteuern, bis 2050 wären es praktisch 100 Prozent und zwei Drittel bezogen auf den gesamten Energieverbrauch.
Baden-Württemberg bei Windenergie Schlusslicht unter den Flächenländern
Im Gegensatz zu heute wird die Windenergie dabei nach Nitschs Erkenntnissen eine zentrale Rolle einnehmen. Derzeit bilde Baden-Württemberg – wo bereits 1947 der erste Prototyp der inzwischen weltweit verbreiteten dreiflügeligen Rotoren erfunden und installiert worden war – wegen der jahrelang verfolgten windenergiefeindlichen Landespolitik das Schlusslicht unter aller Flächenländern in Deutschland. 368 Windanlagen mit einer Gesamtleistung von 467 Megawatt (MW) deckten laut Nitsch gerade einmal 0,8 Prozent des baden-württembergischen Stromverbrauchs. „Zwar lässt die Landesregierung inzwischen das erhebliche Windenergiepotenzial im Land genauer ermitteln, hält aber gleichzeitig in ihrem Energiekonzept 2020 an völlig unzureichenden Ausbauzielen fest“, sagt der Energiewissenschaftler. Die jährliche Zubaurate werde sich nach diesen Plänen kaum erhöhen, das Land falle gegenüber vergleichbaren Bundesländern wie Rheinland-Pfalz weiter zurück.
Hintergrund für den geringen Ausbau der Windenergie in Baden-Württemberg seien die besonders restriktiven Vorgaben der Landesregierung. Sie stammten aus der Zeit des früheren Ministerpräsidenten Erwin Teufel (CDU, 1991 bis 2005), der die Windenergienutzung ablehnte und sie in politische Vorgaben umsetzen ließ, sagt Nitsch. „Die daraus resultierenden Richtlinien haben zu einer starken Einschränkung bei der Auswahl von Vorranggebieten auf regionaler Ebene geführt.“ Es fehle aber weder an Windenergiepotenzial, noch an geeigneten Flächen, sondern allein am politischen Willen.
DUH: Keine gemeinsame Zukunft von Atom- und erneuerbarer Energie
Kritik an der baden-württembergischen Energiepolitik kommt auch von der DUH. Die Regierung von Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) betreibe rhetorische Vernebelung, sagte deren Bundesgeschäftsführer Rainer Baake. „Je näher der Wahltermin rückt, umso grüner gibt man sich.“ Die Landesregierung versuche dem Publikum zu vermitteln, die Verlängerung von Reaktorlaufzeiten und der Ausbau der erneuerbaren Energien könnten einträchtig nebeneinander erfolgen. Aufgrund der begrenzten Steuerbarkeit von Atomkraftwerken sei das aber unmöglich. Stattdessen müsse der verbleibende Kraftwerkspark den Anforderungen von immer mehr erneuerbarer Energie im Stromnetz gerecht werden. „Dazu bedarf es eines größeren Anteils schnell steuerbarer Gaskraftwerke, des Umbaus der Stromnetze und der Entwicklung neuer Stromspeicher“, sagte Baake. „Mit Erneuerbaren und Atomkraft gibt es keinen gemeinsamen Weg in eine wie auch immer geartete energiepolitische Zukunft.“ Das sei keine Frage der Ideologie, sondern eine Frage der Physik und der Ökonomie. (Andreas Haude)