Die Allianz für Bezahlbare Solarenergie (Alliance for Affordable Solar Energy – AFASE) hat in Brüssel eine Anhörung vor der Europäischen Kommission durchgesetzt. Die Argumentation von AFASE, einem Zusammenschluss von über 160 Unternehmen der europäischen Photovoltaikbranche, die sich gegen die Verhängung von Strafzöllen auf chinesische Photovoltaikimporte wehren, beruhen auf einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts Prognos. Die Analysten haben errechnet, dass in den nächsten drei Jahren in der Europäischen Union mehr als 400.000 Arbeitsplätze verloren gehen, sollte die Kommission Strafzölle in Höhe von nur 20 Prozent verhängen. Dabei sind schon die möglicherweise neu entstehenden Arbeitsplätze in der Solarbranche mit eingerechnet, die sich daraus ergeben, dass die europäischen Unternehmen ihre Produktion ausweiten, um die sinkenden Importe aus Fernost wieder auszugleichen. Prognos rechnet damit, dass die Zell- und Modulhersteller ihren Mitarbeiterstamm um zehn bis 17 Prozent aufstocken. Der wirtschaftliche Schaden würde sich im gleichen Zeitraum auf 3,7 Milliarden Euro belaufen.
Positive Arbeitsmarkteffekte in der Photovoltaikindustrie
Als Grund für ihre düsteren Prognosen nennen die Wirtschaftsforscher von Prognos den Rückgang der Nachfrage nach Photovoltaikanlagen aufgrund steigender Preise, sollten die Zölle Importe von Solarzellen und Modulen aus China verringern oder ganz verhindern. Dabei bezweifeln die Wirtschaftsforscher nicht, dass Strafzölle und damit verhinderte Photovoltaikimporte aus China durchaus auch positive Arbeitsmarkteffekte auslösen können. Diese reduzieren sich aber auf die Hersteller von Solarzellen und Modulen, die ihren Mitarbeiterstamm um zehn bis 17 Prozent aufstocken würden, um die fehlenden Importe aus China wieder auszugleichen. Die sind aber schon in das Gesamtresultat, zu dem Prognos kommt, mit eingeflossen. Anders als die Kläger geht Prognos aber nicht nur von den Mitarbeitern in der Solarbranche aus, sondern von der Gesamtheit der 140 Millionen Beschäftigten in der Europäischen Union. Schließlich habe ein Nachfragerückgang nach Solarstromanlagen nicht nur einen Effekt auf die Hersteller und Anbieter der Systeme und Komponenten, sondern auch auf andere Wirtschaftszweige wie zum Beispiel Transportunternehmen, Equipmenthersteller, Zulieferer, Installateure oder die Baubranche. „Jedes Paket, das ein Mitarbeiter eines Paketdienstes nicht mehr zustellt, weil keine Solarstromanlage gebaut wird, ist Teil eines Vollzeitarbeitsplatzes in der Europäischen Union“, erklärt Oliver Ehrentraut, Autor der Studie, seinen Ansatz während der erstmaligen Vorstellung seiner Ergebnisse im November 2012 in Berlin.
„Preise für Endkunden in den USA sind konstant geblieben“
Nach der Anhörung gingen die Kläger von EU Pro Sun sofort in die Offensive, indem sie die Grundannahmen anzweifeln, mit denen Prognos zu seinen Ergebnissen kommt. „Die Entwicklung in den USA hat die von AFASE und Prognos aufgestellten Behauptungen bereits heute widerlegt“, sagt Milan Nitzschke, Präsident von EU Pro Sun und Sprecher des Modulherstellers Solar World. „Keiner der prognostizierten Effekte ist dort eingetreten. In den USA gelten seit Mitte letzten Jahres Zölle zwischen 30 und 250 Prozent auf chinesische Solarprodukte. Diese haben die Importe von gedumpten Solarprodukten aus China drastisch reduziert. Dennoch ist aber die Zahl neu installierter Solarstromanlagen gestiegen. Die Preise für Endkunden in den USA sind konstant geblieben oder sogar gesunken. Für die Solarbranche ist das eine Win-Win-Situation: das Dumping wurde beendet, die Industrie kann überleben, Verbraucher müssen nicht mehr zahlen und der US-Markt wächst!“ Dabei lässt Nitzschke aber außer Acht, dass die Importe aus Malaysia und Taiwan zugenommen haben.
EU Pro Sun: Prognos trickse bei der Berechnung
Außerdem kritisiert Nitzschke, dass Prognos einen Trick bei der Berechnung anwendet, indem die Analysten von steigenden Modulpreisen ausgehen, auch wenn die chinesischen Zellen und Module nicht mit Zöllen belegt werden. Prognos sagt voraus, dass die Preise für chinesische Module in diesem Jahr bei durchschnittlich 45 Cent pro Watt liegen. Im nächsten Jahr steigt dieser Preis auf 52 Cent pro Watt und sinkt 2015 wieder auf 50 Cent pro Watt. Für die europäischen Module veranschlagt Prognos für dieses Jahr einen Preis von 65 Cent pro Watt. Im nächsten Jahr verteuern sich die in Europa hergestellten Module laut Prognos auf 70 Cent pro Watt. Im Jahr 2015 fällt dann der Preis wieder auf 65 Cent pro Watt. Tatsächlich sind die Stimmen der Analysten sehr unterschiedlich, was die Preisentwicklung für Module in diesem Jahr angeht. Zu unwägbar sind die Rahmenbedingungen, unter denen die Marktforscher ihre Prognosen erstellen müssen. Während IHS iSupply davon ausgeht, dass sich die Preise für Solarmodule im zweiten Halbjahr 2013 stabilisieren, sieht Forbes durchaus die Möglichkeit, dass die Modulpreise auch 2013 weiter sinken.
Kommission muss Auswirkungen auf andere Wirtschaftszweige mit bedenken
Für die Europäische Kommission ist der Effekt auf die Gesamtwirtschaft durchaus von Bedeutung. Sie darf sich in ihrer Urteilsfindung nicht allein auf die Probleme der europäischen Zell- und Modulhersteller beschränken, die gegen Billigimporte aus China auf dem europäischen Märkten konkurrieren müssen. Die Kommission muss die möglichen Effekte mit bedenken, die Strafzölle auch auf andere Wirtschaftszweige haben könnten. Sie hat noch bis zum 6. Juni 2013 Zeit für die Antidumping-Untersuchung. Dann müssen die vorläufigen Ergebnisse veröffentlicht werden. Im parallel laufenden Antisubventionsverfahren muss die Europäische Kommission ihre Untersuchungsergebnisse bis spätestens 8. August dieses Jahres veröffentlichen. (Sven Ullrich)