Der Kampf der großen Energiekonzerne gegen die mittelständische Solarwirtschaft ist voll entbrannt. Auf einer Demonstration am Brandenburger Tor in Berlin trafen sich gestern rund 11.000 Menschen, um gegen die Kürzungspläne des Bundeskabinetts bei der Einspeisevergütung zu protestieren. „Der Solarstrom gefährdet die Profite der großen Stromversorger, denn er deckt zunehmend die Spitzenlast um die Mittagszeit ab“, kommentiert Eicke Weber, Chef des renommierten Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg. „Die Pläne der Bundesregierung untergraben die Verlässlichkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland.“ Große Kraftwerksbetreiber wie RWE, Eon oder Vattenfall erzielen die höchsten Gewinne, wenn sie ihre Spitzenlastkraftwerke anwerfen. Um die Mittagszeit wird in Deutschland besonders viel Strom gebraucht, dann ist er am teuersten. In den vergangenen Jahren wurde diese Spitzenlast jedoch immer mehr durch Windkraft und Sonnenstrom gedeckt. Dadurch sinken die Spitzenstrompreise an der Leipziger Energiebörse. „Der politische Druck, der jetzt aufgebaut wird, basiert nur vordergründig auf der Absicht, die Kosten für die Bürger zu senken“, sagt Frank Asbeck, Vorstandsvorsitzender des Solarworld-Konzerns. „Es geht darum, die Energieerzeugung in den Händen der Bürger zu verhindern.“
Banken stornieren Kredite
Die von Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) angestoßene Kürzungsdebatte hat nach Angaben des Bundesverbandes der Solarwirtschaft (BSW Solar) bereits zu großer Verunsicherung bei den Solarkunden und finanzierenden Geldinstituten geführt. „In den vergangenen Tagen wurden Aufträge in Höhe von bundesweit rund 100 Millionen Euro zurückgezogen“, nennt Carsten Körnig vom BSW Solar Zahlen. Auch Frank Asbeck bestätigt diese Auswirkungen: „Die Banken sind irritiert, weil sie durch die neuerlichen Einschnitte seitens der Politik befürchten, dass sich der Solarmarkt deutlich verschlechtert.“ Eicke Weber vom Fraunhofer ISE kommentiert: „Die Regierung greift in unzulässiger Weise in bestehende Finanzierungsverträge ein. Künftig will sie das EEG sogar per Ermächtigung den Bürokraten überlassen. Wer wird unter solchen Bedingungen künftig noch investieren?“ Der Wissenschaftler Eicke Weber, der als Institutschef eigentlich verhaltene Töne pflegt, wettert: „Das ist nicht das, was wir von einem Bundeswirtschaftsminister und seinem Amtseid erwarten dürfen.“
Eigentlich kein Grund zur Eile
Nach Auffassung von Weber gibt es überhaupt keinen Bedarf, die Einspeisevergütung zusätzlich abzusenken. „Die derzeit gültige Novelle des EEG bringt der Solarbranche bereits harte Einschnitte um 24 Prozent, gestaffelt zum Januar und zum Juli“, rechnet er vor. „Und das, obwohl der Zubau 2010 und 2011 weit unter den Erwartungen der Netzbetreiber lag. Jetzt plötzlich im Frühjahr zusätzlich um 30 Prozent abzusenken, bringt uns um die Früchte unserer Arbeit, in der Industrie und in der Forschung. Dieses Gesetz ist unerträglich, es wurde überhastet zusammengeschustert.“ Aufgrund der gesetzlich gültigen Degression macht sich der Zubau der Photovoltaik in der EEG-Umlage kaum noch bemerkbar. Die steigende Umlage resultiert vornehmlich daraus, dass die schwarzgelbe Regierung viele energieintensive Branchen davon befreit hat. Diese Last müssen die Privathaushalte tragen. Das hat aber mit den erneuerbaren Energien nichts zu tun. „Wir haben viel Geld in die Solarwirtschaft investiert“, sagt Sigmar Gabriel, Chef der deutschen Sozialdemokratie. „Jetzt könnten wir die Ernte einfahren, denn die Preise für Solartechnik fallen. Und ausgerechnet jetzt soll die Energiewende abgebrochen werden.“ Er fordert, die rund 350.000 Jobs in den erneuerbaren Energien zu verdoppeln, statt 100.000 Arbeitsplätze in der Solarwirtschaft zu opfern. Jürgen Trittin von den Grünen sagt: „Es geht darum, die Einspeisung der erneuerbaren Energien zurückzudrängen. Um in ein paar Jahren wieder in die Atomkraft einzusteigen. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich die Interessen von RWE, Eon und Co. in dieser Regierung erneut durchsetzen.“
Eine Milliarde Euro für die Katz
Gregor Gysi von der Linkspartei warnt vor einer neuen Deindustrialisierung des Ostens, die bis nach Bayern, Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen durchschlagen wird. Denn in den strukturschwachen Regionen an der Oder und der Elbe bietet die Solarindustrie als einer der wenigen Branchen neue Arbeitsplätze. So unterhält beispielsweise Centrosolar ein Modulwerk in Wismar an der Ostsee, aber auch Werke in Fürth oder Wetzlar: „Wer hier in Deutschland produziert, wird die neue Reduktion der Einspeisevergütung nicht überleben“, sagt Josef Wrobel, Vertriebschef von Centrosolar. „Damit wird die deutsche Solarindustrie beerdigt, da braucht man sich nichts vorzumachen. Die Branche wird ausgerechnet in dem Augenblick abgewürgt, in dem sie kurz vor der Wettbewerbsfähigkeit steht. Sie wird abgewürgt, weil sie es soweit geschafft hat und nun das Geschäftsmodell der großen Konzerne bedroht.“ Frank Asbeck von Solarworld zuckt mit den Schultern: „Wir haben in Freiberg in Sachsen insgesamt eine Milliarde Euro investiert. Dort sind sechs Werke entstanden und ein modernes Forschungszentrum.“ Solarworld hat im vergangenen Jahr trotz wachsender Umsätze erhebliche Verluste verbucht. Asbeck macht sich keine Illusionen: „Zwar sind wir auf kleine Aufdachanlagen spezialisiert, bei denen die geplanten Kürzungen nicht ganz so schlimm aussehen wie bei Freilandanlagen. Aber wenn der deutsche Markt einbricht, wird sich der Preiskampf auch für uns verschärfen. Wir kämpfen jetzt schon gegen stark subventionierte Produkte aus China.“ (Heiko Schwarzburger)