Die im November veröffentlichte Studie der IG Metall notiert es Schwarz auf Weiß: Nach vier Umfragen aus den Jahren 2011 bis 2013 unter Beschäftigten der Wind- und der Solarbranche sowie einer Auswertung von 4.740 Fragebögen beziffert die Gewerkschaft den Unterschied der Entlohnung zum übrigen produzierenden Gewerbe in Deutschland auf 900 Euro. Das ist das Ergebnis einer Befragung in den Arbeitsbereichen Forschung und Entwicklung, Büro und Verwaltung, Produktion sowie der Anlagen-Montage. Dabei resümiert die Studie „Nachhaltig – aber auch sozial?“, dass die Windkraft mit einem Bruttodurchschnittslohn inklusive aller Zulagen mit 2.900 Euro noch eine deutlich bessere materielle Mitarbeiterwertschätzung nachweisen kann als die Solarbranche, die den Schnitt in den zentralen Erneuerbare-Energien-Branchen zusammen auf 2.654 Euro drückt. Allerdings ist der Abstand der mittleren Bruttoarbeitsentlohnung des produzierenden Gewerbes – gemäß Online-Statistikportal Statista 3.566 Euro – auch zur Windbranche noch groß.
Als besondere Erkenntnis bewertet die IG Metall die Unterschiede der Bezahlungen von Windkraftmitarbeitern je nach ihrem Einsatzgebiet. So reicht der Entlohnungsspagat von 4.289 Euro für Forschung und Entwicklung – ein Wert, der sich aus Angaben von Ingenieuren, aber auch von Angestellte mit einem möglicherweise geringeren Qualifizierungsgrad zusammensetzt – bis zu 1.916 Euro für Leiharbeiter. Bei den über zunehmend professionalisierte Arbeitnehmerüberlasser gebuchten Mitarbeitern hat die Windbranche in der Bezahlung keinen Vorsprung vor der Solarbranche. Doch in der Produktion der Windenergieanlagen – Entlohnungsdurchschnitt: 2.489 Euro brutto –, in den Büros (3.587 Euro) und in der Entwicklung (4.289 Euro) liegt die konjunkturell in Deutschland besser gestellte Windkraftindustrie mit 400 bis 700 Euro vorn.
Hohe Lohnunterschiede zwischen Betrieben mit und ohne Tarifbindung
Auffällig ist indes ein weiteres. Und dieses hat vielleicht das Zeug dazu, dass eine bisher verhaltene Unzufriedenheit zunehmend über die Grenzen der Branche hinaus Beachtung findet. So haben diejenigen Mitarbeiter deutlich mehr Geld in der Lohntüte, die bei einer der in den vergangenen Jahren zunehmend auch mit Tarifverträgen ausgestatten Firmen arbeiten. Für die besonders von Überstunden und eigener Einsatzbereitschaft geprägte Berufsgruppe der Anlagenmonteure hat die IG Metall dies erhoben: Während Monteure in Betrieben mit Tarifverträgen im Schnitt 3.496 Euro inklusive Zulagen erhalten, verdienen die Berufskollegen in Betrieben ohne Tarifbindung nur 3.133 Euro.
Dabei ist der Unterschied auf den zweiten Blick noch größer. Denn die schlechter bezahlten tariffreien Kollegen leisten auch deutlich öfter Überstunden und sie sind anders als die mit Tarif abgesicherten Monteure fast immer zu Rufbereitschaft verpflichtet. Mitsamt Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld erhöht sich die Entlohnungsdifferenz aufs Jahr bezogen somit noch einmal: 48.600 Euro der Mitarbeiter aus Tarifbetrieben stehen 41.100 Euro als Lohndurchschnitt bei den Monteuren in tariffreien Betrieben gegenüber.
Fall Enercon: Streit um Betriebsrat und die Rolle der Gewerkschaft
Besonders hart treibt es in den Augen der großen Arbeitnehmerorganisation derzeit der Auricher Turbinenbauer Enercon. „Frei zum Abschuss“ titelte die Süddeutsche Zeitung bereits Ende Oktober drastisch einen Bericht über Vorkommnisse bei einem in Magdeburg angesiedelten regionalen Instandhaltungs-Servicedienst Enercons. Der Bericht bezieht sich auf einen gerichtlichen Streit eines Betriebsratsvorsitzenden mit dem Auricher Arbeitgeber, den Enercon entlassen möchte. Und auf den Rauswurf eines Betriebsrates in einem anderen Enercon-Betrieb. Von „Betriebsratsfressern“ ist in dem Artikel die Rede, aber auch von einem „Zerrbild“: Dieses sieht Enercon von jenen entworfen, die jetzt die Vorkommnisse im Streit um die Betriebsräte öffentlich machten. Die Süddeutsche Zeitung zitiert das aus einer schriftlichen Note des Unternehmens.
