Um welchen Faktor muss der Stromnetzausbau in Deutschland beschleunigt werden? Reicht ein dreifach so schneller Ausbau oder muss es sogar viermal so schnell gehen? Diese Frage wurde unteranderem 2023 bei der Tagung Zukünftige Stromnetze im Berlin diskutiert. In diesem Jahr spielte diese Fragestellung keine Rolle. Vielmehr ging es um die Balance zwischen den einzelnen Stellschrauben des Netzausbaus. Flexibilität, Sicherheit und Bezahlbarkeit sind dabei drei wesentliche Punkte, die zur Sprache kamen.
Netzausbau ist ein dickes Brett
Roland Hermes (VP Research, Development und Innovation von E.ON) skizzierte zu beginn der Diskussionsrunde die Vielzahl an komplexen Themenbereiche, die für den Netzausbau zusammen laufen. Dazu gehöre zum einen die Systemstabilität, die insbesondere bei einem hohen Anteil erneuerbarer Energien gehalten werden soll. Zum anderen wären Flexibilitätsmöglichkeiten maßgebend. Insbesondere Redispatch-Maßnahmen und der viel diskutierte Paragraph 14a des Energiewirtschaftsgesetztes (EnWG) fallen hierbei ins Gewicht. Der Paragraph 14a regelt die netzorientierte Steuerung von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen und steuerbaren Netzanschlüssen. Für das Gesamtbild kämen jedoch auch noch die Regularien der EU-Ebene und der aktuelle Bestand dazu. Abschließend werden jedoch auch eine große Anzahl neuer Netzanschlüsse von Photovoltaik, Windenergie, Wärmepumpen und Ladeinfrastruktur vorgenommen. Die Netzanschlüsse sollen bei E.ON in den vergangenen Jahren stark angestiegen sein, sodass im Jahr 2023 rund 400.000 Netzanschlüsse ausgeführt wurden, während es im Jahr 2022 noch 250.000 waren. All diese Stellschrauben ergeben ein dickes Brett, welches gemeinsam gebohrt werden müsse. Um das zu erreichen wünsche sich Hermes vor allem die ehrliche Diskussion aller Stakeholder um der Frage auf den Grund zu gehen: Was ist zusammen wirklich möglich?
Europäisches Stromnetz spricht dieselbe Sprache
Vera Benzel, Leiterin der Unternehmenskommunikation von Tennet legte den Fokus stärker auf den Netzausbau aus europäischer Perspektive. In Europa gebe es den großen internationalen Vorteil, dass die Übertragungsnetze von Portugal bis in die Ukraine alle dieselbe Sprache sprechen würden. Daher sei eine starke europäische Vernetzung möglich. Insbesondere der Nordseeraum sei dafür ein wichtiger Baustein. Ein großer Teil der europäische Stromabnehmer grenze an die Nordsee. Gleichzeitig biete sie große Möglichkeiten für die On- und Offshore Windenergie, sodass der Strom vor Ort erzeugt und verbraucht werden könne. Dabei erkannte Benzel auch die politische Sphäre des europäischen Ausbaus. Einzelne Länderregierungen könnten im gewissen Ausmaße dem gemeinsamen Ausbaus hinderlich sein. Jedoch sei die Elektrifizierung des Stromsysteme alternativlos, wodurch politischer Gegenwind auf lange Sicht kein Hindernis darstellen sollten.
Transparentes Stromnetz
Matthias Stark, Leiter Fachbereich Erneuerbare Energiesysteme des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE) machte deutlich welche Prozesse wichtig wären, um den Netzausbau und den damit verbundenen Markt zusammenzubringen. Eine wichtige Rolle spiele dabei die Transparenz. Der Bundesverband würde sich freuen, wenn Netzprobleme offen gelegt werden würden, sodass die Gesamtsituation des Netzes transparent offen gelegt werde. Ebenso sei die Effizienz des Stromsysteme bedeutend. Beispielsweise gebe es nach Informationen des BEE einen Menge von Netzverknüpfungspunkten, welche überbaut werden könnten. Abschließend wünsche sich der Verband, dass Prozesse vorausschauender angegangen werden. Mit einer Planung von zehn bis fünfzehn Jahren könne für den Netzausbau mehr Klarheit geschaffen werden.
6 Millionen Wärmepumpen sind möglich
In den Mittelpunkt stellte Kerstin Stratmann, Geschäftsführerin des Elektro-Hauswärmetechnik Verbands Zvei die Perspektive der Verbraucherinnen und Verbraucher. Die Elektrifizierung der Wärme sei als Teil des Strommarktes angekommen, sagte Stratmann. Beispielsweise bewerte sie die Wärmepumpenziele als erreichbar. 2022 und das erste Halbjahr 2023 haben dies gezeigt. Danach hätte die Verunsicherung um das Gebäudeenergiegesetz seine Spuren hinterlassen. Jedoch seien die durch die Bundesregierung veranlagten sechs Millionen Wärmepumpen möglich. Woran jedoch noch gearbeitet werden sollte, seien flexible Stromtarife. Diese, wie Smart Meter und andere digitale Instrumente würden die Kaufentscheidungen der Verbraucherinnen und Verbraucher begünstigen.
In der anschließenden Diskussionsrunde ging es zunächst um die Frage der Akzeptanz. Vera Benzel bestätigte, dass man der Bevölkerung mental einiges abverlange. Es sei ein abwägen wie die Bürgerinnen und Bürger mitgenommen werden könnten. Die Kommunen zu beteiligen und anderweitige Kosten zu sparen wären dazu attraktive Mittel. Personen aus dem Publikum wurde zudem die Rolle von Stromspeicher zu wenig beachtet. Roland Hermes sagte, Batterien seien immanent mit eingeplant. Aus Verteilnetzsicht müsse jedoch noch etwas getan werden.