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Ansichtssache Innovation: Expertendialog über das Fortschrittstempo in der Windkraft

"Projektspezifische Auslegung wird wichtiger"

Sie haben ja mal zusammen entwickelt: Fand damals genauso viel Entwicklung statt?

Schubert: Das war 1993 bis 2000. Wir haben bei Aerodyn zusammengearbeitet, zusammen die Pro amp; Pro Energiesysteme aus der Taufe gehoben. Die Wege haben sich getrennt, als Pro amp; Pro in die Firma Repower überführt worden ist und Aerodyn seine Anteile daran verkauft hatte. Ich bin Geschäftsführer bei Pro amp; Pro geblieben und Mitgründer bei Repower geworden. In den Neunzigern arbeiteten wir noch an den Grundlagen. Wir hatten viele weiße Flecken, mussten zum Beispiel den Getriebeherstellern noch beibringen, was Zeitreihen sind. Die hatten bis dahin mit Drehmomenthistogrammen gearbeitet. Innnovation war im Wesentlichen Größenwachstum: Die Anlagen sind alle zwei Jahre deutlich größer geworden.

Siegfriedsen: Wir hatten die spätere MD 70 / 77 der Repower entwickelt, eine der erfolgreichsten Maschinen am Markt mit bis heute über 10.000 produzierten Maschinen. Das war unsere Innovation: Eine Maschine zu schaffen, die sich auch verkaufen ließ.

Schubert: Die wohl erste Multimegawattanlage mit drehzahlvariablem Konzept und elektrischer Blattverstellung! Eine in meinen Augen wirkliche Innovation gab es aber 1993, als Enercons E-36 mit Direktantrieb und elektrischem Pitch in Travemünde auf  der EWEC-Tagung des Europäischen-Windenergieverbandes vorgestellt wurde.

Ist China eine Nische für etwas andere Innovationen, Herr Siegfriedsen?

Siegfriedsen-Schubert | Sönke Siegfriedsen (links), gründete vor 32 Jahren den Ingenieurdienstleister Aerodyn (aerodyn Energiesysteme GmbH) in Rendsburg und blieb nach dem Rücktritt aus der Geschäftsführung im Januar 2014 Gesellschafter. Siegfriedsen konzentriert sich nun mehr als bisher – oft vom Aerodyn-Büro in Shanghai aus – auf das Asien-Geschäft. - © Foto: Tilman Weber
Siegfriedsen-Schubert | Sönke Siegfriedsen (links), gründete vor 32 Jahren den Ingenieurdienstleister Aerodyn (aerodyn Energiesysteme GmbH) in Rendsburg und blieb nach dem Rücktritt aus der Geschäftsführung im Januar 2014 Gesellschafter. Siegfriedsen konzentriert sich nun mehr als bisher – oft vom Aerodyn-Büro in Shanghai aus – auf das Asien-Geschäft.

Sie, Herr Siegfriedsen haben mutmaßlich einen gewissen Vorteil, was den Innovationsschwung angeht: Sie haben in ihrer Kundenregion Asien viele neue Turbinenhersteller, die perspektivisch vielleicht auch mal auf den europäischen Markt vordringen wollen und dafür noch ein Alleinstellungsmerkmal brauchen. Daher können Sie mit diesen Kunden neue Technologien erproben, richtig?

Siegfriedsen: Die meisten Anlagen, die wir für chinesische Kunden entwickelt haben, waren Mainstream-Anlagen, konventionell, meistens mit dem Ziel, dass die Anlage kurzfristig verfügbar sein muss und nach 18 Monaten der Prototyp gestellt werden musste. Da bleibt nicht viel Zeit für Innovationen. Aber Sie haben Recht damit, dass es in China einfacher ist, Firmen dazu zu gewinnen auch neue Wege zu gehen. So, wie wir das bei der SCD-Anlage gemacht haben, wo wir einen Kunden gefunden haben …

.. den chinesischen Turbinenbauer Mingyang. Die SCD-Turbine ist eine Neuentwicklung mit einem zweiblättrigen Rotor und mit einem Hybridgetriebe, das Getriebe und Generator direkt verbindet und nur auf eine mittelschnelle Generatordrehzahl übersetzt.

Siegfriedsen: Aber um sich damit international durchzusetzen, braucht es Dinge, die es in China noch nicht gibt wie Qualitätsbewusstsein. Aufgrund enormen Preisdrucks werden dort einfach billige Bauteile in die Windenergieanlagen eingebaut.

Schubert: Tatsächlich hat die Technik in China schon deswegen eine ganz andere Ausprägung, weil es dort ganz andere Randbedingungen gibt. Die Art der Chinesen, Technik zu bewältigen sowie auch den Markt zu erschließen, ist für uns manchmal schwer nachvollziehbar. Aber das sind kulturelle Unterschiede, die zu anderen technischen Lösungen führen – und die man ernstnehmen muss.

Wie wichtig ist Konstanz für die Entwicklungsabteilung eines Windturbinenbauers, Herr Schubert?

Schubert-Siegfriedsen | Matthias Schubert (rechts) hatte in den 1990-er Jahren bei Aerodyn deutsche Turbinentechnologie mitentwickelt. Zusammen mit Sönke Siegfriedsen hatte er die Firma Pro amp; Pro ausgründet, aus der Windturbinenhersteller Repower (heute Senvion SE) entstand. Schubert wurde Geschäftsführer von Pro amp; Pro, dann Cheftechniker bei Repower. 2013 verließ er Repower und betreibt nun den Ingenieur-Beratungsdienst Wyncon Consultants (wyncon GmbH). - © Foto: Tilman Weber
Schubert-Siegfriedsen | Matthias Schubert (rechts) hatte in den 1990-er Jahren bei Aerodyn deutsche Turbinentechnologie mitentwickelt. Zusammen mit Sönke Siegfriedsen hatte er die Firma Pro amp; Pro ausgründet, aus der Windturbinenhersteller Repower (heute Senvion SE) entstand. Schubert wurde Geschäftsführer von Pro amp; Pro, dann Cheftechniker bei Repower. 2013 verließ er Repower und betreibt nun den Ingenieur-Beratungsdienst Wyncon Consultants (wyncon GmbH).

