„Bei der Offshore-Windenergie trifft Tradition auf die Moderne. Darauf muss sich die Windbranche einstellen!“, sagt Roger Heidmann, Gründer der Logistik Service Agentur. Heidmann sitzt in seinem Büro am Seedeich in Bremerhaven. Vor seinem Fenster verläuft das Mündungsgebiet der Weser, gerade schleppt ein Containerschiff seine Ladung Richtung Nordsee.
„Der Containerverkehr ist extrem standardisiert. Die Transportsysteme über Land und See sowie der Umschlag sind darauf abgestimmt“, sagt er. Schon Mitte der 1970er Jahre begannen die Seecontainer mit 20 und später 40 Fuß ihren Siegeszug zum global vorherrschenden Logistikbehälter. Heute ist diese Logistik technisch ausgereift, alle Strukturen funktionieren, die Transportkette ist bis zum Endverbraucher durchgeplant. „All das trifft nicht auf die Windenergie zu“, sagt Heidmann. Daher müssen Anlagenhersteller und Logistiker die Logistikkonzepte für Offshore-Projekte selbst weiterentwickeln und nach neuen Lösungen suchen. Auf dem Weg zur effizienten Logistik verfolgen sie unterschiedliche Konzepte.
Zu den größten Hürden gehört die Zusammenarbeit mit den Hafenbetreibern und Reedereien. Jeder Beteiligte der klassischen Logistik sorgt sich allein um seine Aufgaben. Der Hafenbetreiber denkt bis zur Kaikante und stellt nur den Platz auf dem Gelände bereit. Die Reederei stellt das Schiff, Kräne verladen die Schwerlastkomponenten, bis das Schiff abfahren kann. „Jedes Unternehmen in der Kette hat seine Funktion im Auge. In der Windenergielogistik muss das Denken aber über die Unternehmensgrenzen hinausgehen“, sagt Logistikexperte Heidmann. Denn die Zeitpläne für die Offshore-Projekte sind eng. Errichterschiffe sind rar gesät und haben hohe Mieten. Am Ende der monatelangen Charter dieser Schiffe müssen die Projekte fertig sein. Da muss jede Möglichkeit der Installation genutzt werden, denn auch gutes Wetter ist kostbar. Wenn die Umgebungsbedingungen die Verschiffung und Errichtung erlauben, müssen alle Beteiligten schnell handeln können.
Der eigene Hafen – das Logistikideal
Offshore-Marktführer Siemens hat einen eigenen Weg gefunden, um die Hürden der Zusammenarbeit mit Hafen und Reeder abzubauen: „Wir haben mit mehreren Hafenbetreibern Langzeitverträge geschlossen“, sagt Michael Hannibal, Vice-President Offshore-Sales der Siemens Wind Power. Er betont, dass alle Beteiligten an der Logistikkette 24 Stunden am Tag einsatzbereit sein müssen. Sobald das Installationsschiff im Hafen einfährt, soll die Arbeit weitergehen. Ein entscheidendes Erfolgskriterium für diese Aufgabe ist die Hafenkooperation.
Eine solche Vereinbarung hat Siemens mit dem Hafen Esbjerg geschlossen, der an der Westküste der dänischen Halbinsel Jütland liegt. Künftig wird Esbjerg neben anderen europäischen Häfen als Basishafen für viele Projekte vor Deutschland und der Ostseite Großbritanniens dienen. Die endmontierten Maschinenhäuser transportiert Siemens dann vom Fertigungsstandort in Brande zum Hafen Esbjerg. Die Rotorblätter folgen von der nördlicher gelegenen Hafenstadt Aalborg auf dem Seeweg oder über Land.
Esbjerg bietet alles, was moderne Offshore-Logistik braucht: Der Hafen hat eine lange Kaikante, die stabil genug ist, um die zum Teil über hundert Tonnen schweren Hauptkomponenten, wie Maschinenhäuser, Rotorblätter und Türme, für den Umschlag nah am Wasser abzustellen. Hinter der Kaikante schließt sich ein Gelände an, auf dem die Großkomponenten vormontiert werden. „Sie ist eine Art Puffer, eine Lagerfläche, die es uns ermöglicht, schnell Nachschub zu liefern, wenn unser Hubschiff schneller als vorgesehen arbeitet“, sagt Hannibal.
Reaktionsschnelles Handeln gehört zu den Hauptanforderungen der Offshore-Logistik. Weitere Kriterien sind möglichst kurze Wege und wenige Stationen, in denen die Komponenten zwischengelagert und umgeschlagen werden. Das deckt sich mit der Transportstrategie des LSA-Geschäftsführers Heidmann. „Transporte vermeiden heißt Risiken vermeiden“, sagt er. Im Idealfall fertigen die Hersteller ihre Anlagen an einem offshorefähigen Tiefwasserhafen. Dorthin sollen auch die Lieferanten ihre Komponenten transportieren. Alle Teile sollten möglichst vom Fertigungsstandort ins Windfeld gelangen.
