Indiens Solarbranche steht derzeit etwas ratlos da. Denn niemand weiß, mit welchen Preisen und Kosten für den Bau einer Anlage zu rechnen ist. Das Problem ist die neu eingeführte einheitliche Steuer – die General Sales and Service Tax (GST ). Eigentlich sollte sie die Lösung sein, nicht nur für die Photovoltaikindustrie, sondern für die gesamte indische Wirtschaft, indem sie die teilweise sehr unterschiedlichen Steuergesetzgebungen der einzelnen Bundesstaaten ablöst und damit vereinheitlicht.
Doch während die anderen Industriezweige und Servicedienstleister genau wissen, in welche Höhe die GST auf sie zukommt, ist das für die Photovoltaik noch unklar. Den es gibt insgesamt fünf Steuersätze. Für unterschiedliche Waren und Dienstleistungen können GST-Tarife mit fünf, zwölf, 18 und 28 Prozent anfallen. Einige Güter – vor allem Grundnahrungsmittel, Bücher und andere Waren des täglichen Bedarfs – sind komplett steuerfrei. „Wir wissen, dass die Solarmodule mit einem Vorzugstarif von fünf Prozent besteuert werden“, erklären die Analysten von Bridge to India, einem Beratungsunternehmen in Mumbay, das sich auf den indischen Photovoltaikmarkt spezialisiert hat. „Durch das Fehlen einer spezifischen Zuordnung für Solarprojekte können die GST-Tarife aber zwischen 18 Prozent für Kapitalgüter wie Wechselrichter oder Montagesysteme und 28 Prozent für Kabel und Batterien variieren.“
Zwischen fünf und 18 Prozent ist alles möglich
Die Analysten haben die Probe aufs Exempel gemacht und vier verschiedene Wechselrichterlieferanten befragt, wie viel Steuern auf ihre Produkte derzeit anfallen. Zwei von ihnen gehen von einem Steuersatz von 18 Prozent aus, einer nannte einen Steuersatz von fünf Prozent. Der vierte Lieferant geht davon aus, dass für die Wechselrichter fünf Prozent Steuern anfallen, wenn sie in einer Privatanlage verbaut werden und 18 Prozent, wenn ein Projektierer das Gerät in einer großen Anlage verbaut.
Diese Antworten zeigen das derzeitige Problem ganz deutlich. Zwar habe die Regierung in Neu-Delhi versichert, dass alle Komponenten und Dienstleistungen für die Bau und den Betrieb von Photovoltaikanlagen dem Steuertarif von fünf Prozent unterliegen. Doch in der Praxis könnte das dann ganz anders aussehen. Denn es gibt bisher noch keine praktischen Erfahrung bei der Anwendung der neuen Steuergesetzgebung. „Es gibt weiterhin eine große Verunsicherung am Markt, wie die Vorzugsbesteuerung von fünf Prozent für Solarprojekte durchgesetzt werden kann, wenn die gleichen Komponenten mit einem höheren Satz für die Anwendung in anderen Branchen höher besteuert werden“, bringen die Experten von Bridge to India das Problem auf den Punkt. „Zum Beispiel fallen dann auf einen Transformator, der in einem Solarprojekt verwendet wird, fünf Prozent Steuern an, während bei der Verwendung dieses Transformators in anderen Anwendungen 18 Prozent Steuern anfallen. Das Ministerium für Neue und Erneuerbare Energien verhandelt derzeit mit dem Finanzministerium, um dafür eine rechtssichere Lösung zu finden.“
Kostensteigerungen für Anlagen erwartet
Die Analysten haben aber schon mal ausgerechnet, wie sich die neue Steuer auf die Kosten von Solaranlagen auswirken wird. Immerhin ist eine Projektpipeline von zehn Gigawatt direkt betroffen. Denn die Projekte sind schon geplant und durch die neue Steuergesetzgebung verändert sich die Wirtschaftlichkeitsberechnung, zumal eine Reihe von Bundesstaaten bisher die Komponenten von Solaranlagen komplett von Steuerabgaben befreit haben. Das Ergebnis der Berechnung ist, dass bei einem Steuersatz von fünf Prozent für alle Komponenten von Solaranlagen die Kosten für die geplanten Projekte im Schnitt um drei Prozent steigen. Sollten aber doch Steuertarife zwischen 18 und 28 Prozent anfallen, erwarten die Analysten von Bridge to India mit einer Kostensteigerung von durchschnittlich sechs Prozent für die gesamte Projektpipeline. „Mit Blick auf die derzeit stabilen Weltmarktpreise für Solarmodule in diesem Quartal kommt die GST zu einem ungünstigen Zeitpunkt“, betonen die Experten aus Mumbay.
Sie erwarten aufgrund der Änderung der Steuergesetzgebung Verzögerungen beim Bau der Anlagen. Aber auch das Risiko eines Rechtsstreits zwischen den Projektentwicklern und den Netzbetreibern sind nicht auszuschließen. Da wird es darum gehen, welchen Steueranteil und damit welche Kostensteigerungen die jeweiligen Partner übernehmen. Nachteilig werden sich die GST auch auf den Markt für Dachanlagen auswirken. Die Analysten erwarten einen kurzfristigen Rückgang der Nachfrage. (Sven Ullrich)