Es gibt viele Dinge, die man in Deutschland schmerzlich vermissen kann: eine schlanke Bürokratie, ein bisschen südländische Lebensfreude, Sonnenblumenöl… Einen Mangel allerdings kann man unserem Land eigentlich nicht vorwerfen: zu wenig Verkehrsschilder.
Im Gegenteil: Schon oft versuchte man als ortsfremder Autofahrer sich durch Schilderwälder in fremden Städten zu schlagen oder bremste auf freien Autobahnen bis auf Tempo 60, weil das letzte, was Straßenbaufirmen nach Abschluss einer Baustelle stehen lassen, offenbar die Schilder zur Geschwindigkeitsbegrenzung sind.
Hat der Minister noch nie von automatischer Verkehsbeeinflussung gehört?
Doch offenbar besteht genau bei diesen Schildern eine überraschende Unterversorgung. Anders ist es nicht zu erklären, dass FDP-Verkehrsminister Volker Wissing seinen Widerstand gegen ein Tempolimit unter anderem damit begründet, es gebe a) zu wenig Schilder und b) sei der Aufwand zu groß, um sie für einen begrenzten Zeitraum zu installieren und dann wieder zu entfernen.
Da möchte man erstmal durchschnaufen! Möglicherweise ist der Minister schon lange nicht mehr auf deutschen Autobahnen unterwegs gewesen und hat das System der automatischen Verkehrsbeeinflussung noch nicht kennengelernt, das es bereits seit Mitte der 70er Jahre gibt. Er könnte sich bei der seinem Ministerium nachgeordneten Behörde, der Bundesanstalt für Straßenwesen, mal auf den neuesten Stand bringen lassen. Rund um Ballungsgebiete und auf der A2 könnte man sich Schilder schon mal komplett sparen.
Pro Jahr 9,2 Millionen weniger CO2 durch Tempolimit
Auch die die Vorstellung, es sei zu viel Aufwand, lässt das Publikum staunend zurück – wird doch sonst für jede Tagesbaustelle großzügig aufgeschildert. Schließlich könnte man ja auch – wilder Gedanke – das Tempolimit dauerhaft einführen, und so schon mal den halben Aufwand sparen.
Zumal der Nutzen eines Tempolimits seit Jahren immer wieder beziffert wird: Nach Angaben der Deutschen Umwelthilfe (DUH) könnten im Jahr bis zu 9,2 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Eine leicht zu erntende Frucht, sollte man meinen, zumal der Verkehrssektor regelmäßig seine Klimaziele reißt.
Auch angesichts der hohen Preise an den Tankstellen und der deutschen Abhängigkeit von russischem Erdöl erscheint ein Tempolimit attraktiv: Die DUH berechnete, dass täglich 10 Millionen und jährlich 3,7 Milliarden Liter Sprit gespart werden, wenn auf Autobahnen Tempo 100 und auf Landstraßen Tempo 80 gelten würde. Von der verbesserten Verkehrssicherheit mal ganz zu schweigen.
Brauchen wir wirklich mehr Schilder für ein Tempolimit?
Doch es hilft ja alles nichts, wenn die Schilder fehlen. Doch ist das überhaupt so? Bei einem generellen Tempolimit bräuchte man am Ende sogar weniger Schilder, meint die DUH. Es genüge, an den Grenzübergängen die Geschwindigkeits-Hinweisschilder durch Folienaufkleber zu aktualisieren und alle Verkehrszeichen mit einer höheren Angabe als Tempo 100 zu verhüllen, ebenso die Zeichen für die Aufhebung der Geschwindigkeitsbeschränkung. Damit der Minister dabei nicht ins Straucheln kommt, bietet die Organisation sogar tatkräftige Hilfe an: Binnen 14 Tagen nach Einführung des Tempolimits werde man mit freiwilligen Helfern für die Umsetzung sorgen, verspricht Geschäftsführer Jürgen Resch.
Doch es wird nichts nützen. Stattdessen können wir abwarten, welches absurde Argument Volker Wissing (oder ein anderer Politiker seiner Partei) das nächste Mal anbringen wird: Verbrennungsmotoren müsse man gelegentlich auch mal richtig durchpusten? Zu niedrige Dichte von Raststätten und Parkplätzen an der Autobahn, so dass empfohlene Pausenzeiten nicht eingehalten werden können? Verzwergung deutscher Verkehrswege, weil man nicht schnell genug darüber hinwegbrausen kann? Oder ist es doch die Spaltung der Gesellschaft, das Herzensthema der FDP? Wir dürfen gespannt sein!
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