Selten vereint: Theorie und Praxis
In der Praxis ist es jedoch üblich, die Baugruppen vom Fertigungsstandort zu einem Basishafen zu transportieren, auf dem sie zunächst vormontiert, verladen und erst dann ins Windfeld gefahren werden. Heidmann hält dieses Vorgehen nicht für optimal, wobei auch er schon Kompromisse bei seinen Projekten eingehen musste: Als die LSA die Teilkomponenten der Umspannplattform für den Windpark Bard Offshore 1 transportiert hat, suchte sie europaweit nach einem Trockendock für die Endmontage der 70 Meter hohen Konstruktion mit der Fläche eines halben Fußballfelds. Gelandet sind sie in Belfast, Nordirland. „So was macht man nicht freiwillig in Belfast – für einen deutschen Windpark!“, sagt Heidmann. In Wilhelmshaven mussten die Installateure zunächst die Baugruppen der Plattform vorfertigen, bevor sie 1.500 Kilometer weit nach Belfast verschifft wurden. Dort endmontiert trat die 3.600-Tonnen-Konstruktion schließlich den Weg zu Bards Offshore-Park an.
Auch die Kieler HDW-Werft wäre für dieses Vorhaben geeignet gewesen, nur war sie zu diesem Zeitpunkt wegen Schiffbaus ausgelastet. Generell sieht Roger Heidmann Deutschlands Häfen jedoch auf einem guten Weg, um den kommenden Offshore-Vorhaben eine gute Infrastruktur zu bieten.
Diese Einschätzung bestätigt auch Oliver Heinecke, Geschäftsführer der im Sommer gegründeten All for Offshore GmbH. Das Unternehmen bietet Dienstleistungen rund um Offshore-Windprojekte an. Als Jointventure aus dem Projektierer WPD und dem Offshore-Logistiker Schrammgroup gegründet übernimmt es die Logistik der Komponenten, sammelt und lagert die Bauteile in einem Basishafen und sorgt für den Komponentenumschlag auf die Installationsschiffe. Die Schrammgroup betreibt die schleswig-holsteinischen Häfen Brunsbüttel und Glückstadt, was die Organisation der gesamten Logistik stark vereinfacht, weil alle nötigen Prozesse innerhalb eines Hauses realisiert werden. „Das vermeidet Reibungsverluste, denn alle ziehen an einem Strang“, sagt Heinecke.
Der Hafen Brunsbüttel eignet sich gut für die Schwerlastlogistik, weil auch Hubinseln bis zur Kaikante vorfahren können. All for Offshore bietet seine Dienstleistungen aber auch für andere Basisstandorte an. Heinecke begrüßt den Ausbau aller Häfen an der deutschen Küste. „Es herrscht Hafenknappheit, von einer Konkurrenzsituation ist der Markt weit entfernt“, bemerkt er. Seiner Einschätzung nach werden an den großen Häfen weitere Produktionsstätten von Zulieferern großer Komponenten, wie Türmen und Gründungen, entstehen.
„Hier ist Engineering gefragt“
Entwicklungspotenzial sieht Oliver Heinecke neben dem Hafenausbau und geeigneten Installationsschiffen bei den Offshore-Windrädern selbst. „Häufig legen die Hersteller ihre Turbinen nur für den Betrieb auf See aus, nicht für die Montage“, bemängelt der All-for-Offshore-Geschäftsführer. Das betreffe die Grenzwerte der Stoßbelastung auf die Anlagentechnik, die Elektronik und Lagerstellen. Zudem sieht er Optimierungsbedarf bei der Verbindungstechnik. Die Windturbinenkomponenten müssen mit hoher Genauigkeit verschraubt werden – auch auf See. Eine Jack-Up-Barge schwankt aber trotz festen Standes einige Zentimeter, was genaues Arbeiten stark erschwert. „Hier ist Engineering gefragt, damit wir die Anlagen einfacher auf See installieren können“, sagt Heinecke.
Bei der operativen Logistik sieht Heinecke die Anlagenhersteller auf einem guten Weg. Noch aber trage der Kunde das Hauptrisiko. „Die Anlagenhersteller sind aufgefordert, ihre Anlagen schlüsselfertig für den Kunden zu liefern“, sagt Heinecke. Die Risiken müssten neu verteilt werden.