Mir fällt auf, wie Sie in vielem sehr einig sind. Aber Sie, Herr Schubert, kommen ja von einem Turbinenhersteller, dem früheren Repower und heutigen Senvion, der ganz besonders seine Konstanz als bestimmendes Wertmerkmal wahrgenommen sehen will. Ändert sich die Perspektive für Sie dadurch, dass Sie wieder unabhängiger Ingenieurdienstleister sind?

Schubert: Die Turbinenhersteller sind in der undankbaren Position, dass ihre Kunden Turbineninnovation total blöd finden. Der Kunde will am Ende eine Anlage, die zuverlässig ist, günstig, und wenn günstig eben nur mit Innnovation zu erreichen ist, dann in Gottes Namen ein bisschen mit Innovation. Aber letztlich will der Kunde ein sicheres Investment, einen guten Track-Record. Für Offshore gilt das noch mehr. Wie mühsam ist es selbst so einem globalen Konzern wie Siemens gelungen, seine neue, direktangetriebene Sechs-MW-Anlage in den Offshore-Markt zu bringen! Schauen Sie, wie viel 3,6- und Vier-MW-Anlagen zuletzt verkauft wurden, obwohl es die Sechs-MW-Anlage schon eine ganze Weile gibt. Innovation können Hersteller soweit rechtfertigen, wie es hilft, den größten Kundenwunsch nach besserem Cost of Energy umzusetzen. Ansonsten bitte so wenig wie möglich, weil es Kunden irritiert.

Die Konstanz aber ist die Disziplin, die gerade ein CTO haben muss. Ich musste als Cheftechniker eines großen Herstellers für Modernität und Innovation sorgen, aber auch dafür, dass Kontinuität sichtbar ist. Ein Beispiel: Irgendwann wurden wir mal gefragt, ob wir nicht völlig hinter der technischen Entwicklung hinterherhinkten, weil nun alle auf Synchrongenerator mit Vollumrichter setzten. Wir waren der Meinung, wir können unser bisheriges System des doppelt gespeisten Asynchrongenerators und mit Teilumrichter sehr gut so umsetzen, dass es sowohl von den Kosten als auch den Netzanschlussbedingungen her das führende System ist. Andere große Hersteller sind dann im nächsten Schritt wieder auf das System mit dem doppelt gespeisten Asynchrongenerator zurückgekommen. Manchmal hat man als CTO also gute Gründe, nicht die Mannschaft an jedem Tag in eine neue Richtung zu schmeißen. Falsch ist hingegen Kontinuität der Kontinuität wegen. Ein Trend ist immer ein Anlass, seinen technologischen Kurs zu hinterfragen.

Treiben Ingenieurdienstleister die Windradhersteller beim Entwickeln an?

Haben aber vielleicht etablierte Hersteller aus Scheu vor zu viel Neuem auch dort nichts getan, wo ihnen Ingenieurdienstleister hätten helfen können?

Siegfriedsen: Ja sicherlich. Als wir die Überlegung zur SCD-Anlage hatten, war für mich völlig klar: Damit brauche ich in Europa gar nicht Klinkenputzen gehen. Da habe ich gar keine Chance. Insofern habe ich mich gleich auf China konzentriert und habe dort mit fünf Firmen verhandelt, die alle durchaus bereit waren, diesen Innovationsschritt auch zu gehen. Meine Überlegung ist natürlich gewesen, dass wir mit der Demonstration und den Geldern aus China für diese Entwicklung am Ende nach Europa zurückzukommen.

Schubert: Ich glaube, lieber Sönke Siegfriedsen, wesentlich ist, dass ein Ingenieursdienstleister zwei Aufgaben in der Industrie hat. Das Brot-und-Butter-Geschäft ist, Manpower für Routinearbeiten zur Verfügung zu stellen – was man in Neudeutsch Outsourcing nennt. Die Ingenieursdienstleister haben in den vergangenen Jahre im europäischen Windmarkt weniger zu tun bekommen, weil die großen Hersteller alles nach inhouse gezogen haben und die externen Ingenieure mehr und mehr aus ihren Entwicklungen herausgenommen haben. Ich würde die Prognose wagen, dass es da in Zukunft wieder mehr zu tun gibt für Ingenieursdienstleister, weil die projektspezifische Auslegung von Anlagen zunehmend an Bedeutung gewinnt. Die Entwicklungsaufgabe wird nicht mehr die standardzertifizierte Anlage sein – sondern man muss sich jetzt überlegen: „Wie kann ich die Anlage auf das einzelne Projekt zuschneiden.“ Die zweite Funktion des Ingenieursdienstleisters ist die des Vordenkers: mit ein bisschen mehr Freiraum, ohne in diesem Tagesgeschäft eingebunden zu sein, könnt Ihr radikalere Ansätze auch mal zuende denken – natürlich auch, um Euch als kompetente Partner zu profilieren.

Das Gespräch moderierte Tilman Weber. Lesen Sie den Hauptteil des Expertengesprächs in unserem gedruckten Magazin, das am 01. Juni erscheint: über mutige Innovationen, die Chancen radikaler Systemwechsel, die großen Effizienzreserven der Windenergie-Anlagentechnologie.