Kernenergieausstieg, Entflechtung, Dezentralisierung, Erneuerbare Energien. Das klassische Geschäftsmodell der Energiewirtschaft konnte sich an die Liberalisierung anpassen, aber im Energiewende-Prozess kommt es unter die Räder. Das schlägt auf die Stimmung. „Das Spiel ist offen“, sagt Eon-Chef Johannes Teyssen zur Stellung der Branche. „Wir können gewinnen oder verlieren.“
Die Botschaft hat Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel vernommen. „Herr Teyssen, Sie haben mir einen der deprimierendsten Abende der letzten sechs Monate bereitet“, bekannte er freimütig auf dem diesjährigen Kongress am Mittwoch und Donnerstag dieser Woche. Auslöser der Depression: Ein Termin mit Unternehmenschefs – darunter auch Teyssen – und der Kanzlerin zur Lage in der deutschen Energiewirtschaft. Hoffnung, mit der Schaffung eines Kapazitätsmarktes eine schnelle Lösung für deren darbende Großkraftwerke zu liefern, machte Gabriel indessen nicht. Das zeigt schon der Zeitplan für die Neugestaltung des Strommarkts: Im laufenden Jahr will das Wirtschaftsministerium erste Vorschläge erarbeiten, im kommenden Jahr präzisieren und ab 2016 umsetzen. Gabriels Prämisse: „Der Kapazitätsmarkt kann nicht zum Hartz 4 für Kraftwerke werden: nicht arbeiten, aber kassieren.“ Ahs und Ohs im Saal bei diesen Worten aus dem Munde eines Sozialdemokraten. Der Minister beeilte sich, das einzufangen, blieb aber unmissverständlich: „Niemand darf den Kapazitätsmarkt als einen Ausweg aus dem Strukturwandel sehen.“
Hin und Her zwischen Berlin und Brüssel
Gabriel konnte sich indessen wohl kaum vorstellen, dass die EU-Wettbewerbskommission kurz vor Verabschiedung der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) die über Monate ausgedealten Auswege in Frage stellt. Am 17. Juni – so der Minister – kam es zum Eklat. Verdutzte Beamten, die in Brüssel letzte Details klären wollten, sahen sich wenige Tage vor Beschlussfassung im Bundestag mit neuen, grundlegenden Forderungen konfrontiert: Bedenken der EU-Kommission gegen die angedachte Regelung zur EEG-Umlagebeteiligung für Eigenstromerzeuger und eine generelle Öffnung des Gesetzes für ausländischen Importstrom. Von letzterem Punkt – so Gabriel – sei in sechs Monaten Verhandlungen, mit teils mehreren Terminen pro Woche „nicht ein einziges Mal die Rede gewesen“. Folge: hektisches Hin und Her zwischen Berlin und Brüssel, Überarbeiten der Gesetzesvorlage unter Hochdruck, null Spielraum für Beratungen in den zuständigen Bundestagsausschüssen.
Den weit verbreiteten Ärger über das Durcheinander lenkte Gabriel gen Westen: „Das war ein Foulspiel. Und ich finde, der zuständige Spieler gehört eigentlich vom Platz gestellt.“ Es gehe nicht an, Deutschland auf diese Art und Weise in „Geiselhaft“ zu nehmen. Die Reaktion aus Brüssel folgte auf den Fuß. Per Mitteilung auf der Website der deutschen Vertretung ließ EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia mitteilen, man habe die deutsche Seite bereits im Dezember 2013 auf das Thema Importstrom angesprochen. Aus dem Ministerium wird gekontert, damals sei es nur um das Grünstromprivileg gegangen und nicht um eine generelle Öffnung.
Eins ist sicher: Mit Almunia muss sich Gabriel über diese wie andere Fragen nicht mehr lange streiten. Der Foulspieler würde ja ohnehin „zum Ende des Jahres“ ausscheiden, bemerkte der Wirtschaftsminister auf dem BDEW-Kongress süffisant: Almunia tritt für die neue Kommission nicht mehr an.
Und die Wohlfühlzeiten sind für die Energiewirtschaft so oder so vorbei. Mit der EEG-Reform „sind nur die ersten 10 von 100 Metern“ der Energiewende geschafft, mahnte Gabriel. „Keiner soll glauben, jetzt ist das EEG verabschiedet, jetzt ist Ruhe.“
Gastbeitrag von Hanne May, Leiterin Energiekommunikation, ergo Unternehmenskommunikation