Die Bremerhavener Offshore-Nachbarn Repower und Areva Wind reagieren derweil auf die projektplanerischen Anforderungen, die das moderne Projektgeschäft ihnen abverlangt. Auf den noch jungen Offshore-Logistik-Abteilungen beider Unternehmen lasten stapelweise Aufgaben. „Unsere Logistiker sorgen sich um die gesamte Prozesskette“, sagt Areva-Geschäftsführer Michael Munder-Oschimek. „Sie wählen Häfen und Installationsschiffe aus und bereiten die Verträge vor, übernehmen die Detailplanung für Transport und Errichtung der Anlagen und sorgen sich um die Genehmigungen.“ Bis zu 25 Unternehmen müssen laut Auskunft von Areva koordiniert werden, um einen Park planen, bauen und betreiben zu können. Das führt zu einem hohen Personaleinsatz. Areva versucht, die Wetterfenster präzise einzuschätzen, um die Liegezeiten der Installationsschiffe und die Personalkosten zu verringern.
Von Herstellern und Lieferanten
Die effiziente Logistik beginnt schon bei der Wahl der Zulieferer. „Wir auditieren jeden Zulieferer und beleuchten sein Leistungspotenzial“, sagt Munder-Oschimek. Ähnlich macht es auch Repower. Während LSA-Gründer Heidmann den Herstellern empfiehlt, ihre Komponenten für eine effiziente Versorgung selbst von den Zulieferern abzuholen, überlassen die Hersteller die Lieferung meist ihren Lieferanten. „Wir arbeiten über Jahre mit den gleichen Lieferanten zusammen. In enger Kooperation stellen wir die gewünschte Qualität zur richtigen Zeit sicher“, untermauert Gregor Gnädig, Chief Operating Officer (COO) von Repower, das Zuliefererkonzept. Anders ist es bei weit entfernten Lieferanten, die beispielsweise Komponenten in Asien fertigen. „Da nehmen wir die Logistik dann selbst in die Hand“, sagt Gnädig.
Bremerhaven ist auf einem guten Weg, sich zum Offshore-Hafen zu entwickeln. Für die angesiedelten Unternehmen Repower und Areva ergibt sich daraus die Möglichkeit, einige Windparks direkt vom Fertigungsstandort Bremerhaven zu versorgen. Damit würde der Umschlag als weiterer Kosten- und Risikofaktor verschwinden. Laut LSA-Gründer Roger Heidmann eignet sich der Standort gut, um einen Hersteller- und Lieferantenpark aufzubauen. Die Logistik würde sich für viele Komponenten reduzieren, wenn Hersteller und Zulieferer alle großen Baugruppen in Hafennähe produzieren würden. Mit der Rotorblattfertigung der Powerblades GmbH hat Repower hier schon einen wichtigen Schritt in Bremerhaven gemacht. „Es ist aber schwierig, weitere Zulieferer anzusiedeln, weil wir uns eine gewisse Flexibilität bei der Wahl der Lieferanten wahren wollen“, sagt Repower COO Gnädig. Repower sehe zwar die Synergien und sei mit Lieferanten im Gespräch, jedoch forciert das Unternehmen diesen Schritt nicht aktiv.
Auch wird Repower auf Dauer nicht komplett auf den Umschlag über andere Häfen verzichten können. Selbst wenn große Errichterschiffe den Hafen künftig ansteuern sollen, liegen einige Projekte zu weit vom Bremerhavener Einzugsgebiet entfernt. Die Offshore-Abteilung konzentriert sich vornehmlich auf die Optimierung der Logistikkette auf See. „Wir wollen die Errichtungszeiten verringern“, sagt Gnädig. „Es gibt viele Möglichkeiten der Optimierung – und viele Fragen zu klären. Wie staple ich die Türme und Blätter, ziehe ich den gesamten Rotorstern oder montiere ich die Blätter einzeln?“ Die Zeit auf See soll verringert werden, dafür ist auch die Anzahl der Hübe entscheidend, die ein Kran machen muss, um die Windturbine im Wasser zu montieren.
2006 hat Repower eine ungewöhnliche Errichtungsmethode angewandt, um die Anzahl der Hübe zu reduzieren. Die zwei Fünf-Megawatt-Anlagen im Windpark Beatrice wurden komplett an Land montiert. Auf hoher See musste die Konstruktion nur noch auf die Jacket-Gründung gesetzt werden. Das bietet viele Vorteile, birgt aber auch Komplikationen: „Der Transport geht zwar viel schneller, aber beim Aufsetzen der Anlage darf ich keinen Wellengang haben. Denn dieses 700-Tonnen-Konstrukt muss auf den Millimeter genau abgesetzt werden“, sagt Gnädig. Zudem braucht es das richtige Errichterschiff. Daher prüfen die Hersteller bei jedem Projekt aufs Neue, welches Logistik-Konzept sich für die konkrete Aufgabe eignet.
