Im Norden der Republik ist die Windenergie in Bürgerhand: Mehr als 50 Prozent der Windkraftanlagen in Schleswig-Holstein sind Bürgerwindprojekte, schätzt Alexander Sewohl, Pressesprecher des Bundesverbandes Windenergie (BWE). Ihr Anteil in ganz Deutschland liegt bei etwa 35 Prozent. Regional sind die Unterschiede sehr groß: Während in den nördlichen westdeutschen Ländern sehr viele Bürgerwindparks stehen, gebe es beispielsweise in Brandenburg keinen einzigen, sagt Sewohl. Möglicherweise würden einige Bundesländer wie Baden-Württemberg allerdings bald stark aufholen. Denn seit Anfang des Jahres sind dort auch die Gemeinden berechtigt, Flächen für Windparks auszuweisen.
Wie viele Bürgerwindprojekte seit den Anfängen in den Neunzigerjahren in Deutschland insgesamt realisiert wurden, kann der BWE nicht sagen. Entsprechende Daten wurden nicht erhoben, eine trennscharfe Definition von Bürgerwindparks, die eine eindeutige Zuordnung erlaubt, existiert nicht. Der Verband geht aber davon aus, dass ihr Anteil in den vergangenen Jahren stark angestiegen ist. "Die Bürger nehmen die Energiewende immer mehr selbst in die Hand", ist Sewohl überzeugt. Die Vorteile solcher Windparks sind vor allem darin zu sehen, dass die Akzeptanz von Anlagen vor Ort größer ist und Kommunen wie Bürger auch finanziell profitieren können.
In der aktuellen Broschüre "Windenergie in Bürgerhand" beschreibt der BWE, welche Voraussetzungen nötig sind, um Bürgerwindparks ins Leben zu rufen, und wie solche Projekte realisiert werden können: Wichtig sei eine "frühzeitige, kontinuierliche und intensive Einbindung der Menschen in der Standortgemeinde", heißt es im Wortlaut. Als Berater sollten externe Planungsbüros herangezogen werden. Zunächst muss ein geeigneter Standort gefunden werden. Dann wird eine Projektgesellschaft gegründet, in die einige Bürger so genanntes Risikokapital einbringen, weil der wirtschaftliche Nutzen des Windparks zu diesem Zeitpunkt noch nicht feststeht. Anschließend müssen unter anderem Pachtverträge abgeschlossen und die Netzanbindung geklärt werden. Für den Bau der Anlagen ist eine Eigenkapitalquote von etwa 20 Prozent sinnvoll; den Rest finanzieren in der Regel die Banken. Schließlich muss die technische und kaufmännische Betriebsführung geklärt werden.
Genossenschaft und GmbH amp; Co.KG
Jeder Bürgerwindpark braucht eine Betreibergesellschaft. Infrage kommt eine Genossenschaft oder eine GmbH und Co. KG. In den Genossenschaften haben alle Mitglieder dasselbe Mitspracherecht. Außerdem sind sie Miteigentümer, profitieren also stärker vom wirtschaftlichen Erfolg. Die Kehrseite: Bei Misserfolg tragen sie die finanziellen Konsequenzen. Das Risiko ist jedoch auf die Einlage begrenzt. In einer GmbH und Co. KG haften die Investoren, hier Kommanditisten genannt, in der Regel mit ihrer Geldeinlage. Die Geschäftsführung als Komplementärin übernimmt die Haftung für die Geschäfte. Die GmbH braucht zur Gründung ein Stammkapital von mindestens 25.000 Euro. In der Gesellschafterversammlung richtet sich das Stimmrecht nach Kapitalanteilen.
Die meisten Bürgerwindparks haben bisher als Rechtsform eine GmbH und Co.KG gewählt. Aber die Windpark-Genossenschaften werden in Deutschland immer beliebter: Ihre Zahl hat sich in den vergangenen fünf Jahren auf über 100 vervielfacht. Eine davon ist die Energiegenossenschaft Ingersheim und Umgebung eG, deren Erfolgsgeschichte unter anderem ausführlich in der Broschüre beschrieben ist. Das Projekt einer Zwei-Megawatt-Anlage der Marke Enercon schlossen die nord-baden-württembergischen Energiegenossen im April mit dem Netzanschluss ihrer Windturbine ab.
(Sebastian Hoff)