Möglicherweise lassen sich die Anschuldigungen der Gewerkschafter auch damit erklären, dass es ihnen nicht gelungen ist wie vor einem halben Jahr erhofft die Bildung von Betriebsräten im Enercon-Wartungsservice mit zu organisieren. Eine Absicht der Gewerkschafter dürfte es gewesen sein, auch die gewerkschaftliche Organisation der Arbeitnehmer mit voranzutreiben. Es wäre gegen den erklärten Willen Enercons.
Dennoch hat die Auseinandersetzung Enercons mit den Betriebsratsgründern die Wellen inzwischen so hoch schlagen lassen, dass eine Protestliste bereits 17.000 Unterschriften erzielt hat und noch in dieser Woche neue Berichte darüber unter anderem in der Tageszeitung Taz erschienen sind.
Komplexe Firmenstrukturen, gestörte Kommunikation
Der Vorwurf an Enercon lautet, mit einer Aufgliederung des Unternehmens in viele kleine als GmbH organisierte Betriebe die Arbeitnehmerorganisationen schwierig zu machen. Die Zahl der Mitarbeiter gibt die Konzernführung des vielleicht schon zweit- oder noch drittgrößten Windturbinenherstellers der Welt auch im Gespräch mit ERNEUERBARE ENERGIEN mit 17.000 an – knapp mehr als der Weltmarktführer Vestas aus Dänemark nach mehreren Entlassungsrunden in seinen zurückliegenden drei Krisenjahren noch für sich beansprucht. Doch das Auricher Unternehmen strukturiere sich in eine undurchsichtige Struktur an Kleinbetrieben, die zum Teil ihren Sitz in den Niederlanden hätten, berichtet etwa die Süddeutsche Zeitung. All das erschwere die Bildung von Betriebsräten – Ansprechpartner für die Arbeitnehmer sind da hin und wieder schwer zu adressieren. „Es ist total schwierig, man hat uns da bislang noch keinen Einblick gegeben“, sagte schon Anfang dieses Jahres der Pressesprecher der IG Metall auf Anfrage von ERNEUERBARE ENERGIEN.
Im September hatten dann 61 Betriebsräte eine Resolution in Form eines offenen Briefes an die Geschäftsführung in Aurich verfasst. Die Berichte wie in der Süddeutschen Zeitung berichten von Schikanen, die der Arbeitgeber an denjenigen Arbeitnehmern ausübte, die gegen den Willen der Auricher mit der Gewerkschaft zusammenarbeiteten.
Und in einem Forum Enercon-Geschädigter geben bei Xing offenbar schon seit 2011, aber vermehrt 2013 und 2014 Mitarbeiter aus verschiedenen Unternehmensbereichen und ehemalige Mitarbeiter weitgehend gleichlautende Antworten: Die Führung übe Druck auf die Mitarbeiter aus sowie starke Kontrolle und sie kommuniziere schlecht. Die Bezahlung sei vor allem bei Einstiegsgehältern schlecht.
Selbstbestimmtes Arbeiten für ein begeisterndes Produkt
Zugleich dringen auch positive Signale selbst bei diesen Radikalkritikern durch: Die Behandlung älterer Mitarbeiter sei gut. Wer Lust am Arbeiten habe, könne viele interessante Aufgaben finden – und vor allem seine Arbeit bei längerer Zugehörigkeit weitgehend selbst gestalten. Es herrscht hier offenbar Freiheit, sich für das Produkt Windenergieanlagen jenseits konventioneller Grenzen einzusetzen, trotz aller Kontrolle. Die Technik der getriebelosen Windenergieanlagen empfinden die meisten als begeisternd.
Die Führung Enercons selbst legt Wert darauf, mit neuen Bürostrukturen zumindest die Arbeit der Entwickler als besonders frei und kreativ zuzulassen: Keine Großraumbüros, maximal Vier-Personen-Büros: Bereiche „für intensive Kommunikation“, nennt das die Geschäftsführerin Nicole Fritsch-Nehring.
Enercon ist derweil Hauptsponsor der Messe Zukunftsenergien Nordwest in Oldenburg - und dort als Unternehmen geschätzt, das auch regelmäßig sehr viele Ausbildungsplätze anbietet . Die vom Windforschungszentrum Forwind der Universitäten Oldenburg, Hannover und Bremen veranstaltete Job- und Berufeschau findet auch im kommenden März wieder mit rund 80 Ausstellern in Bremen statt. Die Arbeitnehmer-Kritik an der Windbranche könnte auch dort ein spannendes Gesprächs- oder gar Forenthema sein.
20./21. März, Zukunftsenergien Nordwest, Messe, Bremen
(Tilman Weber)