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Kommentar zu Gerichtsverfahren

Warum "Eichhörnchen" Cécile so wertvoll ist

Die Mitte Dreißig Jahre alte Französin ficht einen nicht nur für sie entscheidenden Kampf. Nicht zum ersten Mal versucht sie mit den für heute und morgen angesetzten Rechtssachen beim Verwaltungsgericht Berlin gegen das Einschreiten der Polizei vorzugehen. Sie will damit für sich, aber auch nicht zuletzt für Umwelt- und Klimaschutzbewegung das Recht erhalten, mit ungewöhnlichen Aktionen auf zum Beispiel die Gefährdung der Energiewende durch die Politik aufmerksam zu machen. Und zwar so, dass der Protest auch medial wahrgenommen wird – anders als beispielsweise die bloß große, aber offenbar nicht ausreichend spektakuläre und in der TV-Berichterstattung damals fast komplett ignorierte Demonstration gegen das Freihandelsabkommen TTIP zwischen Europäischer Union und USA mit 250.000 Teilnehmern vor knapp einem Jahr.

Kommentar Tilman Weber | Kommentar: Tilman Weber
Kommentar Tilman Weber | Kommentar: Tilman Weber

Konkret klagt sie zum Einen gegen das Vorgehen der Polizei auf der Energiewendedemo 2013 in Berlin mit 16.000 Menschen. Damals war die wegen ihrer Kletterfreudigkeit in der Szene als das „Eichhörnchen“ geehrte Aktivistin gerade dabei, an einem 30 Meter hohen Mast Banner gegen die weitere Kohle-Verstromung anzubringen, als offenbar Polizei handgreiflich versuchte, sie vom Mast herunterzuholen. Zum Anderen beschuldigt sie die Polizei, schon 2011 bei einer Aktion gegen das Kernkraftlobby-Treffen des sogenannten Atomforums in Berlin die Protestrechte massiv eingeschränkt zu haben, als Lecomte gemeinsam mit anderen Aktivisten mit Kreide auf dem Alexanderplatz in Sichtweite des Atomforums eine weithin sichtbare Parole schreiben wollte. Außerdem hatte sie ebenfalls ein Banner anbringen wollen. Die Polizei hatte ihr damals einen Platzverweis erteilt und sie anschließend festgenommen.

Ihr Ziel medialer Wahrnehmung erreicht die aus dem Elsass stammende Französin gerade auch in Deutschland durchaus. Mit wohlmeinenden Porträts stellen deutschlandweite Magazine und Tageszeitungen sie gelegentlich mitsamt ihren Positionen vor, ob die Taz in Berlin, das Magazin Geo aus Hamburg, die Frankfurter Rundschau oder der Kölner Deutschlandfunk im Spartenkanal Deutschlandradio Kultur. Und auch bei verschiedenen Rechtsstreitigkeiten hat sich die inzwischen als juristisch versiert geltende Aktivistin immer wieder durchgesetzt. Wenngleich manchmal nicht und nicht immer ganz: So hatte das Verwaltungsgericht Gießen 2010 die Art und Weise der „Ingewahrsamnahme“ der Aktivistin bei einer Aktion gegen Gentechnik nur zum Teil beanstandet, nachdem das Landgericht Gießen die Polizeiaktion grundsätzlich bereits als nicht rechtmäßig beanstandet hatte. Das Verwaltungsgericht Gießen wiederum urteilte dann, dass die Polizei Lecomte nicht die Benachrichtigung einer Vertrauensperson über ihre Gefangennahme hätte verweigern dürfen – und sie auch nicht zur Untersuchung gänzlich hätte nackt ausziehen dürfen. Dass sie in einem Raum ohne irgendein Möbelstück und ohne Kommunikationsmittel oder Radio und Fernsehen festgehalten worden war, sei hingegen nicht unrechtmäßig.

Auch wenn einem bei solchen Urteilssprüchen der Schauder kalt über den Rücken laufen mag darüber, was Staatsgewalt manchmal gegen vermeintlich oder mutmaßlich über die Stränge schlagende Aktivisten sich erlauben darf: Immer wieder klärten die Gerichte im Fall „Eichhörnchen“, dass Protest auch mit ungewöhnlichen und bürgerliches Ordnungsempfinden womöglich verstörenden Aktionen erlaubt ist.

Die Kletteraktivistin erledigt damit allerdings einen Job, der auch für die Energiewendebranchen wie Windkraft, Solar- oder Bioenergie wichtig ist. Cécile Lecomte finanziert ihre Bewegungsarbeit richtigerweise über Spenden. Denn ohne begleitende Aktionen wie die ihre verliert die Branche das für sie so wichtige Beglaubigungssiegel, dass eine wichtige gesellschaftliche Bewegung sie trägt. Das Ergebnis sind dann hetzerische Filme wie das „Doku“ genannte und gehässige ARD-Kunstwerk gegen Windenergie von Anfang August. Der knapp einstündige Film „Der Kampf um die Windräder“ hatte eine Schlüsselszene in seiner geschickten Filmdramaturgie der jüngsten Demo für die Energiewende gewidmet – und über „bezahlte“ Demoteilnehmer aus der Windkraftindustrie gespottet.

Zu „Eichhörnchen“ wie Lecomte muss sich die Erneuerbaren-Branche daher verbal zumindest ebenso bekennen wie sie das in Verlautbarungen zum Schutzbedürfnis von Vögeln und Fledermäusen praktiziert. Beides ist praktizierter Umwelt- und Klimaschutz. Denn Windkraftausbau gegen die Natur von Flugtieren ist genauso wenig überzeugend wie Windkraftausbau ohne gesellschaftliche Bewegung.

Das hat prinzipiell übrigens auch der Bundesverband Windenergie (BWE) erkannt. Der hat jetzt mit einem klugen Aufruf eine gesellschaftliche Debatte über die weitere Energiewende eingefordert. Statt im Klein-Klein weiter darum zu feilschen, dass die Schrauben beim Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gegen die Erneuerbaren ein wenig geringer angezogen werden und damit mehr Rendite bei der Windkraft verbleibt, muss sie die gesellschaftliche Unterstützung suchen. Dann nur lässt sich das Bekenntnis der Politik für einen Wechsel von der fossilen zu einer demokratischen erneuerbaren Energieversorgung erzwingen.

PS: Das Verwaltungsgericht Berlin hat der Aktivistin in beiden Fällen inzwischen Recht gegeben. Insbesondere bei der Demonstration für die Energiewende und gegen die von den alten Energiekonzernen weitergenutzten Technologien fossiler Energieerzeugung habe das"Eichhörnchen" keine Gefahr dargestellt, die das Einschreiten der Polizei gerechtfertigt hätte. Das von den Ordnungshütern in der Verhandlung offenbar mehrfach vorgebrachte Argument, Klettern sei kein "normaler" Protest, lehnte das Gericht als unzureichende Begründung ab. Vorausgegangen war dem Urteil wohl ein hartes juristisches Ringen: Alleine die Verhandlung am Donnerstag zur Kletteraktion während der Energiewende-Demo hat 3,5 Stunden gedauert.

(Tilman Weber)

Foto: www.bewegungsstiftung.de

TIPP - ebenfalls zum Aktivisten-Klettern: Kommen Sie da runter, ein Buch von Cécile Lecomte selbst und Ein Freund der Erde,T.C.Boyles Roman mit schönen und mitunter tragischen Beschreibungen der Welt der Umweltaktivisten.