Neue Konzepte gegen alte Probleme
„Die Idee, Anlagen am Stück im Windpark zu installieren, ist sehr charmant. Diese Überlegungen sollte die Branche heute noch nicht verwerfen“, sagt All-for-Offshore-Geschäftsführer Oliver Heinecke. Er war als Teil des Projektmanagements zu Zeiten der Beatrice-Errichtung selbst bei Repower beschäftigt. „Wer vollständig auf See installiert, kommt schnell an die 2.000 Arbeitsstunden für die Installationsteams.“ Zehn bis zwölf Personen können an der Anlage arbeiten. Allein für deren Transport kann man am Tag mit 36 Stunden vergeudeter Zeit rechnen. Neue Installationskonzepte benötigen laut Heinecke neue Schiffe. Auch müssen die Kaikanten der Häfen das Gesamtgewicht der vormontierten Anlagen tragen. Da lastet schnell eine Kilotonne auf ein paar Quadratmetern.
Für Cuxhaven stellt dieses Gewicht kein Problem dar. Hier baut die Strabag Offshore Wind GmbH eine eigene Logistiklösung auf, wofür das Unternehmen viele Tonnen auf wenig Fläche unterbringen muss. Strabag will die Windturbinen inklusive Gründung an Land montieren, sie am Stück auf See fahren und auf dem Meeresboden installieren. Ihr Errichterkonzept soll die Nachteile der verfügbaren Lösungen vermeiden. „Wir wollen die Turbinen in nur zwei statt der üblichen sechs Tage pro Anlage auf See errichten“, kündigt Geschäftsführer Klaus Weber an. Ermöglichen soll das ein speziell für diesen Transport entwickeltes Errichterschiff in Halbtauchertechnologie. Anstatt komplett im Wasser zu liegen, tauchen bei dem Halbtaucher nur zwei Schwimmkörper in das Wasser ein, was es für Wellenbewegungen unempfindlicher macht. „Mit dem Halbtaucher können wir die Turbinen voraussichtlich noch bei 2,5 Meter signifikanter Welle auf See fahren und installieren“, prognostiziert Weber. Dabei wird die Windenergieanlage in der Mitte des Installationsschiffes befestigt.
Errichtung ohne Kompromisse
Strabags Anlagenprinzip gründet auf Schwerkraftfundamenten. Mit einem Gesamtgewicht von rund 8.000 Tonnen sollen die Windturbinen auf dieser Gründung in bis zu 45 Meter Wassertiefe sicher stehen. Ein Testfundament hat das Unternehmen bereits fertiggestellt. In den kommenden sechs Monaten testet es die Tragfähigkeit der Konstruktion. Mit Spannseilen werden dabei die Wellenlasten der Nordseestürme simuliert. 80 Fundamente will Strabag in der ersten Ausbaustufe jährlich fertigen und die Windräder direkt in Cuxhaven auf ihnen montieren. „Wir benötigen noch die Zusagen für Windparkprojekte mit den Genehmigungen, um unser Konzept in die Tat umsetzen zu können“, sagt Weber. Er sieht insbesondere in den Nordsee-Projekten des britischen Round 3 Tenders geeignete Standorte für Schwerkraftfundamente – und ist sich sicher: „Wo sich der Baugrund eignet, wird dieser Gründungstyp erste Wahl werden.“
Neben modernen Häfen mit stabiler Kaikante und ausreichend Platz bedarf es vor allem weiterer Errichterschiffe für einen effizienten Ausbau der Offshore-Windenergie. Siemens hat sich seine Versorgung mit dem begehrten Offshore-Equipment im Sommer gesichert und 49 Prozent der Anteile an der dänischen A2Sea erworben, dem derzeit größten Offshorelogistiker. A2Sea koordiniert einen Pool von mehreren Installationsplattformen und Service-Schiffen und will seine eigene Flotte weiter ausbauen. Aber nicht nur bei Siemens, generell werden „die Installationsprobleme dank zusätzlicher Schiffe 2012 abflauen“, sagt Oliver Heinecke von All for Offshore.
Die oft geforderte Standardlösung wird es jedoch geben. „Wenn wir eine Lösung A entwickelt haben, fangen wir schon mit Lösung B an“, sagt Heidmann. „Auf die Offshore-Logistik wirken zu viele Einflussfaktoren, um sie nach einem festen Leitfaden abzuarbeiten.“ Da helfen nur Erfahrung und speziell geschultes Personal. Und das ist rar: „Die Hochschulen haben den Schwerlastmarkt jenseits des Standardverkehrs lange verschlafen“, sagt Heidmann. „Ich hoffe, wir haben sie rechtzeitig geweckt.“ (Denny Gille)