Sandra Maischberger hat das richtig gespürt. Für die eine Hälfte der Parteien heißt es jetzt Wunden lecken. Und für die andere Hälfte gilt es, nach den drei jüngsten Landtagswahlen, den Erfolg herauszuschreien: Sie müssen damit über die trotz gewonnener Prozente eigentlich wackelige Position ihres politischen Daseins hinwegtäuschen. Zu ihrem politischen Talk - wie immer am Mittwochabend - hatte die ARD-Fernsehmoderatorin daher die Vertreter von Parteien eingeladen, die diese Spannung am besten vorleben konnten. Und das waren mit Ralf Stegner für die SPD, Peter Tauber für die CDU, Sahra Wagenknecht für Die Linke und Katja Suhling für die FDP sowie dem Redakteur der konservativen Tageszeitung Welt am Sonntag, Robin Alexander, auch solche Meinungsvertreter, die am besten über das Unglück der SPD mit ihrem missglückten Schulz-Effekt in Streit geraten konnten. Wagenknecht konnte der SPD vorwerfen, nicht sozial genug und zu wenig für den Frieden eingetreten zu sein und außerdem sich über den gescheiterten Einzug der Linken ins Parlament zu freuen. Tauber war der Mann für den Vorwurf mangelnden Interesses der SPD an innerer Sicherheit. Suhling hatte den Vorwurf falscher Prioritätensetzung der SPD auf soziale Gerechtigkeit mitgebracht. Und Journalist Alexander vertrat von allen Anwürfen eine interessante Mischung, was er gut erklären konnte.
In diesen Talk gestern Abend hatten die Grünen wirklich nicht gepasst. Die einzige nicht eingeladene Partei von derzeit bundesweiter Bedeutung mit Ausnahme der rechtskonservativen AFD war die Anti-Kohlekraft- und Energiewende-Partei. Ausgerechnet im Kohle-Bundesland Nummer eins war ihr Wahlkampf für die Energiewende gescheitert. Und nun war die Partei für den Talk über die Folgen der Landtagswahl in dem politisch schon wegen seiner Größe gewichtigen Bundesland unwichtig. Hätte sie doch den Konflikt um den Schulz-Hype mit dem Thema Klimaschutz nicht verschärft.
Das in der Energiewende derzeit kein echter Konfliktstoff zu finden ist, fanden offenbar auch die Wähler: Nur noch über sechs Prozent hatten die Ökopartei gewählt, halb so viel wie bei der vorangegangenen Wahl. Nach dem Ausscheiden der Grünen aus dem Landtag im Saarland nach der Landtagswahl dort im März, nach dem Verlust der aktuellen Regierungsmehrheit der bisherigen Rot-Grünen-Regierung in Kiel durch das Abstrafen des Koalitionspartners SPD bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein – sind die Grünen offenbar auch für Talkshows gerade nicht so richtig interessant. Übrigens: Auch Frank Plassberg hatte in seinem ARD-Talk am Montag keinen Grünenvertreter dabei – allerdings in seiner Runde gleich nur die SPD und die CDU besetzt. Und ARD-Talkerin Anne Will hatte am Sonntag neben Vertretern von SPD, CDU und FDP als Politiker zwar Grünen-Altpolitiker Jürgen Trittin dabei. Allerdings hatte sie kein Problem damit, dass dem – infolge von ein wenig koalitionverhandlungstaktisch motivierten provokativen Aussagen Trittins – permanent das Wort abgeschnitten wurde. Der Grünenvertreter sah sich so in die politische Extremistenecke gestellt.
Kurz: Die Grünen haben aktuell keine Konjunktur. Der Wahlkampf in NRW war offenbar nur der letzte Beweis: Der plakatierte Wahl-Slogan der Grünen „Die dreckigsten 10 abschalten“ für das Ende der Kohleverstromung im Kohleverstromungsland Nummer eins hatte gegen den ebenfalls plakatierten Slogan der CDU verloren: „Stellt doch eure Windräder direkt in meinen Garten. – Uns reicht´s“ hatte die Partei der früheren Klimaretter-Kanzlerin – Angela Merkels – mittels Zynismus für sich geworben und gewonnen.
Warum aber zieht grün nicht? Ausgerechnet zu einer Zeit, in der die Energiewende in Deutschland, aber auch in den USA oder in der europäischen Union aufgrund einer sich dramatisch verändernden politischen Landschaft unter Beschuss wie lange nicht mehr steht. In den USA zweifelt der populistische Präsident Donald Trump bekanntlich sogar die weltweit zwischenzeitlich anerkannte Klimaerwärmung als Grundlage für jede Energiewende an und will Windkraft an Land stoppen und Kohlekraftwerke fördern. Die Europäische Union drückt auf die Abschaffung des aus Erneuerbaren-Branchensicht als überlebensnotwendig geltenden Einspeisevorrangs für Grünstrom. Und die vermeintlich auf die Siegerstraße eingebogenen CDU und FDP wollen den Zustand der Energiewende am liebsten ganz einfrieren: kein prozentuales Wachstum für die Erneuerbaren mehr, scheint ganz offensichtlich die Devise der tonangebenden Energiepolitiker beider Parteien.
Es dürfte tatsächlich mit dem Erstarken des Populismus und der extremen Rechten zu tun zu haben. Und mit der gleichzeitigen Bereitschaft der regierenden Parteien, mit ihrer Politik keinen Millimeter dem dahinter verborgenen Frust der Bürger entgegen zu kommen – und stattdessen zu tricksen. Das war in den USA der Fall, wo die eher Energiewende-freundlichen Demokraten mit innerparteilichen Tricks ihren wichtigsten alternativen Kandidaten Bernie Sanders von der realen Siegchance fernhielten. Um dann mit der für das politische Weiter-So stehenden Hillary Clinton gegen Populist Trump einen Angstwahlkampf zu führen: Entweder Clinton oder Peinlichkeit und Ungewissheit, lautete die alles überdeckende Wahlbotschaft. In Frankreich ebenso: Der neue Präsident Emmanuel Macron hatte gewichtige Unterstützung aus allen großen etablierten Parteien – um einerseits die rechtsradikale Kandidatin Le Pen zu verhindern, aber auch die Kandidaten der beiden sogenannten bürgerlichen Parteien der Mitte und der Linken. Hatten die doch ebenfalls mindestens je einen wichtigen Wahlinhaltspunkt, der die bisherige Politik auf den Kopf gestellt hätte: Ob in der Sozial-, Wirtschafts- und Verteidigungspolitik, beim Widerstand gegen EU-Beschlüsse oder beim Verhältnis zu Russland. Auch in Frankreich gab es in der Stichwahl daher nur die Alternative: Ungewissheit, Extremismus und Chaos oder doch lieber das Bekannte.
Nicht anders lautet übrigens der medial verstärkte Tenor in Deutschland: AFD oder Weiter-So. Schulz-Hype und das Unbekannte oder Wirtschaftswachstum, schöne Arbeitsmarktdaten und Merkels Macht in Europa.
Schade, dass die Grünen derzeit mit einem Energiewendewahlkampf nicht durchdringen. An der Dringlichkeit ihn zu führen, ändert sich dadurch freilich nichts. Vielleicht öffnet sich ja irgendwann doch noch vor der Wahl im September ein Zeitfenster, das sich aufgrund eines aktuellen Ereignisses öffnet. Es muss und soll ja bitte nicht irgendwas mit Atomkraft sein ….
(Tilman Weber)